Abschaffung vor 50 Jahren Heimatland! Die Kavallerie!!!

Von Philipp Dahm

5.12.2022

Die Kavallerie galt einst als «Bollwerk des Widerstands» der Schweizer Armee. Doch 1972 bläst Rudolf Gnägi zum Zapfenstreich. Auch 432'430 Unterschriften, die in nur 24 Tagen zusammenkommen, ändern das nicht.

Von Philipp Dahm

Die Schweizer Kavallerie ist schon oft totgesagt worden. Etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, doch 1947 sammelt die «Petition fürs Pferd» 158'000 Unterschriften ein – und die Rösser bleiben. Oder 1959, doch wieder wird der Bundesrat von der Kavallerie-Lobby gestoppt.

Im März 1972 beantragt der Bundesrat erneut die Auflösung der Reiter-Truppe. Nun kommen in nur 24 Tagen sogar 432'430 Unterschriften zustande – bei insgesamt 6,26 Millionen Einwohner. Doch diesmal zieht die Politik das Vorhaben durch – und das Parlament beschliesst am 5. Dezember 1972 die Auflösung der Schweizer Kavallerie.

Das Thema Abschaffung der Kavallerie sorgt 1972 im Bundeshaus zu Bern für «heftige Gespräche unter Parlamentariern» schreibt die Nachrichtenagentur sda.
Das Thema Abschaffung der Kavallerie sorgt 1972 im Bundeshaus zu Bern für «heftige Gespräche unter Parlamentariern» schreibt die Nachrichtenagentur sda.
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Die Enttäuschung darüber entlädt sich an Rudolf Gnägi, dem Vorsteher des Militärdepartements. Dragoner, die 1973 zu Panzergrenadieren umgeschult werden sollen, protestieren in Bure JU: Zu Pferde ziehen sie eine Panzer-Attrappe durch den Ort, an dessen Geschützrohr eine Puppe aufgeknüpft ist, schreibt NZZ. Um den Hals hängt ein Schild, auf dem «Gnägi» steht.

Dabei tut sich der «urchige SVP-Bundesrat, Sohn eines Seeländer Bauern und ‹Superkavalleristen› sichtlich schwer mit seinem Anliegen», weiss die «NZZ». Dabei will der Verteidigungsminister nur mit der Zeit gehen. Nur in der Sowjetunion gibt es 1972 noch Kavallerie-Einheiten, die aber auch nur noch für Filmaufnahmen in den Sattel steigen.

«Unser Volk ist wehrwillig und dem Pferd freundlich gesinnt»

Doch die Schweiz liebt ihre Reiterei. Das zeigen nicht nur die 432'430 Unterschriften unter der Petition «zur Erhaltung des Pferdes in der Armee», sondern auch der Moment, in dem 250 Berittene – angeführt von Fanfarenbläsern – diese Unterschriften auf dem Berner Bundesplatz abgeben. «Viele Schaulustige verfolgten den eindrucksvollen Auftritt, und es gab Beifall auf offener Strasse», schreibt «Der Bund» am 12. Mai 1972.

250 Berittene übergeben am 11. Mai 1972 auf dem Berner Bundesplatz über 430'000 Unterschriften für den Erhalt der Kavallerie, die in nur 24 Tagen gesammelt wurden.
250 Berittene übergeben am 11. Mai 1972 auf dem Berner Bundesplatz über 430'000 Unterschriften für den Erhalt der Kavallerie, die in nur 24 Tagen gesammelt wurden.
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«Unser Volk ist wehrwillig und dem Pferd freundlich gesinnt», heisst es in einem Kommentar der Zeitung. Kritisiert wird, dass eine Abschaffung der Kavallerie dem Reitsport schaden und die «Pflege des Wehrgeistes» ohne die Rösser zu kurz kommen würde.

