Schweiz- EUSchweiz lancierte vor 30 Jahren Charmeoffensive für die Bilateralen
cz, sda
1.1.2024 - 09:29
1993 hat der Bundesrat unter Bundespräsident Adolf Ogi eine einzigartige Charmeoffensive gegenüber europäischen Ländern lanciert. Nach der Niederlage in der EWR-Abstimmung vom 6. Dezember 1992 konnten so bilaterale Verhandlungen mit der EU aufgegleist werden.
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SDA
Neu zugängliche rund 1700 Schlüsseldokumente aus dem Bundesarchiv belegen zudem eine Intensivierung der globalen Wirtschaftskontakte, etwa mit Malaysia, Thailand, Pakistan, Iran und Marokko im Jahr 1993 nach dem Nein der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), wie die Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis) mitteilte.
«Die Akten zeigen, dass der Bundesrat als Reaktion auf die Schockstarre nach dem EWR-Nein eine beispiellose Besuchsoffensive lancierte, dank der gegen Ende Jahr bilaterale sektorielle Verhandlungen mit der EU aufgenommen werden konnten», hielt Dodis-Direktor Sacha Zala fest.
«Trotz nützt auf lange Sicht nicht»
Höhepunkt der aussenpolitischen Charmeoffensive war der Besuch des deutschen Kanzlers Helmut Kohl. Das für die Schweiz wohl wichtigste europapolitische Gespräch nach der Ablehnung des EWR-Vertrags durch die Stimmbevölkerung fand am 18. Oktober 1993 auf dem Landgut Lohn in Kehrsatz bei Bern hinter verschlossenen Türen statt.
Neben Kohl waren der damalige Bundespräsident Adolf Ogi sowie die damaligen Bundesräte Flavio Cotti und Kaspar Villiger zugegen. Für Kohl war ein Einschwenken der Schweiz auf den EU-Beitrittskurs «ein Gebot einfachster Einsicht». Gemäss Handnotizen von Bundespräsident Adolf Ogi mahnte Kohl: «Schweizer Trotz nützt auf die lange Sicht nicht.»
Der Bundesrat verfolgte laut Dodis eine mehrspurige Integrationsstrategie. Einerseits hielt er am langfristigen Ziel einer Mitgliedschaft in der EU fest und zog deshalb das Gesuch um Aufnahme von Beitrittsverhandlungen nicht zurück. Der Bundesrat schloss ebenfalls nicht aus, dass die Schweiz zu einem späteren Zeitpunkt doch noch dem EWR beitreten könnte. Das primäre Ziel der Landesregierung stellte jedoch die Aufnahme bilateraler sektorieller Verhandlungen mit der europäischen Gemeinschaft dar.
Parallelen zur Gegenwart sind angezeigt: Die Ende 2023 verabschiedeten Entwürfe der Verhandlungsmandate haben die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU wieder auf Kurs gebracht. Die Schweiz sucht dabei – wie vor 30 Jahren – erneut Lösungen in sektoriellen bilateralen Abkommen. Weder ein EU-Beitritt, der EWR noch ein institutionelles Rahmenabkommen schienen zuletzt mehrheitsfähige Optionen.
Bereits im April 1993 besuchte der britische Premierminister John Major Bern. Im Dezember 1993 empfing Bundespräsident Ogi den französischen Präsidenten François Mitterrand in seiner Heimat im Berner Oberland. Kurz darauf reiste Ogi nach Madrid, um auf höchster Ebene mit dem «härtesten Verhandlungspartner innerhalb der EU in der Frage der Verabschiedung bilateraler Verhandlungsmandate», wie es in den Archivdokumenten heisst, einen Neubeginn einzuläuten.
Etappensieg
Am 9. November 1993 signalisierte der Rat der europäischen Aussenminister, dass die Gemeinschaft bereit sei, sektorale bilaterale Verhandlungen mit der Schweiz aufzunehmen. Ein erstes Zwischenziel des Bundesrates war damit erreicht.
Aussenminister Cotti relativierte den Erfolg: «Gute Anwälte, wenn nicht sogar Freunde, haben sich für die Schweiz eingesetzt», damit sich die Mitgliedstaaten bereit erklärt hätten, auf die Verhandlungswünsche der Schweiz einzugehen.
Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz betonte, dass die Forderungen der EU bezüglich der Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes – «dieses Institutionelle, das in der Diskussion am 6. Dezember so weh getan hat» – keineswegs vom Tisch seien. Die institutionellen Folgen für die Schweiz würden Gegenstand harter Verhandlungen sein.
Harte Verhandlungen
Denn die Aussenminister der Zwölf waren über die Strategie gegenüber der Schweiz geteilter Meinung: Die südeuropäischen Länder (Spanien, Italien und Portugal), deren Staatsangehörige vielfach in der Schweiz arbeiten, wollten Zugeständnisse von Bern, während die nordeuropäischen Länder, die im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit weniger interessiert waren, sich moderater gaben.
Bis zum Abschluss der bilateralen Abkommen I im Jahr 1999 waren noch viele Klippen zu überwinden.
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