Der Milchverarbeiter Emmi kämpft im Schweizer Detailhandel weiter mit einem hohen Preisdruck. Dennoch habe man durchaus auch Preiserhöhungen durchsetzen können, sagte Emmi-Chef Urs Riedener im Interview mit der Wirtschaftsagentur AWP.
AWP: Herr Riedener, vor einem Jahr haben Sie an der Bilanzmedienkonferenz angekündigt, die Preise im Schweizer Detailhandel zu erhöhen. Warum?
Urs Riedener: Detailhandel und Konsument haben sich daran gewöhnt, dass Milchprodukte immer günstiger werden. Wir waren jedoch in der letzten Zeit mit Kostensteigerungen konfrontiert, die immer noch nicht auf den Detailhandel umgelegt worden sind.
AWP: Konnten Sie denn Preiserhöhungen erreichen?
UR: Der Preisdruck ist zwar immer noch brutal hoch auf Stufe Detailhandel. Es gelingt uns aber durchaus, auch Preiserhöhungen umzusetzen. Niemand kann uns verpflichten, unsere Produkte mit Verlust zu verkaufen. Dank unserer internationalen Aufstellung haben wir auch alternative Absatzkanäle. Uns spielt zudem in die Hände, dass die Milch derzeit etwas knapper wird und es daher weniger billige Milch im Markt gibt.
AWP: Können Sie ein Beispiel für ein Produkt mit einer Preiserhöhung geben?
UR: Damit kein falscher Eindruck entsteht: Wir erhöhen die Preise nicht um x Prozent. Es geht um ganz geringe Aufschläge. Beispielsweise sprechen wir bei einer Milchpreiserhöhung, wie es sie letzten Herbst gab, von 3 Rappen pro Kilogramm Milch. Wir haben aber einfach auch Produkte, die eigentlich nicht mehr rentieren. Bevor wir deren Produktion einstellen, versuchen wir, einen kostendeckenden Preis zu erzielen.
AWP: Emmi erwirtschaftet zwar inzwischen mit einem Anteil von 52 Prozent mehr Umsatz im Ausland als in der Schweiz, produziert aber immer noch den grössten Teil hierzulande. Wie gross ist der Anteil der Exporte am Auslandumsatz?
UR: Mit unseren Schweizer Exportprodukten machen wir einen Umsatz zwischen 300 und 350 Millionen Franken. Insgesamt werden damit rund 60 Prozent unseres Umsatzes mit Produkten aus der Schweiz erzielt.
Schweizer Qualität
AWP: Bleibt das auch in Zukunft so?
UR: Ich glaube schon. Die Schweiz ist zwar auf den ersten Blick ein teurer Standort. Aber wir haben eine grosse Expertise hier. Klar kann es verlockend sein, die Produkte an einem anderen Ort günstiger herzustellen. Die Frage ist dann aber: Bekomme ich dafür auch den gleichen Preis? Es wird durchaus mehr bezahlt für Qualität aus der Schweiz. Die Exporte helfen uns zudem, da wir mit einer grösseren Menge die Stückkosten senken können und damit kompetitiv bleiben.
AWP: Um sich im Ausland weiter abzuheben, wollten Sie schon vor Jahren die Nachhaltigkeitsstandards anheben und alle ihre Milchlieferanten bis 2020 verpflichten, die Tierwohlstandards RAUS oder BTS zu erfüllen. Nun hat sich die Branche erst im letzten Jahr auf einen entsprechenden Standard «swissmilk green» geeinigt.
UR: Ja, wir haben auf eine schnellere Umsetzung gedrängt und sind jetzt gegenüber einigen Programmen im Ausland ein wenig im Rückstand geraten. Vor allem europäische Milchverarbeiter positionieren sich vermehrt sehr offensiv über die Nachhaltigkeit, obwohl sie bei genauem Hinsehen wenig Handfestes zu bieten haben. Aber es kommt, da bin ich zuversichtlich. Auch wenn die Milchbauern über das Thema reden, klingt das inzwischen ganz anders als noch vor vier Jahren, als wir für unser Vorhaben heftige Kritik einstecken mussten. Ich bin sehr zufrieden, wie sich das jetzt entwickelt hat.
AWP: Hilft Ihnen denn der Standard im Ausland wirklich?
UR: Der Konsument zahlt im Ausland für ein gutes Stück Schweizer Käse bis zu viermal mehr als für den Standardkäse. Das geht nicht, ohne dass etwas hintendran ist, das glaubhaft vermittelt werden kann. Wenn wir sagen, die Schweizer Milchwirtschaft erfüllt in der grossen Masse höhere Standards, dann antwortet man uns heute: Ja, aber es gibt auch Ausnahmen.
AWP: Der Milchpreis steigt mit «swissmilk green» auf 70 Rappen. Ist er damit momentan an einem fairen Ort?
UR: Erstens: Fair ist immer ein ganz schwieriges Wort. Emmi war in den letzten Jahren eine verlässliche Partnerin und bezahlt einen überdurchschnittlichen Milchpreis. Zusätzliche Leistungen der Produzenten werden übrigens seit Jahren über die Direktzahlungen abgegolten. Das wird oft vergessen.