Das könnte daran liegen, dass das Pferd im Milizsystem für die Verbundenheit zur Heimat und Armee steht: Ab 1848 können Reitersoldaten ihre Tiere der Eidgenössischen Militärpferdeanstalt in Thun zu einem ermässigten Preis abkaufen. Der so erworbene «Eidgenoss» ist für Ackerbauern deshalb doppelt wichtig.

«Ein Bollwerk des Widerstands»

Doch die Macher der Armeeordnung 1961 ficht das nicht an: Sie wollen die Streitkräfte fit für den Kalten Krieg machen. Deshalb werden die Dragoner auf 18 Schwadronen mit knapp 3500 Mann reduziert, bevor Gnägi die Milizarmee ausbaut und auf Panzer und mechanisierte Einheiten umstellt und den Kavallerie-Stall 1972 endgültig ausmistet.

Rudolf Gnägi, der 1985 gestorben ist, spricht im Ständerat an der Debatte zur Abschaffung der Kavallerie: Der Bundesrat und Vorsteher des Militärdepartements bekam für seine Entscheidung viel Gegenwind.
Rudolf Gnägi, der 1985 gestorben ist, spricht im Ständerat an der Debatte zur Abschaffung der Kavallerie: Der Bundesrat und Vorsteher des Militärdepartements bekam für seine Entscheidung viel Gegenwind.
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Die «Schweizer Film-Wochenschau» ist am 15. Dezember 1972 deswegen untröstlich: Das TV berichtet von «der möglicherweise letzten Heerschau» des Dragoner-Regiments 4. Gegen den Entscheid des Bundesrats haben sich die entsprechenden Verbände ein halbes Jahr «mit allen Mitteln» gewehrt, heisst es weiter. Doch «militärische und finanzpolitische Erwägungen liessen die Politiker anders entscheiden».

60 Millionen Franken hätte die Truppe einmalig gebraucht – und 12 Millionen jährlich für den laufenden Betrieb. Die Kavallerie sei «ein Bollwerk des Widerstands», lobt der Bericht die Truppe. Doch auch ihre «Beweglichkeit in schwierigen Gelände» kann das Aus nicht verhindern, obwohl die Kavallerie «kaum Dienstverweigerer und Langhaar-Probleme» gebe.

Kampfstärke schlägt Tradition

Die Auseinandersetzung mit dem Thema sei «hart geführt» worden, so die «Schweizer Film-Wochenschau». Die Kavallerie sei eigentlich «ein unersetzliches Element des Vertrauens zwischen Armee und Volk». Doch Gnägi hat einen Angriff des Warschauer Pakts vor Augen: «Ausschlaggebend war für uns das Argument der Kampfstärke», wischt er damals alle Bedenken – und Emotionen – beiseite.

Wie eng die Bande zwischen Volk und Kavallerie tatsächlich sind, zeigt sich trotz der Abschaffung aber auch heute noch. Traditionalisten haben sich diese Form der Reiterei in Vereinen erhalten – wie etwa das Schweizer Kavallerie Schwadron 1972. Auch die Offiziers-Reitgesellschaft Zürich ORG ist noch aktiv.  Sie lädt am 21. Januar zum «grossen Reiterfest».

Mitglieder des Vereins Schweizer Kavallerie-Schwadron 1972 zeigen sich im September 2009 hoch zu Ross.
Mitglieder des Vereins Schweizer Kavallerie-Schwadron 1972 zeigen sich im September 2009 hoch zu Ross.
Commons/Paebi

Ehrengast ist der Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli. Zudem beehren «Delegationen aus Dänemark, England und Schweden» die Zürcher. Die Garderobe an so einem Anlass ist entsprechend: «Festlich elegant, Smoking [oder] dunkler Anzug». Tradition verpflichtet eben.

Trainpferde, die den Materialtransport in unwegsamen Gelände besorgen, sind auch heute noch bei der Armee im Einsatz, wie das unten stehende Video zeigt. Verantwortlich ist hier das Kompetenzzentrum Veterinärdienst und Armeetiere in Schönbühl BE. Hier kann auch noch die Sonderausbildung zum Patrouillenreiter absolviert werden.

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