Alkohol-Ersatz Wie Alkohol, nur ungefährlich: Kommt die Getränke-Revolution?

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27.3.2019

Dass Alkohol schädlich ist, weiss wohl jeder, der ihn trinkt.
Dass Alkohol schädlich ist, weiss wohl jeder, der ihn trinkt.
Keystone/Archiv

Beschwippst werden, ohne einen Kater zu bekommen? Alkohol trinken, ohne sich die Leber kaputtzumachen? Ein britischer Wissenschaftler arbeitet an einer Getränke-Revolution.

Den Grossteil seiner Laufbahn als Psychiater habe er damit verbracht, Menschen zu behandeln, die ein Problem mit Alkohol haben, sagt David Nutt.

2010 sorgte der ehemalige Drogenbeauftragte der britischen Regierung mit einer Studie für Aufsehen, die ergab, dass Alkohol auf die Gesellschaft eine schädigendere Wirkung habe als Crack oder Heroin. Und dennoch gönnt sich der 67-Jährige vor dem Einschlafen gern ein Gläschen Single-Malt und führt zusammen mit seiner Tochter nebenbei eine Weinbar. «Ich bin nicht gegen Alkohol», stellt Nutt im «Guardian» klar. «Ich mag ihn, aber es wäre schön, eine Alternative zu haben.» Und an dieser Alternative arbeitet er seit Jahren.

Alcarelle heisst die Substanz, mit der Nutt und seine Geschäftspartner die Getränkewelt revolutionieren wollen: ein sicherer, synthetischer Alkoholersatz, der über alle positiven Eigenschaften des Originals verfügen soll, aber ohne die Gesundheit zu schädigen.

«Unser Ziel ist es, ein alkoholfreies Getränk für Erwachsene zu entwickeln, dass die Dinge bewirken kann, die wir an Alkohol schätzen – Geselligkeit, Entspannung, Spass –, aber ohne die furchtbaren, schädigenden Nebenwirkungen, die unserer Gesundheit so schaden», heisst es auf der Firmenseite. Sprich: Beschwipst sein ja, Leberschaden nein.

Die «guten» Effekte von Alkohol

Alkohol, der nicht schadet? Das könnte ein Zukunftsmarkt sein.
Alkohol, der nicht schadet? Das könnte ein Zukunftsmarkt sein.
Keystone/Archiv

Bereits 1983 entdeckte Nutt als Doktorand ein Mittel, mit dem sich Ratten, denen zuvor Alkohol gegeben wurde, wieder ausnüchtern liessen, indem die entsprechenden GABA-Rezeptoren im Gehirn stimuliert wurden. Da das Medikament jedoch Krampfanfälle auslösen konnte, wenn es im nüchternen Zustand verabreicht wurde, kam es nie auf den Markt. «Was hilft es ausserdem, wenn man wieder nüchtern werden kann, aber der Alkohol trotzdem Leber und Gehirn zerstört», gibt Nutt zu bedenken – und forschte weiter.

Alcarelle spreche nun nur die Bereiche im Gehirn an, die die «guten» Effekte von Alkohol auslösen. Bürgen können dafür bislang aber nur Nutt und einige seiner Mitarbeiter, die Alcarelle schon gestestet haben – vermischt mit Fruchtsaft, um den Geschmack zu verbessern. Umfangreichere Tests stehen noch aus.

«Wir haben verschiedene Mischungen getestet und versuchen herauszufinden, welche wohl am besten funktionieren wird. Wir wollen nicht Millionen Pfund für etwas verpulvern, von dem wir nicht sicher sind, dass es das tut, was wir möchten», erklärt Nutt.

«Sie wollen auf Instagram nicht betrunken aussehen»

Vor allem junge Leute könnte der Pseudo-Alkohol ansprechen.
Vor allem junge Leute könnte der Pseudo-Alkohol ansprechen.
Keystone/Archiv

Die Getränkeindustrie verfolgt die Fortschritte mit Interesse, sagt Nutts Geschäftspartner David Orren. Für Branchenexperte Jonny Forsyth keine Überraschung: «Die Industrie investiert immer mehr in Alkoholalternativen», erklärt er im «Guardian». 

«Hersteller experimentieren mit alkoholfreien Gins und Softdrinks, weil sie wissen, dass die Leute weniger Alkohol trinken und dieser Trend anhalten wird.» Jüngere Leute hielten es inzwischen für cooler, gesund zu sein – und die Kontrolle zu bewahren: «Sie wollen auf Instagram nicht betrunken aussehen.» Falls Alcarelle halte, was es verspreche, habe es «eine grosse Chance», schätzt der Fachmann. Dann könne das Mittel denselben Effekt auf den Markt haben, den zuckerfreie Alternativen im Bereich Softdrinks hatten.

Und was ist mit denen, die ein bestimmtes alkoholisches Getränk vorrangig wählen, weil es ihnen schmeckt, und nicht, um beschwippst zu werden: «Denen sage ich immer, dass es ihnen nicht schmecken würde, wenn sie davon nicht betrunken werden würden», sagt Nutt.

«Wenn man einen 1984er Chateau Latour einem Kind geben würde, würde es ihn ausspucken. Man eignet sich die Liebe für den Geschmack an. Was uns den Geschmack lieben lässt, ist der Effekt des Alkohols und natürlich das Wissen, dass der Wein sehr teuer ist.» Das lasse uns die schädlichen Aspekte des Alkohols verdrängen. «Ich versuche, etwas herzustellen, dass viel weniger schädlich ist. Das ist mein Ziel.»

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