Wohnungsnot Mehr und mehr Geschwister müssen sich ein Zimmer teilen

mmi

18.4.2023

Um in urbanen Gebieten wohnen zu können, verzichten Familien auf mehr Platz. Konkret heisst das: Nicht mehr jedes Kind hat sein eigenes Zimmer.
Um in urbanen Gebieten wohnen zu können, verzichten Familien auf mehr Platz. Konkret heisst das: Nicht mehr jedes Kind hat sein eigenes Zimmer.
Keystone

Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) warnt in einer neuen Studie vor Wohnungsnot. Besonders in Städten ist das Angebot knapp und die Mieten hoch. Trotzdem ziehen vermehrt Familien dorthin.

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  • Eine am Dienstag veröffentlichte Studie der Zürcher Kantonalbank (ZKB) warnt vor einer Wohnungsnot in der Schweiz.
  • Weniger Planung, langwierige Verfahren und rigide Lärmschutzbestimmungen verzögern demnach die Schaffung von Wohnraum.
  • Doch trotz hoher Mieten und knappem Angebot ziehen vermehrt Familien in die Städte – dafür verzichten sie auf mehr Platz und rücken enger zusammen.

Die Zuwanderung ist einer der Hauptgründe, dass in der Schweiz die Bevölkerung seit Jahren kräftig wächst. Entsprechend mehr Wohnraum wird benötigt.

Doch, wie aus der am Dienstag von der Zürcher Kantonalbank (ZKB) veröffentlichten Studie «Immoblilien aktuell» hervorgeht, werden momentan deutlich weniger Neubauwohnungen erstellt als noch vor wenigen Jahren.

Der Grund: Der Bausektor hat wegen der damals teilweise hohen Leerstände weniger Baugesuche eingereicht, so die ZKB.

In den Gemeinden mit einem Wohnungsleerstand von über 2,5 Prozent seien die Baugesuche konkret um einen Viertel tiefer als 2019. Aber auch in Gemeinden mit knappem Mietwohnungsangebot seien weniger Wohnungen geplant worden.

 140 Tage dauert's im Schnitt vom Gesuch bis zur Bewilligung

Ein grosses Problem stellen laut ZKB zudem die baulichen Rahmenbedingungen dar. Es seien zwar alle für Verdichtung, allerdings nicht vor der eigenen Haustür. Daher sei der Neubau von Häusern zu einem regelrechten Hürdenlauf geworden.

Vom Baugesuch bis zur Baubewilligung dauere es heute im Landesschnitt 140 Tage – das sind 56 Tage mehr als noch 2010 (+67 Prozent). Dabei gelte:  je dichter besiedelt, desto länger die Verzögerung. Im urbanen Kanton Zürich sind es bereits fast 200 Tage.

In der Stadt Zürich habe sich die Zeitspanne gegenüber 2010 auf knapp ein Jahr mehr als verdoppelt. Am längsten dauert es mit 500 Tagen unterdessen im Kanton Genf.

Und wenn die Baubewilligung einmal vorliege, könnten Projekte aufgrund erfolgreicher Rekurse doch noch gekippt werden. «Einsprachen werden nicht umsonst als fünfte Landessprache bezeichnet», wird Ursina Kubli, Leiterin des Immobilienresearchs der ZKB, zitiert.

Seit 2010 sei jede zehnte Wohnung trotz Baubewilligung nicht realisiert worden. Dies seien jährlich rund 4'000 Wohnungen. Ein Grund dafür sei etwa die rigide Umsetzung der Lärmschutzbestimmungen. Der künftige Fokus der Politik sollte laut ZKB daher klar auf dem Abbau dieser Hürden liegen.

Da heute immer weniger auf der grünen Wiese gebaut werde, sondern für verdichtetes Bauen mehr alte Immobilien abgerissen würden, brauche es wegen der hohen Nachfrage ausserdem viel mehr Baugesuche. 

Trotz hoher Mieten: Mehr Familien in der Stadt

Familien haben es seit langem schwer, in grossen Städten eine bezahlbare Wohnung zu finden. Interessanterweise hat ihr Anteil in der Stadt Zürich von 2014 bis 2021 trotz der hohen Mieten um 1,3 Prozentpunkte auf 19,7 Prozent zugenommen, so die ZKB.

Städte seien für Familien wegen der kürzeren Pendelwege und der besseren Infrastruktur (Betreuung, Kultur und Sport) attraktiv. Zudem könnten sie sich auch aufgrund der stark gestiegenen Immobilienpreise kein Wohneigentum mehr auf dem Land leisten, sagt Kubli.

Deshalb verzichten die Familien auf Platz und rücken enger zusammen. 25 Prozent der Familien mit zwei Kindern lebten in der Stadt Zürich in Dreizimmerwohnungen. Das heisst konkret: Es hat nicht mehr jedes Kind sein eigenes Zimmer.

Der Umzug aufs Land in die eigenen vier Wände ist für viele Familien dabei auch keine Alternative. Denn dort sind die Preise in den vergangenen Jahren ebenfalls stark gestiegen. Zudem ist nach dem starken Zinsanstieg das Mieten wieder günstiger geworden als das Besitzen.

Das gilt nicht nur für Zürich, Ähnliches lasse sich auch für andere Städte wie Basel, Bern oder Genf sagen.

So ist der Anteil von Familien in eigenen vier Wänden auf dem Land zwischen  2014 und 2021 um 3,8 Prozentpunkte gesunken. «Familien wohnten heute häufiger als früher in einer Mietwohnung in der Nähe ihres Arbeitsortes.»

Für einkommensschwache Familien dagegen ist das Wohnen in der Stadt auch mit Einschränkungen bei der Wohnfläche unerreichbar. Mit etwas Glück könnten diese in Genossenschaften oder Sozialwohnungen ein Dach über dem Kopf finden. Daher sei der Anteil von Familien auch dort gross, wo der Anteil gemeinnütziger Wohnbauten hoch sei.

(*mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA)

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