Eissturz 1965«Wenn der Gletscher kommt, sind wir alle tot»
Von Philipp Dahm
30.8.2020
Eissturz am Allalingletscher
Reporter und Zuschauer beobachten am 31. August 1965 fassungslos den Ort, an dem sich am Vortag nach 17 Uhr eine Katastrophe ereignet hat ...
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Die Zunge des Allalingletschers ist 600 Meter in die Tiefe gestürzt und hat zwei Millionen Kubikmeter Eis und Geröll auf mehrere Baracken und Baufahrzeuge fallen lassen.
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Diese standen in der Falllinie der Gletscherzunge am Fusse der Staumauer, zu deren Vollendung nur noch acht Meter gefehlt hatten.
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
88 Menschen verloren an jenem Tag ihr Leben. Zwei der Opfer waren Frauen. 23 der Toten waren Schweizer, vier Spanier, zwei Österreicher, zwei Deutsche und einer staatenlos. Das Gros der Getöteten ...
Bild: KEYSTONE
... hatte mit 56 Verunglückten aber Italien zu beklagen.
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Arbeiter fischen aus den Trümmern ein paar Habseligkeiten.
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Soldaten unterstützten die Bergungsarbeiten. Zehn Personen konnten verletzt aus den Eismassen gezogen werden.
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Nationales Interesse: Fotografen nehmen die Rettungsarbeiten ins Visier, die eine ganze Weile dauern, ...
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
... weil sich die Trümmer bis zu 50 Meter aufgetürmt haben, weswegen ...
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
... schweres Gerät zum Einsatz kommt.
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Auch wenn die Einsatzkräfte Tag ...
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
... und Nacht im Einsatz sind, stirbt bald die Hoffnung, ...
Bild: KEYSTONE
.... doch noch von einer wundersamen Rettung berichten zu können.
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Eissturz am Allalingletscher
Reporter und Zuschauer beobachten am 31. August 1965 fassungslos den Ort, an dem sich am Vortag nach 17 Uhr eine Katastrophe ereignet hat ...
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Die Zunge des Allalingletschers ist 600 Meter in die Tiefe gestürzt und hat zwei Millionen Kubikmeter Eis und Geröll auf mehrere Baracken und Baufahrzeuge fallen lassen.
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Diese standen in der Falllinie der Gletscherzunge am Fusse der Staumauer, zu deren Vollendung nur noch acht Meter gefehlt hatten.
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88 Menschen verloren an jenem Tag ihr Leben. Zwei der Opfer waren Frauen. 23 der Toten waren Schweizer, vier Spanier, zwei Österreicher, zwei Deutsche und einer staatenlos. Das Gros der Getöteten ...
Bild: KEYSTONE
... hatte mit 56 Verunglückten aber Italien zu beklagen.
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Arbeiter fischen aus den Trümmern ein paar Habseligkeiten.
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Soldaten unterstützten die Bergungsarbeiten. Zehn Personen konnten verletzt aus den Eismassen gezogen werden.
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Nationales Interesse: Fotografen nehmen die Rettungsarbeiten ins Visier, die eine ganze Weile dauern, ...
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... weil sich die Trümmer bis zu 50 Meter aufgetürmt haben, weswegen ...
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... schweres Gerät zum Einsatz kommt.
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Auch wenn die Einsatzkräfte Tag ...
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... und Nacht im Einsatz sind, stirbt bald die Hoffnung, ...
Bild: KEYSTONE
.... doch noch von einer wundersamen Rettung berichten zu können.
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Am 30. August 1965 schreibt ein Eissturz blutig Nationalgeschichte. Die Katastrophe am Allalingletscher wirft ein neues Licht auf die Bedingungen, unter denen Fremde in der Schweiz arbeiten.
Der August 1965 geht am Allalingletscher in den Walliser Alpen scheinbar mit eitel Sonnenschein zu Ende – und auch der Mattmarkstaudamm ist auf der Zielgeraden, den ein Trupp von Arbeitern emporgezogen hat, deren Unterkünfte in 2'200 Metern Höhe stehen.
Doch das Wetter setzt dem Gletscher zu. «Es war der Samstag vor der Tragödie. Es war heiss», erinnert sich Angelo Bressan an den 28. August zurück. «Vom Gletscher über uns lösten sich mehrmals Eisblöcke, die krachend hinter der Barackensiedlung niederfielen.»
Die Hütten stehen denkbar ungünstig am Fusse des Damms: Die Gletscherzunge hängt bedrohlich über ihnen wie ein Damoklesschwert. Viele der Arbeiter sind Italiener, denen noch eine Katastrophe in den Knochen steckt, die zwei Jahre zuvor an der Vajont-Staumauer fast 2'000 Menschenleben forderte.
«In der Kantine wurde es still»
Ein Bergsturz liess am 9. Oktober 1963 270 Millionen Kubikmeter Gestein vom Monte Toc in den See fallen. Die Flutwelle schaukelte sich wie in einer Badewanne hoch, ergoss sich über die Mauer und raste ins Tal, wo sie für Tod und Verwüstung sorgte, während das Bauwerk dem Druck standhielt.
