Verzweiflung im Schlamm Aufräumen nach Flutkatastrophe in Norditalien 

dpa/tpfi

18.5.2023 - 16:46

Aufräumen nach Flutkatastrophe in Norditalien

Aufräumen nach Flutkatastrophe in Norditalien

STORY: Alles voller Schlamm, alles verloren – nach den schweren Überschwemmungen in Norditalien waren am Donnerstag viele Menschen damit beschäftigt, die Folgen der Katastrophe zu beseitigen. So wie hier in Cesena sind zahlreiche Orte in der Region Emilia-Romagna betroffen. Einige Bewohner stehen vor den Trümmern ihres bisherigen Lebens und ihrer Erinnerungen. Das Album mit den Hochzeitsfotos durchweicht, nichts als Müll. «Mein Eheleben liegt jetzt da drüben, in der Tonne», sagt diese Frau. Ihr Mann beschreibt den Moment der Katastrophe. «Das Wasser kam durch die Dusche hoch. Ich habe geschlafen, sie hat mich geweckt und wir konnten entkommen. Innerhalb weniger Minuten stand alles voll, das war so gegen 4:30, vielleicht 5.00 Uhr in der Früh.» Sintflutartige Regenfälle hatten mehr als 20 Flüsse in der Region über die Ufer treten lassen. Die schlammigen Fluten und Erdrutsche brachten Zerstörung und Tod. Mindestens neun Menschen kamen ums Leben. Tausende mussten in Sicherheit gebracht werden. Der für das Wochenende geplante Formel-1-Grand-Prix in Imola wurde abgesagt. Es war das zweite schwere Unwetter in der Emilia-Romagna seit Anfang Mai. Davor hatte die Region monatelang unter Dürre gelitten. Laut Meteorologen konnte der ausgetrocknete Boden die Wassermassen nicht rasch aufnehmen, das habe die Überschwemmungen verschlimmert. Die Betroffenen hoffen nun auch auf staatliche Hilfe. Es wird erwartet, dass die Regierung nächste Woche 20 Millionen Euro für die Emilia-Romagna bereitstellt, zusätzlich zu den 10 Millionen Euro, die bereits als Reaktion auf die Überschwemmungen Anfang Mai bereitgestellt wurden.

18.05.2023

Nach den Überschwemmungen kehren etliche Italiener in ihre Häuser zurück. Dort stehen sie tief im Schlamm. Den Betroffenen bietet sich ein Bild der Verwüstung – doch neue Niederschläge sind schon angekündigt.

dpa/tpfi

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  • Eine Unwetterfront über Norditalien hat zu schweren Überschwemmungen geführt. Mindestens elfMenschen starben in den Fluten.
  • Die Anwohner beginnen mit den Aufräumarbeiten. Viele stehen vor den Trümmern ihrer Existenz.
  • Für die betroffenen Gegenden wird bereits neuer Niederschlag angekündigt.

Giuseppe Beltrame steht im Vorgarten seines Häuschens und kann es nicht fassen. Bis zu den Schienbeinen reicht ihm der Schlamm, den die extremen Regenfälle durch den Ort Faenza geschwemmt haben. Beltrame zeigt auf die Hausmauer und einen braunen Strich in etwa zweieinhalb Metern Höhe – so hoch stand das Wasser, als er mit seiner Frau und dem Hund am frühen Mittwochmorgen von Rettungsteams im Schlauchboot evakuiert worden war.

Heute kehrt Beltrame erstmals zurück und sieht die Verwüstung: Tische, Stühle, Kommoden liegen im Wohnzimmer auf dem Boden. Der Kühlschrank in der Küche ist umgekippt. Alles ist voller Schlamm. Beltrame kommen die Tränen.

Nach den Unwettern und schweren Überschwemmungen, die die Region Emilia-Romagna in Norditalien zu Wochenbeginn heimgesucht hatten, beginnen jetzt viele mit den Aufräumarbeiten. Es überwiegt Fassungslosigkeit. Innerhalb von knapp zwei Tagen fiel an manchen Stellen so viel Regen wie normalerweise in einem halben Jahr. Mindestens elf Menschen starben in den Fluten oder durch Erdrutsche. Manche Politiker nehmen den Ausdruck «Apokalypse» in den Mund.

Verzweiflung bei den Anwohnern

Giuseppe Beltrame hatte gehofft, im ersten Stock des Reihenhäuschens ausharren zu können. Am Dienstagmorgen gegen drei Uhr, als das Erdgeschoss bereits unter Wasser stand, holte der Zivilschutz aber auch ihn ab. «Drei Familien in dieser Strasse mussten vom Helikopter weggeflogen werden», erzählt er am Donnerstag und zeigt die Via Don Giovanni Verità hinunter. Dort steht nun Federica Pizzuto und weint. Auch sie sieht erstmals, was das Wasser mit ihrem gerade frisch renovierten Haus angestellt hat. «Wir wollten Ende Mai einziehen. Die neuen Möbel sind schon drin, eine neue Küche ebenfalls», erzählt sie und versteckt die Tränen hinter einer grossen Sonnenbrille.

