Tiefe Erwerbslosigkeit «Das kann für die Firmen teuer werden»

Von Monique Misteli

7.10.2022

Der Schweizer Arbeitsmarkt brummt weiter über alle Branchen hinweg.
Der Schweizer Arbeitsmarkt brummt weiter über alle Branchen hinweg.
Keystone

Ukraine-Krieg, Energiekrise und Lieferengpässe: Der Schweizer Arbeitsmarkt trotzt den gegenwärtigen Krisen, die Lage ist so gut wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Wie ist das möglich?

Von Monique Misteli

7.10.2022

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) teilte am Freitagmorgen mit, dass im September bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) fast 2'000 Menschen weniger als arbeitslos gemeldet waren als im Vormonat. Das sind beinahe 31'000 weniger als vor Jahresfrist.

Die gute Lage des Arbeitsmarkts zeigt auch die tiefe Arbeitslosenquote: Sie fiel im September auf 1,9 Prozent und damit erstmals seit über 20 Jahren unter die 2-Prozent-Schwelle.

Vor einem Jahr hatte die Quote noch 2,6 Prozent betragen und im Februar 2021 war sie im Zuge der Corona-Krise bis auf 3,7 Prozent geklettert.

Die historisch tiefe Arbeitslosenquote hat vor allem mit den sogenannten Aufholeffekten zu tun, nach dem Wegfall der pandemiebedingten Beschränkungen, sagt Daniel Kopp von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich.

«Gehen die Leute wieder öfter ins Restaurant oder verreisen mehr, braucht es automatisch mehr Arbeitskräfte», so der Arbeitsmarktexperte.

Die konjunkturelle Entwicklung wirkt sich jeweils leicht verzögert auf den Arbeitsmarkt aus. Weil sich deren Aussichten eintrüben, geht Kopp deshalb davon aus, dass ab dem Spätherbst auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt etwas schwieriger wird: «Aber im Moment scheint die Krise noch nicht auf dem Arbeitsmarkt angekommen zu sein.»

Des einen Freud ist des andern Leid

Laut Seco sei die Arbeitslosenquote über beinahe allen Branchen hinweg sehr gut, wobei sich die Situation zuletzt vor allem im Detailhandel verbessert habe.

Die sehr gute Lage am Arbeitsmarkt ist vor allem eine gute Nachricht für alle Arbeitnehmenden. Das heisst, Stellensuchenden finden tendenziell rascher einen Job. Aber auch für Leute, die die Arbeitsstelle wechseln wollen, ist eine tiefe Arbeitslosigkeit von Vorteil. «Stellensuchende können bessere Konditionen verhandeln, weil es weniger Mitbewerbende gibt», so Kopp.

Was des einen Freud ist, ist des andern Leid. Eine tiefe Arbeitslosigkeit ist für Unternehmen oft mit einer schwierigeren Personalsuche verbunden. Der Fachkräftemangel hat sich zusehends verschärft.

Für die Unternehmen ist es schwieriger geworden, die passenden Arbeitskräfte zu finden. Gemäss Seco werde dies in den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren breit über alle Branchen hinweg wahrgenommen.

«Das kann für die Firmen teuer werden», sagt Kopp, weil sich der Rekrutierungsprozess in die Länge zieht oder man sich Massnahmen überlegen müsse, die Arbeitnehmenden anzulocken.

Brachliegendes Potenzial der Frauen nutzen

Doch wie soll man dem Fachkräftemangel entgegenwirken, bei so einer tiefen Arbeitslosenquote? Laut Kopp gibt es da verschiedene Ansätze. Nebst der Rekrutierung ausländischer Fachkräfte liege rein zahlenmässig das grösste Potenzial bei den Frauen brach.

«Eine naheliegende Strategie für Unternehmen ist, für Frauen attraktiver zu werden, damit die in höheren Pensen arbeiten könnten.» Eine weitere Möglichkeit wäre, bei Neurekrutierungen auf weniger erfahrene Kandidat*innen zu setzen und in deren Aus- und Weiterbildung zu investieren.

Weniger auf Jobsuche

Wie ausgetrocknet der Jobmarkt derzeit in der Schweiz ist, zeigt sich anhand der Daten zur Stellensuche deutlich. Im September nahm die Zahl der auf den RAV registrierten Stellensuchenden laut dem Seco um rund 2'000 auf knapp 160'000 ab. Vor Jahresfrist waren es beinahe 50'000 mehr.

Zugleich erhöhte sich die Anzahl der bei den RAV gemeldeten Stellen um 1'580 auf knapp 70'000. Von diesen unterlagen beinahe 56'000 der Meldepflicht für Berufsarten mit einer Arbeitslosenquote von im letzten Jahr mindestens 5 Prozent. Dazu zählen Berufe aus der Hotellerie und Gastronomie oder dem Bau. Die Liste dürfte im kommenden Jahr deutlich kürzer werden.

Kurzarbeit kaum mehr relevant

Kaum mehr eine Rolle spielt das Instrument der Kurzarbeit. Im Juli – die Daten werden mit Verzögerung gemeldet – waren nur noch 1'992 Personen in Kurzarbeit. Damit ging die Zahl der Kurzarbeiter gegenüber dem Vormonat Juni um 901 Personen weiter deutlich zurück. Anfang Jahr waren noch knapp 54'000 Menschen in Kurzarbeit gewesen.

Doch das könnte sich angesichts einer möglichen Energiekrise wieder etwas ändern, sagt Kopp.

(*mit Material der Nachrichtenagenturen AWP und SDA)