Am Ende geht's ums Geld«Poetische Behörden» und die Angst vor der Liebe ohne Grenzen
tafi
7.8.2020
Die Schweizer Verwaltung sei ungeheuer poetisch, attestiert ein deutscher Wissenschaftler. Er freut sich, dass die Behörden nun vermehrt Liebesbriefe lesen. Auch wenn sich interkulturelle Paare wieder treffen dürfen: Einfacher wird es für sie nicht, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.
Fernbeziehungen sind ohnehin eine Herausforderung, wenn die Liebenden dann auch noch in verschiedenen Ländern leben, wird's noch komplizierter mit der Partnerschaft. Was aber in den letzten Monaten passierte, dürfte viele unverheiratete Paare zum Verzweifeln gebracht haben: Die Grenzen waren wegen der Coronakrise dicht, am Schlagbaum endete die Romantik.
Immerhin dürfen sich grenzüberschreitende Liebespaare seit Montag wieder in der Schweiz treffen – so sie ihre Gefühle denn belegen können. Liebesbriefe, Fotos, SMS: Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) akzeptiert die klassischen und modernen Liebesbeweise.
Viel Poesie bei den Behörden
«Die Schweizer Verwaltung ist ungeheuer poetisch», bescheinigt der Historiker Michael Jeismann den Behörden bei SRF 2. «Das hat niemand gewusst oder auch nur geahnt.» In der Sendung «Echo der Zeit» freute sich der deutsche Wissenschaftler und Journalist, dass die Behörden den Wert von Liebesbriefen noch zu schätzen wissen und ihn «richtig, nämlich als Liebesbeweis, einstufen».
Jeismann ist Experte für interkulturelle Paare, er hat ein Buch («Die Freiheit der Liebe: Paare zwischen zwei Kulturen») über diese schwierigen Beziehungen geschrieben. Schon Perikles hatte im alten Athen um 450 vor Christus eine Art soziale Beglaubigung für Beziehungen eingeführt: Damals konnte nur Athener Bürger werden, wer von einem Athener und einer Athenerin abstammte. Den Beweis erbrachten Freunde und Bekannte, die bezeugten, dass das Elternpaar aus Athen stammte.
Schon immer, so Jeismann, habe die Politik interkulturellen Paaren Grenzen gezogen. «Sie hat regelrecht sortiert: Wer war erwünscht, wer war nicht erwünscht.» Es sei oftmals darum gegangen, aus einer kollektiven Angst heraus, Fremde fernzuhalten. Perikles etwa befürchtete, dass ansonsten die Politik leiden würde.
Das «Übel im Inneren»
Paare aus verschiedenen Ländern und Kulturen galten als «Übel im Inneren». Es wurde daher genau bestimmt, wer dazugehören durfte und wer nicht, und zwar bis «in den intimsten Raum einer Gesellschaft hinein, das ist die Familie». Heute geschehe das nicht mehr so offensichtlich.
Nachdem im 19. Jahrhundert und in der Mitte des 20. Jahrhunderts in vielen Gesellschaften Heiratsregeln abgeschafft wurden, herrschte zumindest offiziell Freiheit: «Von staatlicher Seite können sie heiraten, wen sie wollen.» Das hat, historisch gesehen, die Menschen aber nicht davon abgehalten, eigene Grenzen zu ziehen. «Es sortierten sich Adel zu Adel, Geld zu Geld, Bürgertum zu Bürgertum.»
Dass der Umgang mit interkultureller Paarbeziehung ein Indikator für das politische Bewusstsein einer Gesellschaft ist, sieht man ganz aktuell in der Coronakrise: «Die Angst ist gross», stellt Jeismann fest. Ihn wunderten Vorurteile und Befürchtungen nicht: «Der einheimische Kranke wird für weniger gefährlich gehalten, als der fremd anmutende, ausländische Kranke.» Ein Grund dafür: «Es geht um Kosten für Krankenhäuser und Krankenpflege.»
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