Nach Überschwemmungen in Italien: Höchste Alarmstufe

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Wegen der teils dramatischen Überschwemmungen gilt in der italienischen Region Emilia-Romagna weiterhin die höchste Alarmstufe rot. In der Gegend an der Adriaküste kamen offiziellen Angaben zufolge mindestens neun Menschen ums Leben.

18.05.2023

Faenza in der Provinz Ravenna ist eine der am stärksten betroffenen Gemeinden. Mindestens 23 Flüsse traten nach Behördenangaben in der ganzen Region über die Ufer. Der Lamone fliesst durch Faenza, bei den vorigen Unwettern Anfang Mai hatten die Dämme noch gehalten. «Keinen Tropfen» bekam damals Giuseppe Beltrame ab, wie er sich erinnert.

Auf Dürre folgte starker Niederschlag – zu viel für die Böden

In Norditalien herrschte in den vergangenen Monaten eine grosse Dürre und Trockenheit. Die plötzlichen und sintflutartigen Regenfälle konnte der Boden dann nicht aufnehmen, erklärt Regionalpräsident Stefano Bonaccini. «Ausserdem wurden die Flussbetten seit vielen Jahren nicht gereinigt. Kein Wunder, dass das Wasser nicht abfliessen konnte!», schimpft ein Passant, als er an den Häusern von Beltrame und Pizzuto vorbeiläuft. «Die Verantwortlichen gehören bestraft!»

Wegen der Überschwemmungen brach in vielen Teilen der Region das Strom- und Mobilfunknetz zusammen. Auch viele Trinkwasserleitungen wurden in Mitleidenschaft gezogen. In Castel Bolognese, gut fünf Kilometer von Faenza entfernt, steht ein Tankwagen der Feuerwehr vor der Sporthalle und verteilt Trinkwasser. Leute mit Plastik- und Glasflaschen stehen an, um sich Wasser zu holen und mit nach Hause zu nehmen. «Zum Trinken und zum Kochen», erklärt ihnen eine Helferin.

Drinnen in der Halle sind Dutzende Feldbetten aufgebaut. Knapp 80 Evakuierte haben in der Nacht auf Donnerstag hier geschlafen, darunter etliche alte Menschen, die nicht bei Freunden oder Verwandten untergekommen sind. Auch in der Nacht auf Freitag werden wieder viele Gäste erwartet, sagt eine Frau vom Zivilschutz. Auf den Tribünen der Halle haben Soldaten ihre Matratzen und Rucksäcke liegen, auch das italienische Heer hilft nach der Naturkatastrophe.

Die Anteilnahme ist gross in dem Mittelmeerland. Alle anderen Regionen schickten Helfer, Experten und Gerätschaften in die Emilia-Romagna und in die Marken, wo es ebenfalls zu Überschwemmungen gekommen war. Regionalpräsident Bonaccini bezifferte die Schäden auf einige Milliarden Euro, wie er am im italienischen Fernsehen sagte.

Von der Regierung forderte er schnelle Hilfe. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sicherte ihm diese aus Japan, wo sie am G7-Gipfel teilnimmt, auch zu. Papst Franziskus teilte in einem Telegramm an den Erzbischof von Bologna mit, dass er «Trost für die Verletzten und diejenigen, die unter den Folgen des schweren Unglücks leiden», erflehe.

Forderung nach besseren Schutzkonzepten

Der italienische Zivilschutz-Minister Nello Musumeci betonte, dass aufgrund der immer extremeren Wetterlagen – Trockenheit auf der einen und Unwetter auf der anderen Seite – ganz neue Konzepte hermüssten, um bewohnte Gebiete sicherer zu machen. Acht bis zwölf Monate könne es dauern, bis solche Pläne ausgearbeitet sind, sagte der Minister.

Dabei ist schon für die nächsten Tage neuer Regen angekündigt in den Gegenden rund um die betroffenen Städte wie Faenza, Ravenna, Forlì und Cesena. Giuseppe Beltrame steht in seinem Wohnzimmer im Schlamm, schüttelt den Kopf und nimmt dann einen Topf mit Blumen in die Hand, der einigermassen unversehrt geblieben ist. «Vielleicht ein Zeichen des Neubeginns...», meint er. Dabei hat er Tränen in den Augen.