Im Saastal sind die Berge stabil, und es fehlen nur noch acht Meter bis zur Fertigstellung. Aber der Gletscher hat gelitten. Er hat sich immer weiter zurückgezogen – und den Halt an seinen Flanken verloren. Die Arbeiter ahnen schon, dass etwas nicht stimmt, erzählt sich Baggerfahrer Bressan, der damals 17 Jahre alt war. «[Mein Kollege] Beppe schaute den fallenden Eismassen nach: ‹Wenn der Gletscher kommt, sind wir alle tot›, sagte er. Das waren genau seine Worte.»
Als am Montagnachmittag am 30. August das Schichtende ansteht, ist auch Beppe auf der Baustelle. Angelo Bressan sitzt in der Kantine in Zermeiggern und will um 17.30 Uhr gerade zur Spätschicht aufbrechen, als «ein Ingenieur mit breit gespreizten Armen und kreidebleichem Gesicht« hereinplatzt. «Ich werde den Ausdruck in seinen Augen nie vergessen. Er rang nach Worten: ‹Der Gletscher, er ist auf die Baracken gestürzt.› In der Kantine wurde es still.»
«Kein Anblick für einen Siebzehnjährigen»
Als die Gletscherzunge nachgibt, stürzen zwei Millionen Kubikmeter Eis und Geröll 600 Meter in die Tiefe. Die Massen türmen sich bis zu 50 Meter hoch über den Verschütteten. «Was uns da oben erwartete, war kein Anblick für einen Siebzehnjährigen. Ein leises Wimmern drang durch die Eismassen. Ein Strommast hatte sich um seinen Körper geschlungen. Wir brauchten Stunden, um ihn zu bergen. Wenig später verstarb er an Ort und Stelle.»
Der Verstorbene ist eines von 88 Opfern – und einer von den 56 Italienern unter ihnen. 23 der Toten sind Schweizer, vier kommen aus Spanien, je zwei aus Österreich und Deutschland sowie ein Staatenloser. Beppe ist nicht unter den Begrabenen: «Während der Arbeit habe er immer wieder mit einem Auge auf den ‹Drachen› geschielt», berichtete er seinem Jugendfreund Angelo später,« und als dieser plötzlich in Bewegung gekommen sei, habe er gewusst: ‹Jetzt, Beppe, musst du um dein Leben rennen›.»
Die 86 Männer und zwei Frauen, die an jenem Tag sterben, hinterlassen 80 Waisenkinder. Zehn Personen konnten schwer verletzt geborgen werden. Wäre das Eis zum Schichtwechsel 30 Minuten später eingestürzt, hätten es auch 700 Tote geben können, schreibt der «Tages-Anzeiger» 2015.
Staatsanwalt fordert bloss Bussen
Als am 17. September eine Untersuchung des Vorfalls angeordnet wird, gehen die Behörden hierzulande von einem Unglück aus. In Italien hingegen wird Kritik an der Elektrowatt AG aus Zürich laut, die ihre Arbeit womöglich fahrlässig zu nahe am Gletscher positionierte.
Es dauert geschlagene sechseinhalb Jahre, bevor es 1972 vor dem Bezirksgericht in Visp zu einem einwöchigen Prozess gegen 17 Angeklagte kommt. Die Anklage fordert wegen fahrlässiger Tötung von den Direktoren, Ingenieuren und Suva-Beamten nur Bussen zwischen 1'000 und 2'000 Franken.
ETH-Professor ETH-Professor Gerold Schnitter sagte laut «Tages-Anzeiger» in den TV-Nachrichten: «Kein einziger Mensch hat auch nur die geringste Andeutung gemacht, es könnte je etwas passieren.» Die Richter sprechen die Beschuldigten schliesslich frei. Dasselbe gilt für das Berufungsverfahren in Sitten, das im September 1972 beginnt.
«Bild einer hartherzigen, selbstgerechten Schweiz»
Dabei zwingt der Gletscher die Talbewohner schon im 17. Jahrhundert zum Fliehen – und Eisabbrüche 1949 werden genauso ignoriert, wie 1954 eine Warnung des Lausanner Geologe Nicolas Oulianoff. Ein Bericht internationaler Experten, der bis heute unter Verschluss ist, bestätigt 1967, dass der Gletscher gefährlich war.
Dennoch müssen die Kläger die Hälfte der Prozesskosten zahlen, nachdem ihnen bereits ihre Verwandten genommen worden sind. Es ist die Zeit der ersten Initaiven gegen «Überfremdung»: «Das Bild einer hartherzigen, selbstgerechten Schweiz ging um die Welt», kritisiert die Gewerkschaft Unia 2005 im Buch «Mattmark nie vergessen».
Doch die Katastrophe stellt auch einen Wendepunkt dar, was den Blick auf die Migranten im der Schweiz betrifft, analysiert die «NZZ» mit Blick auf eine entsprechende Studie aus Genf: «Zum ersten Male starben Männer und Frauen ungeachtet ihrer Nationalität, Religion oder Bildung Seite an Seite. Sie wurden als Menschen wahrgenommen, die ihr Leben für den Fortschritt der Schweiz opferten.»