Corona-ImpfstoffForscher für Selbstversuche mit Nasenspray kritisiert
tafi
8.9.2020
Wissenschaftler in den USA experimentieren mit einem selbst gemachten Coronaimpfstoff – und testen das Mittel an sich selbst. Bei vielen Kollegen ruft das unkonventionelle Vorgehen Kopfschütteln hervor.
Nahezu 200 Impfstoffe gegen Covid-19 sind weltweit in der Entwicklung, und etwa drei Dutzend befinden sich in verschiedenen Stadien der Erprobung am Menschen. Einigen Forschenden in den USA geht das aber nicht schnell genug. Sie haben eine Do-it-yourself-Impfung entwickelt und bereits an sich selbst getestet, wie unter anderem «Der Spiegel» berichtet.
Zu den Wissenschaftlern gehören der renommierte Genforscher George Church, seit Jahren ein Kandidat für den Nobelpreis, und sein Schützling, der Biologe Preston Estep. Die beiden gehören zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die für unkonventionelle Arbeitsmethoden bekannt sind und sich zur Rapid Deployment Vaccine Collaborative (Radvac) zusammengeschlossen haben.
Nasenspray als DIY-Baukasten
Der Impfstoff, den Estep massgeblich entwickelt hat, wird als Nasenspray verabreicht und ist ein sogenannter Untereinheitenimpfstoff. Er enthält Fragmente des Coronavirus SARS-CoV-2, die für sich genommen keine Infektion auslösen können. Im Körper sollen diese sogenannten Peptide, so die Hoffnung der Forschenden, allerdings eine Immunreaktion hervorrufen.
Aus immunologischer Sicht ist das Vorgehen der Wissenschaftler legitim, auf ihrer Website haben sie ein ausführliches «White Paper» mit wissenschaftlichen Methoden und einer «Bauanleitung» veröffentlicht: Das Nasenspray soll von jedem Arzt und in jeder Apotheke selbst hergestellt werden können. Geld verdienen wolle man mit dem Impfstoff nicht, Radvac beschreibt sich selbst als Non-Profit-Organisation, die keinerlei kommerzielle Interessen habe.
Fraglich bleibt, ob das experimentelle Nasenspray wirksam ist. Testergebnisse dazu wurden noch nicht veröffentlicht. Aber nicht nur deswegen sind zahlreiche Kollegen entsetzt über das Vorgehen der Radvac-Gruppe. Einerseits herrscht Skepsis vor, ob die Immunantwort stark genug ausfallen würde. Impfstoffexperte George Siber bezweifelt das im «MIT Technology Review» stark. Die Idee mit dem Peptid-Wirkstoff habe er schon früh für keine gute Idee gehalten. «Besonders in diesem Fall könnte er Krankheitsverläufe verschlimmern», habe er seinen Kollegen Preston Estep gewarnt.
Arthur Caplan, Bioethiker aus New York, kritisiert vor allem, dass mit der Erprobung im Selbstversuch das Vertrauen in die Wissenschaft erschüttert werde. Dabei sei gerade dieses Vertrauen enorm wichtig, «wenn sich Impfstoffe wirklich als nützlich erweisen sollten», warnt Caplan in einem Beitrag im Wissenschaftsmagazin «Science» und wählt deutliche Worte. «Schurkenwissenschaftler» würden das Misstrauen gerade von Impfskeptikern nur noch verstärken.
Auch wenn Preston Estep, George Church und ihre Kollegen entgegen der Vernunft normalsterblicher Menschen handeln: In Medizinerkreisen sind Selbstversuche bei der Entwicklung von Impfstoffen nicht unüblich. Pocken, Tuberkulose, Kinderlähmung – um Impfstoffe zu finden, haben sich Mediziner auch in der Vergangenheit selbst zu Versuchskaninchen gemacht. Die Experimente waren mal erfolgreich, mal nicht.
Robert Koch etwa, Namensgeber der deutschen Infektionsbehörde, erkrankte ernsthaft an den Nebenwirkungen des im Selbstversuch getesteten «Tuberkulins», das als Vakzin gegen die Tuberkulose wirksam sein sollte. Bei Pocken und Kinderlähmung hingegen gelangen Forschenden im 18. und 20. Jahrhundert mit Selbstversuchen entscheidende Durchbrüche.
George Church respektiere zwar die klassischen Abläufe bei der Impfstoffentwicklung, wie er in der «New York Times» betont. Sicherheitsbedenken bei der Radvac-Methode mit experimenteller Selbsterprobung hat er aber nicht. Die schlimmsten Nebenwirkungen bisher seien verstopfte Nasen der Probanden gewesen, sagt er über das Nasenspray. Allerdings räumen Church und Kollegen ein, dass sie für die Sicherheit des «Open-Source-Impfstoffes» nicht garantieren können.