Sieben kleine Pandemie-Geschichten aus der verrückten Coronazeit – von Argentiniens Horrorzahlen über Irland und Neuseeland, China und Indien bis hin zu Zeugnisnoten international.
Es muss nicht immer Nabelschau im Coronaticker sein – der Blick über die Schweiz und Mitteleuropa hinaus lohnt sich auch in Seuchen-Zeiten, wie die folgenden sieben Kurzgeschichten aus unserer verrückten Coronawelt aufzeigen sollen.
Argentinien: Horror-Zahlen
Die Schweizer Coronastatistiken könnten dieser Tage vielleicht besser sein – aber die aktuellen Zahlen aus Argentinien sind der reinste Alptraum: Dort beträgt die Positivitätsrate gerade furchteinflössende 72,5 Prozent.
Argentina COVID update:
- New cases: 10,324 - Positivity rate: 72.5% - New deaths: 287 - In hospital: 28,298 (+135) - ICU: 4,237 (+37)
Über 10'000 Neuinfektionen sprechen eine deutliche Sprache – und von gut 28'000 Spitalpatienten müssen auch noch gut 4'200 intensivmedizinisch bereut werden. 287 Menschen sind dem Virus dort erlegen – dagegen geht es uns wirklich noch sehr, sehr gut. Gute Besserung, Argentinien!
Brasilien: Das Bolsonaro-Paradoxon
Verkehrte Welt in Brasilien: Als im Dezember 2019 noch kein Covid-Fall in Brasilien verzeichnet wurde, kam der Präsident auf nur magere 29 Prozent Zustimmung. Jair Bolsonaro nannte später die Seuche eine «kleine Grippe», steckte sich selbst an und musste mitansehen, wie die Zahl der Opfer am Sonntag die Marke von 150'000 Toten überstieg. Auch die Schallmauer von total fünf Millionen Infektionen hat Brasilien gerade durchbrochen.
Dennoch ist Bolsonaro heute so populär wie nie: Eine Umfrage hat ergeben, dass im September 40 Prozent der Teilnehmenden dem Präsidenten attestieren, gut oder exzellent auf die Pandemie reagiert zu haben. Das könnte allerdings auch einen anderen Grund haben als die Reaktion auf die Seuche: Millionen von Brasilianern erhalten seit diesem Jahr eine staatliche Coronaunterstützung von rund 100 bis 200 Franken pro Monat.
China: So merzt man einen Hotspot aus
Wer China für seine rigorose Coronapolitik bewundert, darf sich nun mal wieder bestätigt fühlen: Einem neuen, eher zarten Aufflammen der Pandemie in der früheren deutschen Kolonie Tsingtao begegnet der Staat mit ganzer Wucht. Die ostchinesische Küstenmetropole Qingdao will seine gesamte Bevölkerung von mehr als neun Millionen Menschen auf das Virus testen.
Das teilte die lokale Gesundheitskommission mit, nachdem über das Wochenende ein Dutzend neuer Infektionen aufgetreten waren, die im Zusammenhang mit einem lokalen Spital stünden. Unmittelbar, nachdem die ersten Infektionen festgestellt wurden, seien bereits über 140'000 Menschen getestet worden – vor allem im Gesundheitssektor. «Die gesamte Stadt wird innerhalb von fünf Tagen getestet», so die Behörden.
Pekings Durchgreifen lässt China dann auch bei der Bewertung der Coronabekämpfung ganz vorne landen – siehe letzten Punkt. Ins Hintertreffen gerät bei den Lobliedern auf China jedoch zumeist, dass diese Höchstleitungen mit der Aufgabe von Grundrechten und Freiheiten teuer erkauft sein will.
Irland: Junge Patienten landesweit
1'012 neue Fälle – Zahlen wie am Samstag hatte Irland zuletzt im April zu Zeiten des Lockdowns. Am Sonntag sank der Wert zwar auf 814 – doch von Zuständen wie am 1. August, als es nur 44 Neuansteckungen gab, ist die Insel weit entfernt.
