Walsterben an US-Westküste Wohin mit Walkadavern? US-Behörden bitten Privatpersonen um Hilfe

AP

22.6.2019

Was tun mit den tonnenschweren Kadavern gestrandeter Grauwale? US-Behörden bitten mittlerweile Privatpersonen, auf ihren Grundstücken tote Wale – wie hier in Port Hadlock, Washington, aufzunehmen.
Was tun mit den tonnenschweren Kadavern gestrandeter Grauwale? US-Behörden bitten mittlerweile Privatpersonen, auf ihren Grundstücken tote Wale – wie hier in Port Hadlock, Washington, aufzunehmen.
Bild: Mario Rivera/AP/dpa

Die toten Riesen sollten «in Frieden verrotten», das fordern Wissenschaftler. Doch leichter gesagt als getan. Denn die geeigneten öffentlichen Standorte sind schon fast alle «belegt». Letzte Hoffnung sind nun private Anwesen direkt am Pazifik.

So hoch war die Zahl schon lange nicht mehr: Allein im US-Staat Washington sind bereits 29 Grauwale gestrandet. Die Behörden stehen damit vor einer logistischen Herausforderung: Was tun mit den tonnenschweren Kadavern? «Die beste Lösung ist immer die, sie auf natürliche Art verwesen zu lassen», sagt der Biologe John Calambokidis. «Es wird aber immer schwieriger, Orte zu finden, an denen sie verrotten können, ohne Probleme zu verursachen.»

Inzwischen wird daher auch an Besitzer von Grundstücken mit Privatstrand appelliert, doch bitte einen der toten Wale aufzunehmen. Und obwohl die faulenden Kadaver zum Teil so gross wie Busse sind – und in entsprechendem Ausmass stinken – gibt es bereits erste Freiwillige.

Mindestens 81 tote Grauwale an US-Küste

Seit Jahresbeginn seien in Kalifornien, Oregon, Washington und Alaska mindestens 81 Grauwale angespült worden, sagt Michael Milstein von der Ozean- und Klimabehörde NOAA. Rechne man die Westküsten Kanadas und Mexikos hinzu, liege die Zahl bei etwa 160. Es kämen zudem laufend weitere hinzu. Im Mai wurde die Entwicklung von US-Wissenschaftlern zum «aussergewöhnlichen Mortalitäts-Ereignis» erklärt – eine Einstufung, durch die zusätzliche Mittel für die Reaktion auf das Walsterben sowie zur Untersuchung der Hintergründe freigemacht werden konnten.

Mario Rivera und seine Frau Stefanie Worwag sind die ersten Privatpersonen, die einen Kadaver aufgenommen haben. Helfer des «Stranding Network», einem örtlichen Zusammenschluss aus Tierschützern, Forschungsinstituten und Regierungsstellen, banden in der Nähe von Port Townsend ein Seil um die Schwanzflosse des toten Wals und zogen ihn dann mit einem Motorboot knapp fünf Kilometer an der Küste entlang. Vor dem Haus des Paares befestigten sie ihn an Baumstümpfen.

«Er verrottet schön vor sich hin», sagt Rivera. Wegen des Gestanks hätten er und seine Frau die Nachbarn vorher um Erlaubnis gebeten. «Diese Woche gab es ein paar Tage, an denen ich draussen den Rasen gemäht habe und dachte: 'Uuuhh'». Durch Einsatz von grossen Mengen Kalk versuchten sie, den Verwesungsprozess zu beschleunigen und den Gestank zu reduzieren. Der Kadaver liege schliesslich nur gut 135 Meter vom Haus entfernt. «Aber es ist ja nur vorübergehend – es wird nur etwa einen Monat lang stinken.»

Seit der Aktion bei Port Townsend hätten mehr als 15 Privatpersonen angeboten, ebenfalls einen Kadaver aufzunehmen, sagt Milstein – die meisten von ihnen an eigenen Stränden an der Salish Sea zwischen Washington und der kanadischen Vancouver Island. In dem US-Staat ganz im Nordwesten wurden seit Januar bereits mehr tote Grauwale gezählt als beim letzten grossen Walsterben im Jahr 2000. In Oregon waren es bisher fünf, in Kalifornien 37 und in Alaska zehn.

Häufig verenden die Wale an Plastik müll. 
Häufig verenden die Wale an Plastik müll. 
Bild: Keystone/EPA dpa/Christian Charisius (Archivbild)

Experten gehen davon aus, dass nur etwa zehn Prozent der toten Wale an Stränden auftauchen, während die grosse Mehrzahl, von den Menschen unbemerkt, einfach auf den Grund des Ozeans sinkt. Die «Entsorgung» von angespülten Kadavern erwies sich in den vergangenen Jahren oft als aufwendig. Wenn die gigantischen Tiere an weniger entlegenen Stränden zu verrotten begannen, mussten sie zum Teil vergraben oder zu Deponien transportiert werden.

Walsterben an der Westküste

Das aktuelle Walsterben an der Westküste Nordamerikas wird von vielen Tierschützern als Rückschlag erlebt. «Es ist so traurig, dass sie einfach ans Ufer gespült werden und man diese grossen, majestätischen Tiere dann dort liegen sieht», sagt Betsy Carlson vom Port Townsend Marine Science Center. Trotzdem ist die Entwicklung auch Teil einer Erfolgsgeschichte. Denn der Ostpazifische Grauwal konnte 1994 von der Liste der gefährdeten Arten gestrichen werden. Die Population ist seitdem stark gewachsen – nach dem alarmierenden Rückgang in der Hochzeit des Walfangs sind es Schätzungen zufolge nun wieder etwa 27 000 Tiere.

Warum gerade jetzt plötzlich so viele tote Grauwale stranden, ist unklar. Eine Theorie ist, dass die Population eine Grenze überschritten haben könnte – die natürliche Umgebung den vielen Tieren nicht mehr genügend Nahrung bietet und einige deswegen hungern. Experten zufolge ist es aber auch möglich, dass die globale Erwärmung eine Rolle spielt.

Den Sommer verbringen die Grauwale in arktischen Gewässern, wo sie sich vor allem von Flohkrebsen ernähren. Im Winter schwimmen sie nach Süden, bis vor die Küste Mexikos. Wenngleich sie während der gesamten Wanderung Nahrung zu sich nehmen, sind sie auf dem Rückweg Richtung Norden in der Regel deutlich abgemagert.

Der im Staat Washington für die Organisation Cascadia Research arbeitende Biologe Calambokidis glaubt, die Wale könnten gerade wegen der gewachsenen Population nun besonders anfällig sein für die von der globalen Erwärmung verursachten Schwankungen im Nahrungsangebot. «Es ist nicht so, dass es in diesem Jahr doppelt so viele Grauwale gäbe wie im letzten Jahr», sagt er. Die Zahl sei nur in geringem Masse gestiegen. «Warum sollte man also mit einem so grossen Anstieg der Todesfälle rechnen? Es muss da eine weitere Variable geben.»

Untersuchungen der in den vergangenen Monaten angespülten Kadaver haben ergeben, dass die Wale tatsächlich ausgehungert waren. Das galt auch im Falle des Tieres, dessen Überreste nun am Strand von Rivera und Worwag liegen. Der Magen war voll von Seegräsern – die normalerweise nicht zum Speiseplan der Art gehören. «Dieser Wal war zu Verzweiflungskost übergegangen», sagt Rivera. «Es ist wie wenn ein hungernder Mensch anfängt, Gras zu essen, um am Leben zu bleiben.»


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