Fünf JahreWie viel Schaden richtete Snowden für die Geheimdienste an?
Deb Riechmann, AP
4.6.2018
Er wurde mit Preisen überhäuft und kann doch nicht zurück in seine Heimat: Der amerikanische Whistleblower deckte vor fünf Jahren weltweite Überwachungsprogramme auf.
Fünf Jahre ist es her, dass der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden weltweite Überwachungs- und Spionagemethoden öffentlich machte. US-Geheimdienstchefs beklagen, dass noch immer Enthüllungen aus den geheimen Dokumenten ans Licht kommen - und damit immer neuen Schaden anrichten. Die Anhänger Snowdens sehen die Lage weit weniger dramatisch und erklären, noch habe die US-Regierung keinen Beweis dafür vorgelegt, dass das veröffentlichte Material tatsächlich der nationalen Sicherheit geschadet habe.
Zu den Enthüllungen gehören Berichten über ein Überwachungsprogramm in Japan und darüber, wie der grösste Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten, der NSA, Nutzer der digitalen Währung Bitcoin ins Visier nahm. Ziel war es, mit den gesammelten Informationen die Terrorabwehr zu unterstützen, sowie Drogenhandel und Geldwäsche zu bekämpfen. «The Intercept», eine publizistische Website mit Zugriff auf die Snowden-Dokumente, berichtete über beide Themen.
Erst ein Prozent öffentlich
Der Direktor des Zentrums für Spionageabwehr (NCSC), Bill Evanina, erklärte, bislang hätten Journalisten erst rund ein Prozent dessen veröffentlicht, was der 34 Jahre alte Amerikaner an sich genommen habe, «also gehe ich nicht davon aus, dass dieses Thema bald enden wird». «Im vergangenen Jahr hatten wir mehr internationale Dokumente und Sicherheitsverletzungen mit Snowden-Bezug als je zuvor», sagt Evanina. Seit 2013, als Snowden eine dem NSA nahestehende Beratungsfirma verliess, seien weltweit Tausende Artikel mit sensiblen Informationen ans Licht gekommen.
Am 5. Juni 2013 veröffentlichte die Zeitung «The Guardian» den ersten Artikel auf Grundlage der Snowden-Enthüllungen. Damit wurde bekannt, dass eine geheime gerichtliche Anordnung es der US-Regierung erlaubte, über den Kommunikationsanbieter Verizon auf die Telefondaten von Millionen Amerikanern zuzugreifen. Später berichtete unter anderem die «Washington Post» über weitere Spionagemethoden.
Snowdens Vertraute werfen der US-Regierung vor, seit Jahren den Schaden durch die Enthüllungen zu übertreiben. Glenn Greenwald, Mitgründer von «Intercept» und ehemaliger Journalist beim «Guardian» erklärt, Journalisten hätten sich entschieden, Tausende Dokumente nicht zu veröffentlichten. Entweder, weil sie Persönlichkeitsrechte verletzten oder rufschädigend seien, oder weil sie rechtmässige Überwachungsprogramme offenlegen würden.
Wie gross ist der Schaden wirklich?
«Seit fünf Jahren berichten Zeitungen in der ganzen Welt über das Snowden-Archiv und die NSA hat immer wieder getönt, welcher Schaden angerichtet wurde, aber nie gab es einen Beweis für einen einzigen Fall, in dem ein Leben in Gefahr geriet oder sogar geschädigt wurde», sagt Greenwald.
US-Geheimdienstmitarbeiter erklären, sie ermittelten noch immer die Kosten der Enthüllungen. Derzeit arbeiteten die Dienste an der siebten Einschätzung des Schadens, sagte Evanina. Ein Sprecher des Zentrums für Spionageabwehr, Joel Melstad, erklärt, fünf Geheimdienste seien an der Schätzung beteiligt, die streng geheim ist. Dem Sprecher zufolge haben die Enthüllungen US-Mitarbeiter und -Einrichtungen in der ganzen Welt in Gefahr gebracht, die Nachrichtengewinnung beeinträchtigt und US-Partnerschaften destabilisiert. Ausserdem seien US-Geheimdienstoperationen, technische Möglichkeiten und Prioritäten bekannt geworden.
«Mit jeder weiteren Enthüllung verschlimmert sich der Schaden und liefert weitere Details zusätzlich zu dem, was unsere Gegner schon erfahren haben», erklärt Melstad.
Diese Meinung teilt Steven Aftergood, Geheimdienstexperte beim Verband der Amerikanischen Wissenschaftler, nicht ganz. Er glaube, dass die US-Dienste weiterhin Schadensbeurteilungen erarbeiteten, weil die Bedeutung der Enthüllungen für ausländische Ziele von Spionage möglicherweise erst mit der Zeit deutlich werde. Und noch jahrelang könnten sich die Ziele auf Grundlage der Veröffentlichungen anpassen. Negative Folgen für Partner der US-Geheimdienste wären jedoch gleich nach Beginn der Enthüllungen 2013 zu spüren gewesen, führt Aftergood aus.
Noch immer im Exil in Russland
Snowden lebt bis heute im Exil in Russland. Ungeachtet des Drucks aus Washington hat Moskau Snowden bisher nicht an die USA ausgeliefert, wo ihm eine Haftstrafe von bis zu 30 Jahren droht. Aus dem Exil heraus hält SnowdenVorträge über das Internet und beschäftigt sich mit der Entwicklung von Programmen, die Journalisten einsetzen können, um zu ermitteln, ob sie überwacht werden.
Seine Anhänger erklären, die Regierung übertreibe, wenn sie von mehr als einer Million Dokumenten spreche, die Snowden an sich gebracht haben soll. Tatsächlich seien deutlich weniger enthüllt worden. «Ich glaube, die Zahl der veröffentlichten NSA-Dokumente liegt bei mehreren Hundert, nicht mehreren Tausend», sagt Snowdens Anwalt Ben Wizner. Die Regierung habe nie einen Beweis dafür veröffentlicht, dass das Material tatsächlich der nationalen Sicherheit geschadet habe.
«Die allgemeine Sichtweise unter Geheimdienstmitarbeitern ist, dass jeder Tag und jedes Jahr, das vorüberging, den Wert und die Bedeutung der Snowden-Archive gemindert hat», sagt Wizner. «Der Gedanke, dass Informationen, die 2013 aktuell waren - und viele davon waren noch deutlich älter - 2018 noch jemanden zum Handeln bewegen könnten, erscheint mir weithergeholt.»
9000 bis 10'000 Geheimdokumente
Greenwald gibt die Zahl der Geheimdokumente, die Journalisten erhielten, mit 9000 bis 10'000 an. Allerdings sei Bedingung gewesen, dass die Medien keine Informationen veröffentlichen, die Unbeteiligten schaden könnten. Ausserdem müsse die NSA jedes Mal die Möglichkeit bekommen, Argumente gegen eine Enthüllung von geheimem Material anzuführen.
«Wir haben diese Bitte bei jedem Dokument erfüllt, das wir veröffentlicht haben», sagt Greenwald. «In den meisten Fällen haben wir die Argumente der NSA als unbegründet zurückgewiesen, aber wir haben ihnen immer die Chance gegeben, ihre Meinung zu äussern, und das werden wir weiterhin so machen.»
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