Studie zu Moraldilemmata Viele schrecken davor zurück, jemanden aktiv ins Jenseits zu befördern

SDA

14.4.2022 - 17:08

Egal in welchem Kulturkreis man lebt: Moralische Dilemmas werden überall ähnlich angegangen.
Egal in welchem Kulturkreis man lebt: Moralische Dilemmas werden überall ähnlich angegangen.
Getty Images/Maskot

Ist es moralisch richtig, wenige Menschenleben für viele zu opfern? Laut einer neuen Studie finden die meisten Ja – aber nur solange man nicht selber Hand anlegen muss.

Lässt sich eine Entscheidung zwischen dem Tod weniger und dem Ableben vieler mit einem «einfachen» Knopfdruck treffen, entscheiden sich viele Menschen dafür, Wenige für Viele zu opfern. Muss man dafür aber jemanden aktiv ins Jenseits befördern, schrecken viele davor zurück. Dieser Effekt bei der Lösung dieser moralischen Dilemmata zeigt sich einer neuen Studie zufolge weltweit.

Die Forschenden um Bence Bago vom französischen Institute for Advanced Study in Toulouse haben Menschen in 45 Ländern in Experimenten vor diese schwierige Wahl gestellt. Insgesamt berücksichtigen sie Daten von rund 27'500 Studienteilnehmenden. An der im Fachmagazin «Nature Human Behaviour» veröffentlichten Studie waren auch Forschende der Universitäten St. Gallen und Genf beteiligt.

Konfrontiert wurden die Teilnehmenden unter anderem mit dem sogenannten «Trolley-Problem». Dabei rollt ein Schienenfahrzeug auf fünf Menschen zu und wird diese töten. Gerettet werden können sie, wenn eine Weiche auf Knopfdruck umgestellt wird auf ein Nebengleis, wo «nur» zwei Menschen stehen. Viele Menschen zeigen eine recht klare Präferenz für letztere Option. Das ändert sich aber, wenn man zur Rettung der fünf Menschen aktiv eine Person vor den Wagen stossen müsste. In diesem Fall treffen Menschen seltener die «utlilitaristische» Wahl nach der Logik des geringsten Übels.

Abwägung ist universell

In einer Studie aus dem Jahr 2009 argumentierten US-Psychologen, dass das Aufwenden von physischer Kraft hier eine entscheidende Rolle spielt. Muss man also Hand an eine Person legen, um diese zum Wohle mehrerer zu töten, führt das zu anderen Einschätzungen. Untersucht wurde diese Veränderung der Einschätzung aber bisher nur in Ländern aus dem westlichen Kulturkreis, schreiben die Autoren der neuen Studie. Die aktuellen Ergebnisse unterstützen nun die Annahme, dass es sich hier um einen psychologischen Mechanismus handelt, der mehr oder weniger überall zu beobachten ist.

Die Forschenden testeten zum Beispiel auch ab, ob der Effekt in eher individualistisch-westlichen und eher gemeinschaftlich orientierten Gesellschaften etwa in Ostasien anders ausfällt. Der Gedanke war, dass in letzteren das kühle Abwägen und das Ausführen einer Tötungshandlung mit körperlicher Kraft insgesamt moralisch-ethisch weniger akzeptiert werden könnte. Es fanden sich in den Daten aber keine Hinweise, dass der Kulturkreis hier ein grösserer Faktor ist.

Die Studienautoren gehen demnach davon aus, dass es sich bei dem 2009 in den USA entdeckten Effekt um eine Abwägung handelt, die überall auf der Welt nach den gleichen Mustern abläuft – sozusagen «universell» ist.