Bewaffnete stürmen Live-TV-Sendung Weshalb Ecuador im Sumpf der Gewalt versinkt

tbz / dpa

10.1.2024

Ein Panzer der ecuadorianischen Armee rollt durch die menschenleeren Strassen der Hauptstadt Quito.
Ein Panzer der ecuadorianischen Armee rollt durch die menschenleeren Strassen der Hauptstadt Quito.
Bild: IMAGO/Agencia Prensa-Independiente

Galapagos-Schildkröten, majestätische Vulkane und Panflöten. Lange Zeit galt Ecuador als eines der friedlichsten Länder Südamerikas. Das hat sich drastisch geändert. Hauptverantwortlich ist der lukrative Drogenhandel.

tbz / dpa

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In Ecuador herrschen nach dem Gefängnisausbruch von zwei Anführern gefährlicher Banden bürgerkriegsähnliche Zustände.
  • Der neue Präsident des Landes verhängte am Montag den Ausnahmezustand und erklärte den kriminellen Gangs den Krieg.
  • Den Ursprung hat die Gewalt in Ecuador im Drogenhandel. Der Andenstaat gilt als wichtiges Transitland für Kokain aus Südamerika.
  • Auch mexikanische Kartelle und albanische Drogenhändler sollen ihre Hände im Spiel haben. Die Bevölkerung wappnet sich für einen Krieg.

Friedlicher Andenstaat, das war einmal. Mit einer Mordrate von rund 46,5 Tötungsdelikten pro 100'000 Einwohner gehörte Ecuador im vergangenen Jahr zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Aktuell droht sich die Lage noch einmal drastisch zu verschlechtern.

Am Montag ruft Präsident Noboa einen 60-tägigen Ausnahmezustand im Kampf gegen die Bandenkriminalität aus. Er schränkt die Versammlungsfreiheit ein und verhängt die nächtliche Ausgangssperre. Grund dafür ist der Gefängnisausbruch von Adolfo Macías, alias «Fito», dem Anführer der mächtigen «Los Choneros»-Bande. 

Es sind rigorose Massnahmen des 36-jährigen Präsidenten, der erst seit Ende November im Amt weilt. Und die Antwort der Gangs kommt postwendend: Am Dienstag überfallen bewaffnete Bandenmitglieder die Räumlichkeiten des staatlichen Fernsehsenders «TC Televisión» in der Hafenstadt Guayaquil während einer Live-Übertragung. Sie nehmen mehrere Journalisten und Mitarbeiter als Geiseln.

«Wir sind auf Sendung, damit sie wissen, dass man nicht mit der Mafia spielt», sagt ein Mann in die laufende Kamera. In den Aufnahmen, die während mehr als zehn Minuten im ganzen Land ausgesendet werden, sind Schüsse und Schreie von Menschen zu hören. Spezialeinheiten der Polizei bringen den Fernsehsender später wieder unter Kontrolle und nehmen 13 Verdächtige fest.

Mexikanische Kartelle und albanische Gangs

Im ganzen Land verüben Mitglieder krimineller Banden am Montag, Dienstag und Mittwoch Sprengstoffanschläge, setzen Fahrzeuge in Brand und greifen Sicherheitskräfte an.

Die aufflammende Gewalt in Ecuador hat ihren Ursprung im lukrativen Drogenhandel. Über die Jahre haben sich mehrere Banden Verbindungen zu mächtigen mexikanischen Kartellen erarbeitet und kämpfen um die Kontrolle der Handelsrouten für illegale Drogen. Auch albanische Drogenhändler sollen gemäss «dpa» bereits ihre Hände im Spiel haben. Der Andenstaat gilt als wichtiges Transitland für Kokain aus Südamerika, das in die USA und nach Europa geschmuggelt wird.

Wie tief die Verbrechersyndikate weite Teile der Gesellschaft infiltriert haben, zeigte sich bereits im vergangenen Jahr. Mitten im ecuadorianischen Präsidentschaftswahlkampf wurde im August nach einer Kundgebung in Quito der antretende Kandidat Fernando Villavicencio erschossen. Er hatte sich den Kampf gegen die Korruption auf die Flagge geschrieben.

Die ecuadorianische Armee übernimmt das Kommando in einem Gefängnis des Landes am Montag, dem 8. Januar 2024.
Die ecuadorianische Armee übernimmt das Kommando in einem Gefängnis des Landes am Montag, dem 8. Januar 2024.
Bild: IMAGO/Newscom / EyePress

Die Wahl gewonnen hat Daniel Noboa. Der Mitte-Politiker, der sein Geld in der Bananenindustrie verdient, würde sich eigentlich gerne für die Schaffung von Arbeitsplätzen und Steuerhilfen für neu gegründete Unternehmen einsetzen. Die aufkeimende Gewalt liess ihm aber keine Wahl. Nach seinem Sieg kündigte er an, entschlossen gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen und die Macht der aus den Gefängnissen heraus operierenden Gangs zu brechen.

Gegen Jahresende kamen erste Erfolge. Während einer grossangelegten Polizeioperation wurden über zwei Dutzend Verdächtige, darunter Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Beamte des Strafvollzugs festgenommen.

Bürgerkriegszustände

Seit Jahreswechsel droht die Situation nun aber aus dem Ruder zu laufen. Die Bekämpfung der Korruption und Gewalt ist auch deshalb schwierig, weil diese, wie die Ermittlungen zeigen, längst in die staatlichen Institutionen vorgedrungen sind. Am Dienstag soll dank der anhaltend chaotischen Zustände in den Gefängnissen auch dem Anführer der Gang «Los Lobos», Fabricio Colón Pico, die Flucht gelungen sein. Das teilten die Behörden mit.

Nun hat die ecuadorianische Regierung den kriminellen Gangs im ganzen Land den Krieg erklärt. Noboa deklarierte am Dienstag 22 kriminelle Gruppen per Dekret als terroristische Organisationen und nicht-staatliche Kriegsparteien, die ausgeschaltet werden sollen. «Alle diese Gruppen sind jetzt militärische Ziele», vermeldete Militärchef Jaime Vela in einer Ansprache.

Wie die Sicherheitsbehörden mitteilten, wurden am Mittwoch 70 Verdächtige festgenommen. Aus Angst vor Plünderungen verbarrikadierten viele Geschäftsleute ihre Läden. Bis Ende der Woche sollen alle Schulen des Landes geschlossen bleiben, wie das Bildungsministerium mitteilte. Tausende Soldaten und Polizisten patrouillierten auf den Strassen. Das Land der Panflöten wappnet sich für den Krieg.

Die Armee schützt den in der Nähe anwesenden Präsidenten Daniel Noboa mithilfe einer Strassenblockade.
Die Armee schützt den in der Nähe anwesenden Präsidenten Daniel Noboa mithilfe einer Strassenblockade.
Bild: IMAGO/Agencia Prensa-Independiente