Marode Atom-MeilerWie sich Frankreichs Energiekrise auf die Schweiz auswirken kann
Von Herbert Aichinger
24.9.2022
Energiekrise in Frankreich: Von 56 Meilern sind 28 abgeschaltet. Was bedeutet die Stromknappheit für die Schweiz, die in das europäische Stromnetz eingebunden ist?
Von Herbert Aichinger
24.09.2022, 00:00
Herbert Aichinger
Am Eiffelturm, auf der Champs-Élysées und rund um andere Wahrzeichen der französischen Metropole ist jetzt erst mal Schluss mit der Lichterpracht: Im Rahmen des städtischen Energiespar-Plans wird die Beleuchtung an öffentlichen Gebäuden künftig um 22 Uhr abgeschaltet.
Schuld ist Frankreichs Energiekrise: Auch Geschäfte werden dazu angehalten, ihre Leuchtreklame von 22 Uhr bis 7 Uhr abzuschalten. Die neue Regelung soll bis zum 15. Oktober flächendeckend umgesetzt werden.
Die Gründe der Energiekrise dürften beim staatlichen Stromkonzern EDF zu suchen sein: Insgesamt sind derzeit 28 von 56 Kraftwerken abgeschaltet – teils wegen Wartungsmassnahmen, die wegen der Corona-Pandemie aufgeschoben worden waren, aber auch aufgrund von Korrosionsschäden, auf die 13 Meiler gerade überprüft werden.
Eine externe Untersuchung führt die langen Verzögerungen der Wartungsarbeiten jedoch auch auf «vielfältige Faktoren der Ineffizienz» zurück. So würde in den USA die Wartung eines Kernkraftwerks gerade einmal 30 Tage in Anspruch nehmen, während in Frankreich dafür 70 bis 119 Tage veranschlagt werden.
Engpässe mit Strom aus Deutschland überbrückt
Frankreich importiert derzeit mehr Strom als üblich aus Deutschland, um seinen Energiebedarf zu decken. Der Kraftwerksbetreiber EDF hat sich jedoch verpflichtet, möglichst alle abgeschalteten Meiler bis zum Winter wieder einsatzbereit zu machen.
In Deutschland hat die Atomkrise in Frankreich nachhaltige Auswirkungen. Denn von der weiteren Entwicklung hängt ab, ob Deutschland zwei der letzten drei verbliebenen AKWs zum Jahresende abschalten kann oder doch noch weiterbetreiben muss.
Damit gerät der festgelegte Zeitplan für den deutschen Atomausstieg in Gefahr – in einer Zeit, in der die Energieversorgung durch den Ukraine-Krieg zusätzlichen Einschränkungen unterworfen ist.
Auswirkungen auf die Schweizer Energieversorgung?
Problematisch ist für Deutschland ferner, dass kürzlich ein defektes Druckventil im Kühlkreislauf des «Notfallmeilers» Isar 2 entdeckt wurde. Dieses müsste noch im Oktober repariert werden, damit das Kraftwerk auch im folgenden Jahr weiter betrieben werden könne.
Valentin Schmidt, Leiter Kommunikation bei der Schweizerischen Energie-Stiftung SES, sieht die Lage derzeit noch nicht angespannt: «Bis jetzt sind die Ausfälle im französischen AKW-Park noch kein Problem für die Schweiz», konstatiert Schmidt. «Traditionellerweise produziert die Schweiz selber mehr Strom im Sommer als im Winter und exportiert dementsprechend mehr im Sommer. Bislang stellen wir also noch keine Knappheit fest.»
Wie sich die Situation im Winter darstellen würde, hänge von den Massnahmen ab, die der Bund ergreift – wie etwa Anreize für Wasserkraftreserven in den heiklen Wintermonaten Februar und März. Auch der Erfolg der freiwilligen Stromspar-Kampagne spiele eine Rolle.
Laut Valentin Schmidt belasten die französischen AKW-Ausfälle die Verfügbarkeit des Schweizer Stromnetzes nicht: «Zurzeit entspricht die Produktion der Nachfrage.»
Preissteigerungen unterschiedlich stark
Und das, obwohl auch die Schweiz normalerweise Strom aus Frankreich bezieht: «Schweizer Stromfirmen haben über Jahre hinaus bilaterale Abnahmeverträge geschlossen», erklärt Schmidt. «Der Atomstrom wird vor allem für Pumpspeicher-Aktivitäten in der Nacht eingesetzt.»
Von den massiven Preissteigerungen im Energiesektor bleiben jedoch weder Unternehmen noch private Verbraucher verschont. Letztere sind von ihrem regionalen Energieversorger (EVU) abhängig – daher variieren die Preisanstiege je nach Region.
«Das hat damit zu tun, inwiefern ein EVU über eigene Kapazitäten zur Stromproduktion verfügt – zum Beispiel eigene Wasserkraftwerke, was geringere Preisanstiege nach sich zieht – oder ob sie ihren Strom vor allem am Markt beschaffen, was die Preise stärker in die Höhe treibt», erläutert Valentin Schmidt.
Besonders hart trifft die Energiekrise in der Schweiz Unternehmen, die mehr als 100‘000 kWh im Jahr verbrauchen. «Diese können in der Schweiz wählen, ob sie im Monopol bleiben oder ihren Strom im liberalisierten Markt einkaufen.» Wer im liberalisierten Markt einkauft, ist laut Schmidt von besonders krassen Preissteigerungen betroffen.