«Müssten woanders ansetzen» Neue Flaschendeckel sind reiner Aktionismus, kritisiert Experte 

dpa

6.8.2024 - 07:12

Eine offene PET-Flasche mit am Flaschenhals befestigtem Deckel – fotografiert im Juli in Zürich.
Eine offene PET-Flasche mit am Flaschenhals befestigtem Deckel – fotografiert im Juli in Zürich.
KEYSTONE

Eigentlich ist der Schraubverschluss eine runde Sache. Sitzt, passt, hält dicht. Vor 135 Jahren hat ein Brite diese Erfindung patentieren lassen. Heute sorgt der Alltagsheld bei einigen für Ärger.

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Seit dem 3. Juli dürfen in der EU keine Flaschen mehr verkauft werden, die einen losen Deckel haben. 
  • Ein Experte kritisiert, dass die Neuregelung kaum zum Umweltschutz beitrage.
  • Wichtiger sei es, mehr Kunststoffe zu recyceln.

Ein Verpackungsexperte hat die verbindliche Vorgabe fest angebundener Flaschendeckel als nicht zwingend und nicht logisch kritisiert. «Bringt das wirklich etwas für den Planeten oder selbst für Europa? Und da ist meine klare Antwort: Nein», sagte Markus Prem von der Hochschule Kempten der Deutschen Presse-Agentur.

Es handele sich um reinen Aktionismus, um ein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Der Experte geht aber davon aus, dass auch bei den sogenannten tethered caps bald ein Gewöhnungseffekt eintritt. Um den Müll in der Landschaft zu verringern, sind seit 3. Juli lose Verschlusskappen bei bestimmten Getränken verboten.

Prem sagte, die Menge an weggeworfenen Deckeln, die schliesslich im Meer oder in Flüssen und Seen landen, sei äusserst gering. «Man hat damit der Industrie Milliardeninvestitionen unter anderem in neue Maschinen auferlegt für einen Effekt, der quasi nicht messbar ist.»

Der Bundesverband des Deutschen Getränkefachgrosshandels teilte der dpa auf Anfrage mit, Anlagen hätten um- oder neu gebaut werden müssen. «Wir gehen von Beträgen im Millionenbereich aus», hiess es.

«Wichtiger ist, Kunststoffe zu recyceln»

Der Verband Deutscher Mineralbrunnen (VDM) betonte: «Über grössere Probleme bei der Umstellung in der Branche ist uns nichts bekannt.» Aufwand und Kosten fielen aber sehr unterschiedlich aus. Für einige Unternehmen käme die Umstellungen in der Abfüllung einer Produkt-Neueinführung gleich.

Andere hätten erhebliche Aufwendungen, wenn Änderungen in der Inspektionstechnik oder bei der Verschliesstechnik notwendig waren. Der Anteil von Europa und Amerika an den Kunststoffen, die ins Meer gespült werden, sei gering, sagte Prem. Die überwältigende Mehrheit stamme aus Asien.

«Wir müssten ganz woanders ansetzen, wenn wir wirklich was bewegen wollten.» So sei es viel wichtiger, Kunststoffe zu recyceln und einen Kreislauf zu bilden. «Kunststoffe sind bisher in vielen Bereichen Verbundmaterialien, die nicht oder nur sehr schwer recycelbar sind.» Ein gutes Beispiel seien PET-Flaschen, die fast vollständig recycelt werden, sagte Prem.

135. Jahrestag der Patentierung

Auch der VDM betonte, bei Glas- und PET-Flaschen werde bereits eine Rücklaufquote von rund 99 Prozent erreicht. «Das Problem des sogenannten Litterings hat also in Europa schon vor dem Inkrafttreten der EU-Richtlinie nicht existiert.» Mit «Littering» ist Vermüllung gemeint.

Dass sich die Verbraucher noch lange über die «tethered caps», wie die fest angebundenen Deckel heissen, aufregen, glaubt Prem nicht. Auch an die Abschaffung von Plastiktüten oder Strohhalmen aus Kunststoff hätten sich die Menschen gewöhnt.

Grundsätzlich handele es sich beim Schraubverschluss, der an diesem Samstag, am 10. August vor 135 Jahren, vom Briten Dan Rylands patentiert wurde, um eine Erfolgsgeschichte, sagte der Verpackungsexperte. Es gebe natürlich noch andere Verschlusssysteme wie Kronkorken oder Aufreisslaschen. «Aber es gibt keine so einfache Methode, um etwas zu verschliessen wie mit dem Schraubverschluss», sagte Prem.

dpa