Nati besiegt Nazis Als die Schweiz Hitler ein besonders lästiges Geschenk machte

Von Philipp Dahm

20.4.2021

Szene des Länderspiels zwischen der Schweiz und Deutschland am 20. April 1941 im Wankdorfstadion in Bern.
Szene des Länderspiels zwischen der Schweiz und Deutschland am 20. April 1941 im Wankdorfstadion in Bern.
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1941 scheint militärisch kein Kraut gegen sie gewachsen zu sein, doch beim Fussball leistet ein kleines Alpenland Widerstand: Vor 80 Jahren hat die Nati Deutschland geschlagen – ausgerechnet an Hitlers Geburtstag.

Von Philipp Dahm

20.4.2021

20. April 1941. Seit gut eineinhalb Jahren überzieht Adolf Hitler Europa mit Krieg, und er feiert zu jener Zeit nicht nur einen militärischen Erfolg nach dem anderen, sondern auch seinen 52. Geburtstag. Und dann steht da in Bern noch der Match der Nati gegen Nazideutschland an. Ausgerechnet.

Es läuft beim Geburtstagskind. Polen und Frankreich konnten sich dem Sturm nicht widersetzen, die Wehrmacht marschiert schier unaufhaltsam über den Balkan und schickt sich an, die Briten aus Griechenland zu jagen. Im Geheimen plant der Diktator gerade seinen nächsten Coup: den Angriff auf die Sowjetunion.

In jenem Moment, in dem alles niedergemäht wird, was sich Deutschland in den Weg stellt, steht ein Rasen-Duell gegen die Nati an. Und das auch noch an Hitlers Geburtstag. Kein Wunder, dass der Match Bern nervös macht, aber die Schweiz gleichzeitig auch unter Strom setzt: Der Fussball gehört inzwischen zur «Geistigen Landesverteidigung».

Leicht am Gruss zu erkennen: das deutsche Team.
Leicht am Gruss zu erkennen: das deutsche Team.
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«Jene Auseinandersetzung mit den Deutschen im Berner Wankdorfstadion, ausgetragen in einer politisch überreizten Atmosphäre, war weit mehr als nur ein Spiel», erinnert sich Torhüter Erwin Ballabio 1963. «Für uns, die wir fast alle im Militärdienst standen, galt es, Ehre einzulegen für das Vaterland. Beim Abmelden bemerkte mein Kommandant: ‹Wenn ihr gewinnt, gibt's acht Tage Urlaub.›»

Nervöse Schweizer Zensoren

Auf der anderen Seite soll der Nachbar ja nicht provoziert werden: Die Zensurbehörde macht bei der «Gewerkschaftskorrespondenz» schon vor dem Spiel Druck, damit die sich zurückhält – und als die «Berner Tagwacht» drei Tage später über den Vorgang berichtet, darf das Blatt deshalb drei Tage nicht erscheinen. Auch der «Sport» wird gemassregelt.

Am Spieltag strömen 38'000 Menschen ins Berner Wankdorfstadion: Der Match ist eine willkommene Abwechslung vom grauen Alltag. Vor allem das gegnerische Team freut sich, denn Reichstrainer Sepp Herberger hat keine Mühe, den Spielern für das Duell Fronturlaub zu verschaffen.

Stimmung!
Stimmung!
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Neben der Nationalhymne spielen die Gastgeber auch das Horst-Wessel-Lied, die Hymne der Nationalsozialisten. Henri Guisan verzieht dabei keine Miene – auch wenn der General das Treiben der Nazis kritisch sieht, nimmt er Achtungsstellung ein.

Guisan als Motivator

Doch zuvor hat Fussballfan Guisan jeden Spieler der «braven Schweizermannschaft» per Handschlag begrüsst. Er hofft natürlich auf einen Sieg, muss aber den Rückstand hinnehmen. Nachdem Deutschland in Führung geht, gleicht Numa Monnard jedoch noch vor der Pause aus, in der Guisan die Mannschaft nochmals anspornt.

In der zweiten Halbzeit gelingt der entscheidende Treffer: Die Schweiz besiegt Deutschland. Schon wieder. Wie beim ersten Länderspiel der Nachbarn, das sie in Basel 5:3 verloren haben. Oder wie bei der WM 1938, als Grossdeutschland mit viel Tamtam nach Frankreich fährt, um in der ersten Runde von der Nati nach Hause geschickt zu werden. Eine Schmach für Berlin – und das an Hitlers Geburtstag!

Die Nati entscheidet den Match 2:1 für sich.
Die Nati entscheidet den Match 2:1 für sich.
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Die Schweiz verfällt in einen Freudentaumel, vor der Zürcher «Sport»-Redaktion versammelt sich eine Menschenmenge, das ganze Land feiert die Nati. «Der Sieg gegen ‹Grossdeutschland› wirkte als eigentlicher Katalysator eines Wir-Gefühls», schreibt der Historiker Christian Koller über den Match.

Goebbels zürnt

Die Verlierer nehmen das Ganze alles andere als sportlich. Joseph Goebbels ist wütend: In Zukunft darf «kein Sportaustausch gemacht werden, wenn das Ergebnis im Geringsten zweifelhaft ist». Er ahnt nicht, dass Deutschland schon bald mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat.

Und Hitler? Der war gewiss nicht erfreut, aber anscheinend auch kein grosser Fussballfan. Er ist tot, als Deutschland 13 Jahre nach dem Match Weltmeister wird – in Bern. Der Trainer heisst Sepp Herberger – und auch Fritz Walter macht die Niederlage von damals mit dem Titelgewinn im Wankdorfstadion vergessen.

Die Fans ausser Rand und Band.
Die Fans ausser Rand und Band.
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Team Schweiz: Erwin Ballabio (FC Grenchen), Severino Minelli (GC Zürich), August Lehmann (FC St. Gallen), Franco Andreoli (FC Lugano), Albert Guinchard (Servette Genf), Harry Winkler (GC Zürich), Olivier Eggimann (BSC Young Boys), Lauro Amadò (GC Zürich), Numa Monnard (FC Lausanne), Mario Fornara (FC Lugano), Georges Aeby (FC Lausanne)

Team Deutschland: Hans Klodt (FC Schalke), Paul Janes (Düsseldorfer FK Fortuna 1911), Karl Miller (Dresdner FC), Franz Hanreiter (Admira Wien), Albin Kitzinger (1. FC Schweinfurt), Andreas Kupfer (1. FC Schweinfurt), Hans Rohde (Eimsbütteler TV), Fritz Walter (1. FC Kaiserslautern), Willi Hahnemann (Admira Wien), Stanislaus Kobierski (Düsseldorfer FK Fortuna 1911), Helmut Schön (Dresdner SC)