Infektion als Karriere-BoosterNeuro-Parasit macht Wölfe zu Rudelführern
dpa
24.11.2022 - 17:57
Der Parasit Toxoplasma gondii könnte Menschen anfälliger für neuropsychiatrische Störungen und aggressiver machen. Für Wölfe bringt er offenbar grosse Vorteile: Ihre Chancen auf ein Chef-Dasein steigen mit einer Infektion.
24.11.2022, 17:57
24.11.2022, 17:58
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Er führt Mäuse direkt vors Katzenmaul und lässt Hyänenwelpen tödlich leichtsinnig werden: Der Erreger der Toxoplasmose verändert das Verhalten von Tieren – und wohl auch des Menschen – zu seinen Gunsten. Forscher haben ein neues Beispiel entdeckt.
Eine Krankheit, die ihr Opfer zum Chef werden lässt: An Toxoplasmose erkrankte Grauwölfe werden wesentlich häufiger zu Rudelführern als nicht infizierte Artgenossen. Das berichten US-amerikanische Wissenschaftler im Fachblatt «Communications Biology».
Der Neuro-Parasit mache die Tiere wohl aggressiver, was im Kampf um die Führung von Vorteil sein könne. Mit dem Einzeller Toxoplasma gondii infizierte Wölfe werden demnach mit 46-mal grösserer Wahrscheinlichkeit Rudelführer.
Schon für viele Tierarten ist bekannt, dass eine solche Infektion ihr typisches Verhalten stark verändert. Ob der Neuro-Parasit auch beim Menschen Verhaltensänderungen bewirkt, wird noch kontrovers diskutiert.
All diese Untersuchungen zeigen allerdings nur Korrelationen, keinen ursächlichen Zusammenhang. Klar ist hingegen, dass der mit dem Malaria-Erreger verwandte Parasit bei den meisten Menschen keine Symptome oder nur leichtes Fieber auslöst und weit verbreitet ist.
Es wird davon ausgegangen, dass 30 Prozent der Weltbevölkerung infiziert sind. Eine Studie des deutschen Robert Koch-Instituts ergab, dass die Hälfte der Deutschen entsprechende Antikörper im Blut hat, bei den über 50-Jährigen sind es sogar 70 Prozent.
Für die aktuelle Studie hatte das Team um die US-Biologen Connor Meyer und Kira Cassidy Daten zum Verhalten und der Verteilung von Grauwölfen (Canis lupus) analysiert, die zwischen 1995 und 2020 im Yellowstone-Nationalpark im US-Bundesstaat Wyoming gesammelt wurden. Zusätzlich nahmen sie Blutproben von 229 betäubten Tieren, die sie auf Antikörper gegen Toxoplasma gondii untersuchten.
Infizierte Wölfe werden risikobereiter
Eigentlicher Endwirt des Neuro-Parasiten sind Katzenartige (Feliformia) – in Yellowstone leben auch Pumas, deren Verbreitung ebenfalls erfasst wurde. Darüber hinaus wurden Blutproben von 62 der Raubkatzen untersucht.
Die Biologen fanden heraus, dass Wölfe in Gebieten mit höherer Pumadichte mit grösserer Wahrscheinlichkeit mit Toxoplasma gondii infiziert waren als Wölfe, die nicht in der Nähe von Pumas lebten. Vor allem aber beobachteten sie, dass sich infizierte Wölfe risikoreicher verhielten.
Dies äusserte sich zum einen in einer grösseren Wahrscheinlichkeit, das Rudel früher zu verlassen, sowohl bei Männchen als auch Weibchen. Ein Verhalten, das mit Blick auf die Verbreitung des Erregers durchaus Sinn hat: Der Erreger gelange so eher in Gegenden, in denen er zuvor noch nicht kursierte.
Infizierte Mäuse fühlen sich von Katzenurin angezogen
Zum anderen beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass positiv auf Toxoplasma gondii getestete Wölfe viel häufiger Rudelführer wurden. Der Parasit könnte die Testosteron-Level der Tiere erhöhen, vermuten sie. Mehr Risiken hinnehmende Anführer wiederum könnten ihre Gruppe eher in Gebiete führen, die sich mit Pumas überschneiden – wodurch der Parasit neue Chancen auf Ansteckungen bekomme.
Die Studie zeigt nach Angaben der Autoren erstmals, dass eine Parasiteninfektion das Verhalten von Wölfen beeinflussen kann. Für andere Arten ist schon länger gezeigt, wie effektiv Toxoplasma gondii seinen Zwischenwirt in die Nähe von Katzenartigen lotst: Infizierte Mäuse und Ratten etwa fühlen sich vom Geruch von Katzenurin magisch angezogen und laufen ihren Fressfeinden buchstäblich ins Maul.
Einen ähnlichen Mechanismus beobachtete ein Forschungsteam bei Schimpansen: Erkrankten diese an Toxoplasmose, übte Leopardenurin eine morbide Anziehungskraft auf sie aus.
Und im vergangenen Jahr berichteten US-amerikanische Forscherinnen im Fachblatt «Nature Communications», dass eine Infektion Tüpfelhyänen-Welpen wesentlich sorgloser macht. Anstatt im sicheren elterlichen Bau zu bleiben, kommen sie Löwen gefährlich nahe – zu nahe: Infizierte Welpen würden wesentlich häufiger getötet, so die Wissenschaftlerinnen.