Was bei Irland auffällt, ist das Alter der Betroffenen: Von den 1'012 Fällen vom Samstag waren 71 Prozent der positiv Getesteten jünger als 45. Ihr Durchschnittsalter lag laut «Irish Times» bei nur 30 Jahren. 241 von ihnen kamen aus Dublin, 330 aus vier weiteren Städten und 441 aus ländlichen Bezirken.
Indien: Zynisches Schicksal
Es sind absonderliche Zeiten, die absurde Geschichten schreiben – und eine solche kolportiert der indische Sender NDTV: Es geht um einen Bauern im Bezirk Medak im indischen Bundesstaat Telangana, der zeit seines Lebens ein grosser Fan von Donald Trump gewesen sein soll.
Bussa Krishna Raju soll den US-Präsidenten vergöttert haben. «Er hat letztes Jahr sogar eine zwei Meter grosse Statue gebaut und ihn angebetet», berichtet ein Freund. Als er von Trumps Infektion erfahren habe, sei er ziemlich mitgenommen gewesen. «Er hat nachts nicht mehr geschlafen, gehungert und den letzten drei, vier Tagen für die Genesung des US-Präsidenten gebetet.»
Trumps Schicksal wurde am Sonntag dann zum Schicksal von Bussa Krishna Raju: Der fromme Inder, der für die Gesundheit des 74-jährigen Amerikaners betete, erlag einem Herzinfarkt.
Neuseeland: Die grosse Ausnahme
Über eine Million Menschen sind bisher Opfer der Pandemie geworden. Ein Land hat die Seuche aber nicht nur im Griff, sondern kann sogar eine gesunkene Mortalität vorweisen: Die Rede ist von Neuseeland, das derzeit etwas mehr als 1'800 Fälle insgesamt zählt und 25 Tote zu beklagen hatte.
Insgesamt ist die Todesrate dort während der Pandemie sogar gesunken, weil die Grippesaison nicht mehr so viele Opfer fordert. Normalerweise fangen sich dort jedes Jahr rund 20'000 Personen Influenza ein, was 400 bis 500 von ihnen umbringt. In dieser Wintersaison, die im September zu Ende ging, habe es aber praktisch keine Influenza-Welle gegeben, sagte die Fachärztin Sue Hang gegenüber «Stuff».
Nikki Turner Immunisation Advisory Centre bestätigt, dass es zuletzt womöglich gar keinen Influenza-Toten gegeben habe. Es habe zwar «rund ein Dutzend» Influenza-Fälle gegeben und auch einige Tote nach Atemwegserkrankungen. «Aber wir sind nicht sicher, dass es sich um Grippe handelte.»
Der Rückgang hänge mit dem Lockdown im April zusammen, wenn auch die Grippesaison losgeht. Abstands- und Hygieneregeln hätten im Weiteren dazu beigetragen, die Infektionen derart niedrig zu halten.
Zeugnis: Internationale Noten
Das Barcelona Institute for Global Health hat eine Umfrage in 19 Ländern gemacht, die von der Pandemie mehr oder weniger stark betroffen sind. Die Teilnehmenden sollten im Juni 2020 auf einer Skala von Null bis Hundert einordnen, wie gut sich ihr Staat während der Pandemie geschlagen hat.
China 80.48 Südkorea 74.54 Südafrika 64.62 Indien 63.88 Deutschland 61.32 Kanada 61.00 Singapur 57.55 Italien 51.71 USA 50.57 Frankreich 49.20 Russland 48.85 Grossbritannien 48.66 Mexiko 46.48 Nigeria 46.32 Spanien 44.68 Schweden 42.07 Polen 41.28 Brasilien 36.35 Ecuador 35.76
Erstes Aha-Erlebnis: Die Schweiz fehlt auf der Liste. Die zweitwichtigste Erkenntnis: In China herrscht massenweise Zufriedenheit. Drittens: Die Brasilianer geben sich selbst im Durchschnitt die zweitwenigsten Punkte, aber lieben Jair Bolsonaro mehr denn je – siehe oben.