Ginkgos Fossile Blätter liefern Hinweise auf Klima zur Dinosaurier-Zeit

Von Christina Larson, AP

27.8.2021 - 00:00

Winzige Poren an der Unterseite der Blätter dienen zur Aufnahme von Kohlendioxid. Durch diese kann die Pflanze Sonnenlicht in Energie umwandeln.
Winzige Poren an der Unterseite der Blätter dienen zur Aufnahme von Kohlendioxid. Durch diese kann die Pflanze Sonnenlicht in Energie umwandeln.
AP Photo/Carolyn Kaster/Keystone

Ginkgos gibt es schon seit vielen Millionen Jahren. Und die Baumart blieb auch dann wie sie war, wenn sich in der Umgebung vieles radikal veränderte. Forscher sehen darin eine Chance: Analysen könnten angesichts der globalen Erwärmung Prognosen ermöglichen.

Von Christina Larson, AP

Richard Barclay öffnet eine Metallschublade in den Archiven des Smithsonian Natural History Museum. Zum Vorschein kommen Versteinerungen, die knapp hundert Millionen Jahre alt sind. Trotz ihres Alters sind die Fossilien nicht zerbrechlich. Der Wissenschaftler holt sie lässig mit der Hand heraus und erklärt die Bedeutung einiger Details.

Zu sehen ist ein annähernd dreieckiges Blatt mit an den Oberseiten gerundeten Zipfeln. Das Blatt dürfte von einem Baum gefallen sein, als noch Dinosaurier durch prähistorische Wälder streiften. Wer sich mit Pflanzen ein wenig auskennt, weiss dennoch sofort, um welche Sorte Blatt es sich handelt. «Man sieht, dass es Ginkgo ist, die Form ist einzigartig», sagt Barclay. «Sie hat sich in vielen Millionen Jahren kaum verändert.»

Versteinerungen enthalten oft Pflanzenmaterial

Eine weitere Besonderheit von Ginkgoblättern ist die, dass Versteinerungen nicht nur ihre Form wiedergeben, sondern oft auch echtes Pflanzenmaterial enthalten. Diese dünne Schicht organischen Materials wiederum verspricht Aufschlüsse über das Klimasystem in früheren Zeiten – und damit auch über mögliche künftige Entwicklungen. Um die in den Fossilien gespeicherten Informationen «lesen» zu können, müssen die Geologen und Botaniker des renommierten Museums in Washington aber zunächst eine Art Code knacken.

«Der Ginkgo ist eine ziemlich einmalige Zeitkapsel», sagt Peter Crane, Paläobotaniker an der Yale University. «Es ist kaum vorstellbar, dass diese Bäume, die jetzt neben Autos und Berufspendlern aufragen, mit den Dinosauriern aufgewachsen sind und nach 200 Millionen Jahren fast unverändert bei uns gelandet sind», schrieb Crane in einem Buch über die Pflanze.



Wie reagiert der Planet auf Klimaänderungen?

Doch wie könnte dies zum Verständnis der aktuellen Klimaentwicklung beitragen? «Forscher blicken in die Vergangenheit zurück, um zu verstehen, was uns in der Zukunft bevorsteht», sagt Kevin Anchukaitis, Klima-Experte an der University of Arizona. Es gehe um die Frage, wie der Planet bei früheren Gelegenheiten auf grosse Klimaänderungen reagiert habe, welche Folgen damit für Ökosysteme, für die chemische Zusammensetzung der Ozeane und für den Meeresspiegel einhergegangen seien und wie Wälder funktionierten.

Das Interesse der Wissenschaft gilt vor allem den besonders heissen Phasen der Erdgeschichte, in denen der Kohlenstoffgehalt und die Temperaturen deutlich höher gewesen sein dürften als heute. Eine solche Phase war das Ende der Kreidezeit vor 100 bis 66 Millionen Jahren. Dies war zugleich die letzte Zeit, in der die Dinosaurier die Erde bevölkerten. Mit einem besseren Verständnis für die früheren Heissphasen könnten Forscher die Richtigkeit von Klimamodellen für die Zukunft testen, sagt Kim Cobb vom Georgia Institute of Technology.

Bislang gibt es allerdings nur sehr wenige Daten zum Klima in derart weit zurückliegenden Zeiten. Luftblasen in Eisbohrkernen geben Aufschlüsse über einstige Kohlendioxidwerte. Die auf diesem Wege ermittelten Informationen reichen aber nur etwa 800'000 Jahre zurück. Genau das macht die Ginkgoblätter in den Sammlungen des Smithsonian-Museums so interessant.

Durch ein Labyrinth aus Korridoren «springt» Barclay ins 19. Jahrhundert – als die industrielle Revolution das Klima zu verändern begann. Aus einem Schrank holt der Forscher Papierbögen, auf denen Fachkollegen im Viktorianischen Zeitalter Ginkgoblätter aus damaligen botanischen Gärten befestigt hatten. Viele Exemplare sind von Hand beschriftet und mit Datumsangaben versehen. Die Form der Blätter ist fast identisch mit der der Fossilien – und mit der eines «frischen» Blattes, das Barclay in der Hand hält. Erst mit dem Mikroskop wird ein entscheidender Unterschied deutlich: Wie sich die Pflanze an den jeweiligen Kohlenstoffgehalt in der Luft angepasst hat.



Winzige Poren an der Unterseite der Blätter dienen zur Aufnahme von Kohlendioxid. Durch diese kann die Pflanze Sonnenlicht in Energie umwandeln. Wenn der Kohlenstoffgehalt in der Luft hoch ist, kommt die Pflanze mit weniger Poren aus, um die erforderliche Menge aufzunehmen. Wenn der Kohlenstoffgehalt sinkt, entwickelt die Pflanze zusätzliche Poren.

Heute liegt die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre im globalen Durchschnitt bei etwa 410 ppm (parts per million). Und Barclay weiss, wie die heutigen Blätter aussehen. Dank der Blätter aus der Viktorianischen Zeit weiss er ausserdem, wie Ginkgoblätter aussahen, bevor die Menschen die Atmosphäre des Planeten massgeblich zu verändern begannen. Nun versucht er herauszufinden, was die Poren der versteinerten Blätter über die Atmosphäre vor hundert Millionen Jahren verraten.

Um die in den Fossilien enthaltenen Informationen entschlüsseln zu können, hat Barclay im US-Staat Maryland einen Feldversuch gestartet. In einer Waldlichtung stehen zahlreiche Ginkgobäume, die jeweils seitlich mit Plastikplanen umhüllt sind. Innerhalb der «Kammern» sorgen er und sein Team für unterschiedliche Kohlendioxidwerte. Einige der Pflanzen wachsen unter den normalen Bedingungen der Gegenwart. Bei anderen entspricht der Wert eher dem zum Ende der Kreidezeit.

«Wir suchen nach Analogien – wir brauchen etwas zum Vergleichen», sagt Barclay. Sollten einige Blätter in dem Experiment am Ende denen aus den Fossilien ähneln, hätte die Wissenschaft einen Anhaltspunkt dafür, wie die Atmosphäre seinerzeit ausgesehen haben könnte. Schon jetzt habe sich gezeigt, dass mehr Kohlendioxid das Wachstum der Ginkgobäume beschleunige – und dies sei nicht unbedingt ein Vorteil, weil die Pflanzen dadurch anfälliger für Schäden würden, betont der Experte. «Es ist wie bei einem Rennfahrer, der bei hoher Geschwindigkeit eher aus der Bahn gerät.»