Bell vs. GrayDie Erfindung des Telefons – ein 145 Jahre alter Wirtschaftskrimi
Von Philipp Dahm
14.2.2021
Graham Bell gilt als Vater des Telefons. Doch eigentlich gab es einen, der viel weiter war als der 28 Jahre alte Erfinder: Elisha Gray war im Rennen um das Patent zwei Stunden zu spät.
Freitag, 11. Februar 1876. Elisha Gray hat bisher kaum jemanden etwas von seiner Idee erzählt. Sein Gönner hält nichts von der Arbeit an jenem neuartigen Telefon – Dr. Samuel White aus Philadelphia hat mit Porzellanfüllungen ein Vermögen verdient.
Doch Gray hat sich nicht beirren lassen. Die Vermittlung von Tönen ist sein Fachgebiet: Im Vorjahr erst hat sich der 40-jährige Ingenieur aus Barnesville, Ohio, einen Akustischen Telegrafen patentieren lassen.
An jenem Freitag unterrichtet er seinen Anwalt von seinem neuesten Coup: Gray möchte, dass William D. Baldwin am Montag das Patent für das Telefon einreicht. Er erklärt Baldwin, worum es geht.
Bells Anwalt stürmt ins Patentamt
Montag, 14. Februar 1876. Elisha Gray unterzeichnet den Patentantrag in den frühen Morgenstunden und das Dokument landet gleich nach der Öffnung des Patentamts in Washington im Posteingang. Der Gläubige muss sich im siebten Erfinder-Himmel wähnen. Es wird fünf Tage dauern, bis er aus allen Wolken fallen wird.
Am Ende der Woche meldet sich der Beamte Zenas Fisk Wilber vom Patentamt bei Gray. Er eröffnet ihm, dass es eine weitere Patentanmeldung von Graham Bell gibt. Es beschreibe ebenfalls ein Telefon und sei noch vor seinem Antrag eingegangen. Gray bekommt 90 Tage Zeit, seine Anmeldung zu präzisieren.
Was ist passiert? Kurz vor Mittag am 14. Februar ist Marcellus Bailey ins Patentamt gestürmt. Der Anwalt von Graham Bell hat eine Patentanmeldung seines Klienten dabei. Er besteht auf die umgehende Bezahlung der Gebühr, deren Eingang vermerkt werden muss. Die Registrierung hat die laufende Nummer fünf.
Bell zieht in die Geschichtsbücher ein
Gut zwei Stunden später wird die Bezahlung von Grays Antrag registriert –als Nummer 35. Das Dokument bleibt sogar bis zum folgenden Morgen im Posteingang liegen, bevor sich Zenas Fisk Wilber des Plans annimmt und ihn mit der Idee von Graham Bell vergleicht.
Gray muss am Boden zerstört sein: jahrelange Arbeit für nichts. Sein Anwalt Baldwin bescheidet ihm, Bell sei schneller gewesen und das Patent kaum anfechtbar. Also erhebt er keinen Einspruch: Bells Vision vom Telefon wird am 7. März 1876 patentiert – und der erst 28 Jahre alte gebürtige Schotte sichert sich einen Platz in den Geschichtsbüchern.
Gray hält die Füsse gut ein Jahr still: Ende 1877 versucht er nochmal, sein Patent einzureichen, scheitert – und zieht dann erst vor Gericht. Was den Ingenieur und Unternehmer stutzig macht: sieben handschriftlich ergänzte Sätze in Bells Patent und eine Zeichnung, die seiner sehr ähnelt. Von 1878 bis 1886 dauert der Gerichtsprozess, der die Erfindung des Telefons noch undurchsichtiger werden lässt.
Hat der Mann vom Patentamt Geheimnisse verraten?
Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob der Beamte vom Patentamt Graham Bell Informationen zukommen liess. Bell selbst sagt 1879 unter Eid aus, er habe mit Zenas Fisk Wilber zwar Gespräche über das Telefon geführt, die jedoch allgemeiner Natur gewesen seien – und tatsächlich bei der Klärung eines Patents denkbar sind.
Wilber bestätigt das, widerruft 1886 jedoch die eigene Aussage. Er räumt ein, Alkoholiker und Schuldner zu sein: Ausgerechnet Bell-Anwalt Bailey schulde er Geld. Deshalb habe er ihn auch von Grays Patent unterrichtet und später auch Bell selbst getroffen und ihm die Pläne gezeigt. Dafür habe er 100 Dollar bekommen. Bell hat das stets dementiert.
Die Glaubwürdigkeit von Wilbers widersprüchlichen Aussagen ist jedoch fragwürdig – nicht zuletzt wegen des Vorwurfs, Wilber habe bloss etwas unterschrieben, das ihm vorgesetzt worden ist. Der Hintergrund ist ein Skandal um die Pan-Electric Telephone Company.
Wohl ein früher Fall von Wirtschaftskriminalität
Bells Firma verklagt die Pan-Electric Telephone Company wegen Patentverletzung, doch die Angeklagten schmieren den Generalstaatsanwalt Augustus Hill Garland mit Anteilen. Auch mehrere US-Senatoren stehen auf der Lohnliste des Unternehmens, dessen Machenschaften aber auffliegen.
Gray kommt am Ende nicht gegen Bell an. Er hat ein technisches Problem gelöst, das in Bells Patententwurf erst durch die späten handschriftlichen Einträge beschrieben wird. 1887 gelingt ihm nochmal ein grosser Wurf, doch auch der kommt erst 100 Jahre später zum Zug: der Vorläufer des Faxgeräts.
Zum Verhängnis ist Gray womöglich sein Anwalt geworden, denn der stand auch auf der Lohnliste von Bell. Er könnte den Konkurrenten am Wochenende vor dem 14. Februar ins Bild gesetzt haben. Es würde auch erklären, warum Bailey Gray davon abgeraten hat, Bells Patent anzufechten. Der glücklose Ingenieur stirbt 1901 im Alter von 65 Jahren.