Klimawandel befeuert Extrem-Wetter Der Regen bei uns und die Hitze in Kanada hängen zusammen

Von Andreas Fischer

9.7.2021

Weil die Jetstreams mittlerweile immer mal im Stau stecken, kommen Hoch- und Tiefdruckgebiete nicht vom Fleck.
Weil die Jetstreams mittlerweile immer mal im Stau stecken, kommen Hoch- und Tiefdruckgebiete nicht vom Fleck.
NASA Scientific Visualization Studio

Die schlechte Nachricht zuerst: Extrem-Wetterlagen häufen sich – nicht nur in Nordamerika, auch in Mitteleuropa. Zufall sind sie nicht, wie Fachleute erklären. Die gute Nachricht: Ab Mittwoch klart es endlich auf – vielleicht.

Von Andreas Fischer

9.7.2021

Hitze im Westen Nordamerikas und in Skandinavien auf der einen Seite, ein kühler und verregneter Sommer in der Schweiz auf der anderen – aussergewöhnliche Wettermuster scheint es immer häufiger zu geben. Doch was sind die Ursachen dafür?

Christophe Voisard, Meteorologe bei Meteoschweiz, erklärt «blue News»: «Entscheidend sind die Rossby-Wellen im polaren Jetstream, einem Windband in 9000 bis 12'000 Metern Höhe.» Diese Wellen entstehen durch den Ausgleich zwischen kalter polarer Luft und warmen subtropischen Luftmassen.

Jetstreams sind bis zu 500 Stundenkilometer schnelle Starkwinde, die den Globus von West nach Ost umkreisen. Der Polarfront-Jetstream, der das Wetter auf der nördlichen Erdhalbkugel bestimmt, bereitet den Fachleuten derzeit Kopfweh. Normalerweise verläuft der Jetstream weiter nördlich, etwa bei 60 Grad nördlicher Breite.

Der Jetstream steckt fest

Forschende registrieren immer häufiger Wetterlagen, bei denen die Höhenströmung welliger wird: Der Jetstream verschiebt sich, kommt ins Stottern und kann sich sogar stauen. 2018 etwa hatte ein ungewöhnlich scharf gewellter Jetstream an einem Ort festgesteckt. Die Folge: Die Hitze sammelte sich in drei Regionen unter den Wellen – in Europa, Japan und im Westen der USA.

«Auch in diesem Jahr hat sich der Verlauf der Höhenströmung in Richtung Süden verschoben und steckt seit mehreren Wochen über Europa fest», sagt Voisard. Dort bilden die Wellen des Jetstream «eine Art Trog, auf der einen Seite die Polarluft, auf der anderen Seite die subtropische Luft».

Auf die Frage, ob es normal sei, dass der Jetstream so weit südlich ist, lacht Voisard kurz: «Was ist schon normal?» Richtig sei, dass es feuchte und kühle Sommer in den vergangenen Jahren nicht gegeben habe, «eher im Gegenteil: Wir haben sozusagen unter einer Hochdrucklage gelitten».

Dennoch sei es «sehr schwierig, Prädikate wie normal und abnormal zu vergeben. Dass die Temperaturen an der Westküste Nordamerikas fast 50 Grad erreichen, würde ich allerdings als aussergewöhnlich bezeichnen», sagt Voisard.

Feucht und kühl statt heiss und trocken

Über der Schweiz befindet sich derzeit eine Luftmassengrenze: «Das bedeutet: Auf der einen Seite wird feuchte Luft aus dem Süden zu den Alpen geführt. Auf der anderen Seite bildet die Kaltluft aus dem Norden eine Art Rampe», erklärt der Meteorologe. «Wenn diese beiden Luftmassen aufeinandertreffen, kommt es immer wieder zu Niederschlägen, es ist häufig bewölkt.»



«Entscheidend ist dabei die Höhenströmung: Wenn ich heute auf die Karte schaue, dann sehe ich eine Hochdrucklage von der Ukraine bis nach Nordrussland – und über der Schweiz ist dieser Trog, der viel Niederschlag bringt. Über dem Atlantik ist dann wieder eine Hochdrucklage, die weit in den Norden reicht, bis südlich von Grönland.»

Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Omega-Formation: Je nachdem, wo sich die einzelnen Teile des Omegas befinden, ist es entweder heiss und trocken oder feucht und kühl. Im Sommer 2018 lag die Schweiz südlich des Omega-Bogens: Die Folge war eine Hitzewelle. In diesem Jahr ist es umgekehrt. Die Wetterlage über Mitteleuropa sei zwar gerade nicht sehr sommerlich, aber sie könne in der Form immer wieder auftreten. «Wir haben das zum Beispiel auch 2014 erlebt», erinnert sich Voisard.

