Richtplatz entdeckt Gefesselt an den Haken gehängt – die Hingerichteten vom Gnadensee

SDA/dpa/uri

17.6.2020 - 00:00

Kreisarchäologe und Grabungsleiter Jürgen Hald gräbt Teile von Skeletten an der historischen Hinrichtungsstätte unweit des Gnadensees (Teil des Bodensees) aus. (Archiv)
Kreisarchäologe und Grabungsleiter Jürgen Hald gräbt Teile von Skeletten an der historischen Hinrichtungsstätte unweit des Gnadensees (Teil des Bodensees) aus. (Archiv)
Source: Keystone/DPA/Felix Kästle

Am Bodensee sind Archäologen auf eine alte Richtstätte gestossen. Nun versuchen sie mehr über die dort gestorbenen Menschen und die Umstände der Hinrichtungen herauszufinden.

Es ist ein gruseliger, zugleich aber auch faszinierender Fund: Bei Allensbach am Bodensee haben Archäologen im April eine frühneuzeitliche Richtstätte entdeckt. Was erzählen Skelette, Galgenfundamente und andere Entdeckungen über die damalige Zeit?

Nur wenige Knochenstücke ragen aus dem Boden. Doch den beiden Archäologen Jürgen Hald und Michael Francken kann der Fund dennoch viel erzählen: «Das hier ist ein Unterarmknochen, da drüben ein Halswirbel, hier ein Stück Kieferknochen», sagt Francken und zeigt nacheinander auf die Knochenteile.

Um wen es sich handelte, welches Alter der Mensch hatte, ob es ein Mann oder eine Frau war – das alles werden die Wissenschaftler später noch genauer im Labor untersuchen. Relativ sicher lässt sich auf den ersten Blick aber schon sagen: Das Skelett gehörte zu einem Menschen, der vor mehreren Hundert Jahren auf einer Waldlichtung bei Allensbach im Kreis Konstanz getötet wurde.



Denn die Knochenteile liegen auf einer Hinrichtungsstätte. Ausgrabungsleiter Jürgen Hald vom Landratsamt Konstanz hat sie mit seinem Team Anfang April entdeckt. Auf der rund 700 Quadratmeter grossen Fläche fanden die Forscher zwei gemauerte Fundamente, die die Pfeiler eines rund vier Meter hohen Galgens bildeten.

Archäologen auf der Hinrichtungsstätte unweit des Gnadensees. 
Archäologen auf der Hinrichtungsstätte unweit des Gnadensees. 
Bild: Keystone

In Gruben darunter und neben dem Galgen stiessen die Archäologen auf mehrere Skelette, zudem fanden sie verbrannte Knochenreste in Brandgruben auf dem Gelände. Insgesamt wurden Überreste von 20 bis 25 Menschen entdeckt. Das Gelände nahe der Gemeinde Allensbach sei im Vorfeld des Ausbaus der Bundesstrasse 33 untersucht worden, sagt Hald.

Zur Abschreckung

Schon zu der Zeit, als der Galgen genutzt wurde, habe er auf einer Lichtung nahe an einer Strasse gelegen, sagt Hald. «Aber auch gut sichtbar von der Insel Reichenau aus.» Denn die Hinrichtungsstätte sollte nicht nur gut erreichbar sein, sondern diente gleichzeitig auch der Abschreckung.

Wann genau der Platz entstand, ist nicht bekannt. Es gebe aber Archivaufzeichnungen darüber, dass der Galgen 1653 neu aufgerichtet wurde. Verbürgt seien die Hinrichtungen ab dem 16. Jahrhundert, die meisten habe es im 17. und 18. Jahrhundert gegeben, sagt Hald. «Laut noch unbestätigten Aufzeichnungen soll die letzte Exekution um 1770 stattgefunden haben.» Damals sei ein Raubmörder gehängt worden, der einen Viehhändler ausgeraubt und getötet haben soll. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Galgen abgebaut.

An den Haken gehängt wie eine Rinderhälfte

Die Toten seien mit hoher Wahrscheinlichkeit Menschen, die auf der Insel Reichenau verurteilt wurden, sagt Hald. Ihnen wurden vermutlich Delikte wie Hexerei, Diebstahl oder auch Raubmord vorgeworfen. Da die Delinquenten auf der «heiligen Insel» nicht hingerichtet werden durften, brachte man sie wahrscheinlich mit einem Boot aufs Festland zu der Richtstätte in Allensbach. Dort wurden die Gefesselten eine Leiter hinaufgezogen und an einem Haken aufgehängt. Die Menschen seien dadurch langsam erstickt. «Das ist ein qualvoller Tod, der zudem als unehrenhaft galt.»



Manche Leichen wurden später in einer flachen Grube verscharrt, andere liess man einfach am Galgen hängen. Einige Hingerichtete seien nach ihrem Tod zudem enthauptet worden oder man habe eine Metallstange durch ihren Schädel gestossen, sagt Michael Franken vom Landesamt für Denkmalpflege, das ebenfalls an der Ausgrabung beteiligt ist.

Hexenkessel in Ellwangen

Eine solche Hinrichtungsstätte zu entdecken und untersuchen zu können, sei etwas Besonderes und Herausragendes, sagt Hald. «Aber phasenweise auch bedrückend.» Es gehe nun darum, die Überreste der Menschen zu bergen und wissenschaftlich zu untersuchen. «Mit Pietät und Respekt.» Aus Forschersicht habe der Fund aber überregionale Bedeutung, weil solche Richtplätze sehr selten seien – viele existierten schlicht nicht mehr.

Eine andere wichtige Fundstätte liegt in Ellwangen, etwa auf halber Strecke zwischen Stuttgart und Nürnberg. Dort wurden nach dem Sturm Wiebke 1991 Fundamente eines ehemaligen Galgens sichtbar und archäologisch untersucht. «Dabei wurden auch die sterblichen Überreste von acht Hingerichteten gefunden», heisst es bei Stadt.

Ellwangen gilt auch als eine der Hochburgen der Hexenverfolgung: «Sicherlich gab es damals fast überall in Süddeutschland Hexenprozesse. Aber die Zahl der Opfer wie die zeitweilige Intensität der Verfahrensführung waren in Ellwangen offenbar doch über das hinausgegangen, was man anderwärts beobachtete», heisst es auf der Homepage der Kommune. Hexenprozesse soll es in Ellwangen 1588 und von 1611 bis 1618 gegeben haben. «Die furchtbarsten Jahre waren 1611 bis 1613. In dieser Zeit wurden über 300 Menschen verbrannt.»

Mit Würde behandeln

Michael Franken wird die in Allensbach gefundenen Skelette nun anthropologisch untersuchen, um mehr über das Leben der Verstorbenen und die Umstände ihres Todes zu erfahren. «Das individuelle Schicksal steht für uns im Vordergrund», sagt er. So lasse sich an den Knochen und den weiteren Funden – darunter Kleiderhaken und -ösen oder Schmuck – zum Beispiel erkennen, wie alt der Mensch war, welches Geschlecht und welchen sozialen Stand er hatte und ob er an Krankheiten litt.


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