Nach Corona-Crash Indische Wirtschaft hofft nach Corona-Crash auf raschen Aufschwung

AP/toko

3.10.2020

Indien ist vom Coronavirus schwer getroffen. Vor allem die Ärmsten leiden darunter.
Indien ist vom Coronavirus schwer getroffen. Vor allem die Ärmsten leiden darunter.
Keystone/AP Photo/R S Iyer

Nach Jahren des Wachstums folgte dieses Frühjahr der Absturz. Hunderte Millionen Inder leiden unter den Auswirkungen der Pandemie. Im Herbst sorgen hinduistische Feiertage sonst für einen Schub im Handel. Ob es auch diesmal so kommt, bleibt abzuwarten.

Die Feste Dussehra, Diwali und Durga Puja werden dieses Jahr besonders sehnlich erwartet. Das liegt nicht nur an ihrer religiösen Bedeutung. Für unzählige indische Unternehmen sind sie eine Chance, nach den katastrophalen Monaten der Coronavirus-Krise wieder wirtschaftlich auf die Beine zu kommen. Das Problem ist allerdings, dass die meisten potenziellen Kunden derzeit kaum zu grösseren Ausgaben neigen dürften.



Die Festtagssaison der Hindus durchzieht fast das ganze vierte Quartal. In normalen Jahren nutzen viele Inder diese Zeit für teurere Anschaffungen. Sie kaufen Kleidung, Smartphones und andere Elektrogeräte, aber auch Goldschmuck, Autos oder sogar Häuser. Zuletzt hatten immer mehr Menschen im Land das notwendige Geld gehabt. Das Wirtschaftswachstum war seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Narendra Modi enorm.

Doch die Pandemie hat alles verändert. Millionen Menschen sind seit März arbeitslos geworden. In vielen Fällen sind die Familien der Betroffenen von Hunger bedroht. Und nicht zu vergessen: Mehr als 100'000 Inder sind nach einer Ansteckung mit dem Coronavirus schon gestorben; die Zahl der bestätigten Infektionen liegt derzeit bei etwa 6,4 Millionen.

Noch ist kein Aufschwung in Sicht

Die anstehenden Feierlichkeiten dürften weniger pompös ausfallen als sonst – sowohl wegen der Gefahr einer weiteren Ausbreitung des Virus als auch wegen der Wirtschaftslage. Die Regierung bemüht sich, die Folgen der Krise zu mildern. Nach einem zweimonatigem Lockdown sind viele Schutzmassnahmen seit Juni gelockert worden. Aber noch ist kein Aufschwung in Sicht. Das Geschäft liege weiter nur zwischen einem Fünftel und einem Viertel der normalen Werte, sagt Praveen Khandelwal, Leiter des Verbands Confederation of All India Traders.

Im August kündigte Modi Investitionen in die Infrastruktur in Höhe von umgerechnet etwa 1,24 Billionen Euro an. Der Gesundheitssektor soll mit einer Finanzspritze von 1,7 Milliarden Euro gestützt werden. Bereits im März hatte die Regierung ein Konjunkturpaket im Umfang von 18,7 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Darin enthalten war auch die Versorgung von 800 Millionen Menschen mit Nahrung – etwa 60 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Arme Menschen brauchen direkte Geldzuwendungen

Trotzdem schrumpfte die indische Wirtschaft im zweiten Quartal um beispiellose 24 Prozent. In den drei folgenden Monaten setzte sich der Absturz fort. Die Regierung müsse noch mehr tun, sagt der Ökonom und Nobelpreisträger Abhijit Banerjee. Arme und andere besonders vom Lockdown gebeutelte Menschen bräuchten direkte Geldzuwendungen. Die bisherigen Hilfsmassnahmen in Indien entsprächen nur etwa einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts; das Rettungspaket der USA im März habe zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen.

Durch die im März verhängten Schutzmassnahmen verloren mehr als zehn Millionen verarmte Wanderarbeiter ihre Jobs. Viele von ihnen mussten von den Städten zurück die Heimat reisen. Die jüngsten Lockerungen haben ihre Situation kaum verbessert. «Es gibt fast keine Arbeit», sagt der 46-jährige Ram Ratan, der vor der Pandemie in einer Druckerei tätig war. «Wir laufen ständig umher, um irgendeine feste Arbeit zu finden, aber die meisten Fabriken lassen uns nicht herein.»

Mansoor Ansari ist einer von Hunderten, die jeden Tag an einem Kreisverkehr in einem Industriegebiet darauf hoffen, von einem Unternehmen mitgenommen zu werden. Vor Beginn des Lockdowns hatte er laut eigenen Angaben in einer Bekleidungsfabrik in Manesar nahe der Hauptstadt Neu Delhi etwa 170 Euro im Monat verdient. Damit habe er nicht nur seine Miete zahlen, sondern auch Geld an seine Familie im Unionsstaat Bihar schicken können, sagt er.

Deshraj, der nur einen Namen nutzt, verlor seine Arbeit als Kellner in einem Strassenrestaurant in der westindischen Stadt Surat. Seit dem Frühjahr arbeitet er wieder in seinem Heimatdorf auf den Feldern. Ungewöhnlich starker Regen zerstörte aber gleich im April Teile der Ernte. Ähnlich sei es vielen ergangen, sagt Raja Bhaiya, der eine Organisation zur Unterstützung von Bauern leitet. Wegen ausgebliebener Ernten hätten sich in den Dörfern etliche Betroffene sogar das Leben genommen.

Das Kabinett in Neu Delhi gibt sich derweil zuversichtlich, dass das Schlimmste überstanden sei. Wichtige Industriesektoren wie Kohle, Öl, Gas, Stahl und Zement würden sich allmählich erholen, sagt Krishnamurthy Subramanian, oberster Wirtschaftsberater der Regierung. Die Produktion in der Landwirtschaft nimmt den Angaben zufolge um 3,4 Prozent zu.

Für die fast 70 Millionen Händler in Indien, die etwa 400 Millionen Menschen beschäftigen, kann es mit dem Aufschwung aber gar nicht schnell genug gehen. Viele von ihnen spekulieren auf die bevorstehende Festtagssaison – hüten sich aber zugleich vor allzu hohen Erwartungen.

Die Brüder Sanyam und Ankit Jain, 24 und 31 Jahre alt, hatten im Grossraum von Neu Delhi bis vor Kurzem drei Kleidungsgeschäfte. Eines haben sie inzwischen aufgegeben – und sie wären froh, wenn es ihnen gelänge, dieses Jahr auch nur die Hälfte ihres Lagerbestands zu verkaufen. «Die Regierung hat uns überhaupt keine Entlastung verschafft», sagt Ankit Jain.

Normalerweise nähmen die Verkäufe im Herbst um 20 bis 25 Prozent zu, sagt Nitin Makkar, der knapp ausserhalb der Hauptstadt in Noida ein Geschäft hat. «Diesmal mache ich mir keine Hoffnungen in diese Richtung, da sich die Menschen darauf beschränken könnten, nur das Notwendigste zu kaufen und Luxuswaren zu meiden.»

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