Klimawandel macht Hitzewellen 150-mal wahrscheinlicher

In den USA sagt man statt Omega-Lage Heat Dome, erklärt Dominik Schumacher vom Institut für Atmosphären- und Klimawissenschaften der ETH Zürich. Der Wissenschaftler war an einer bislang nicht in einem Fachmagazin veröffentlichten Studie (PDF-Download) des Projekts World Weather Attribution (WWA) beteiligt: Forschende aus mehreren Ländern haben darin die Extremhitze in den USA und Kanada untersucht.



«Es ist nicht einfach, solche Ereignisse so schnell zu analysieren», erläutert Schumacher im Gespräch mit «blue News». «Wichtig zu wissen ist: Die Simulationen, die wir herangezogen haben, existierten alle schon. Wir haben das vorhandene Datenmaterial analysiert und eingeschätzt, wie wahrscheinlich ein solches Ereignis im aktuellen Klima ist und wie wahrscheinlich es in einem Klima ohne die von den Menschen verursachte Erwärmung wäre.»

Anhand von Messdaten habe die Studie mit statistischen Verfahren herausgefunden, dass die extreme Hitze im Westen Nordamerikas etwa alle 1000 Jahre auftritt – also sehr selten. Doch die Wissenschaftler kommen auch zu dem Schluss, dass die durch Treibhausgase verursachte Erderwärmung die Hitzewelle 150-mal wahrscheinlicher gemacht hat.

Sollte sich das globale Klima weiter erwärmen – um zwei Grad Celsius statt aktuell 1,2 Grad – könne ein solches Ereignis alle fünf bis zehn Jahre geschehen. Es könne auch sein, dass sich gerade etwas ändere in der Region und dass dort in Zukunft noch höhere Temperaturen herrschten, ergänzt der ETH-Wissenschaftler und sieht eine deutliche Warnung: «Es lohnt sich, die globale Erwärmung zu stoppen.»

Das trübe Wetter bleibt noch bis Mittwoch – mindestens

«Die Hitze-Extreme nehmen zu», sagt Schumacher, «jedoch verstehen wir noch nicht genau, ob unsere Modelle dies auch akkurat abbilden.» Das Ereignis sei jedenfalls ein starker Indikator, «dass der menschlich verursachte Klimawandel eine Rolle spielt». Zumal es in den letzten zwei Jahrzehnten bereits einige sehr unwahrscheinliche Hitzewellen auf der Welt gegeben habe.

Allen gemein war ein träger Jetstream. Wenn der Höhenwind weniger Kraft hat, kann er die Luftmassen nicht wie üblich bewegen: Die Folge sind stabile, stationäre Grosswetterlagen. Verschiedene Studien und Beobachtungen zeigen, dass sich diese Omegas mittlerweile länger halten: «Das kann ich bestätigen», sagt Voisard.

Was bedeutet das für den Sommer 2021 in der Schweiz? Wann bewegt sich der Jetstream wieder? «Er wird noch ein paar Tage stationär bleiben, sodass wir in der Schweiz weiterhin trübes, feuchtes Wetter haben. Bis Mittwoch könnte es noch einige Niederschläge geben. Danach sieht es so aus, als würde sich der Jetstream wieder nach Norden bewegen und die Schweiz unter den Einfluss eines klassischen Azorenhochs kommen.»



Dem Fazit der Studie des WWA-Projektes, dass sich solche Ereignisse bedingt durch den Klimawandel häufen, stimmt Voisard zu. «Die Aussage der Studie stimmt mit den Klimamodellen überein.»

Er räumt aber auch ein: «Ich bin seit 30 Jahren Meteorologe, und je länger ich im Wetterdienst arbeite, desto gewöhnlicher wird das Wetter für mich.» Ungewöhnliche Ereignisse erscheinen im Laufe der Zeit normal, obwohl Voisard in den letzten Jahren durchaus Veränderungen und eine Zunahme an Extremen beim Wetter beobachtet. «Subjektiv erscheint es mir wärmer und – ja – auch extremer.»

Korrigendum: In einer früheren Version haben wir fälschlicherweise geschrieben, der Jetstream wehe von Ost nach West. Richtig ist: Er weht von West nach Ost. Wir haben den Fehler korrigiert.