Zukunft für Schweizer Bauern
AWP: Und zweitens?
UR: Zweitens haben wir ein Interesse daran, dass der Milchpreis hoch genug ist, damit die Milchproduktion für die Schweizer Bauern auch in Zukunft attraktiv ist. Wir wollen ja inskünftig noch Schweizer Milch. Insgesamt ist es gut gelungen, den Milchpreis wieder zu stabilisieren und leicht zu erhöhen. Und die Mengen stimmen mit der Nachfrage überein. Die Milchmenge war 2019 auf einem Niveau, auf dem Entlastungsexporte im grossen Stil nicht notwendig waren. Deshalb glaube ich, das System inklusive Bezahlung ist insgesamt ein gutes.
AWP: Es gibt aber schon immer weniger Betriebe – die einzelnen werden einfach grösser.
UR: Der Druck zur Produktivitätssteigerung gibt es in allen Branchen. Für uns ist wichtig, dass unser Milchpreisabstand zum Ausland einigermassen konstant bleibt. Sobald der Abstand zu gross wird, nehmen die Importe zu, etwa im Käsebereich, im Billigbereich und bei den verarbeiteten Produkten. Da im Ausland zudem die Produktivitätsfortschritte grösser sind als in der Schweiz, braucht es auch hier einen gewissen Fortschritt, um die Milchpreisdifferenz konstant zu halten. Und ich glaube, gerade die Landwirtschaft steht noch einmal vor einem deutlichen Produktivitätsschub.
Neue Trends
AWP: Sie führen Emmi nun schon seit zwölf Jahren. Wie haben sich die Vorlieben der Konsumenten in dieser Zeit verändert?
UR: Das Milchbusiness war in der Vergangenheit ein stabileres Geschäft als heute, am stabilsten ist wohl das Käsegeschäft geblieben. Der Liter Milch, der auf dem Familientisch steht, ist dagegen weniger gefragt. Dafür gibt es neue Trends.
AWP: Welche sind das?
UR: In kurzer Zeit wahnsinnig gross geworden ist etwa der Proteintrend. Aber auch Convenience ist ein Thema: Die Leute sind mehr in Bewegung und wollen auch Produkte, die sie in Bewegung konsumieren können. Was immer in ist, ist auch das Thema Genuss – hier sind die Leute nicht bereit, Kompromisse zu machen.
AWP: Und Gesundheit beziehungsweise auch Milchalternativen?
UR: Richtig, Milchalternativen oder generell vegane Produkte sind auf dem Vormarsch. Das allerdings noch stärker in Märkten, wo die Konsumenten weiter weg sind von der Milch und von der Milchwirtschaft als in der Schweiz. Zum Beispiel an der Westküste in den USA, wo es grosse Farmen gibt und das ganze Produktionssystem viel anonymer ist. Zwar wächst der Trend auch in der Schweiz und Europa, ist aber im Vergleich zu anderen noch relativ klein und bescheiden. Aber die Nachfrage zieht an, und wir setzen selber auch drauf. Nur zum grossen strategischen Schwerpunkt erklären würde ich es nicht.
Markt in Lateinamerika
AWP: Emmi setzt ja auch stark auf Lateinamerika. Wie unterscheidet sich da der Geschmack von den Schweizern?
UR: Im Grundsatz sind wir in Ländern tätig, wo die Milch auch quasi zur Grundernährung gehört. Es ist sehr schwierig, mit unserem Qualitätsdenken in ein Land zu gehen, das überhaupt keine Milchherkunft hat. Deshalb fokussieren wir uns nebst Europa auf Nord- und Südamerika. Während wir in Europa aber einfach Caffè Latte in einem Land lancieren können, müssen wir in den Schwellenländern zuerst einen Basiskonsum abdecken: Das kann Milch sein, oder Käse, der im Massenbereich gefragt ist. Ohne diese Basis bekommen wir keinen Distributionszugang. Erst wenn wir das haben, können wir premiumisieren. Da müssen wir ausloten, wie viel geht. Im Massenmarkt muss ich immer einen Tick besser sein als der Markt. Wenn ich allerdings viel besser bin, ist es viel zu teuer und dann gibt es keinen Markt.
AWP: Können Sie ein Beispiel geben?
UR: In Chile gibt es beispielsweise ganz billige Jogurts: Da ist zwar schon Milch drin, aber das erkennt man kaum mehr. Sie haben eine sehr wässrige Konsistenz und viele Aromen statt richtiger Früchte, damit es möglichst wenig kostet. So etwas müssen wir auch anbieten, auch wenn wir daran kaum Freude haben. Wir peppen das dann aber mit richtigen Fruchtstückchen auf und versuchen so, den Markt quasi hochzuziehen.
AWP: Sie haben im letzten Jahr bereits einige Zukäufe getätigt. Wann werden Sie den nächsten Markt erschliessen?
UR: Wir haben in der jüngeren Vergangenheit gesagt, dass wir durchaus in der Lage sind, noch weitere Länder hinzuzunehmen. Das Ziel war mal ein bis drei. Zwei haben wir nun schon. Deshalb ist ein weiterer Markt jetzt nicht zuoberst auf der Liste. Manchmal braucht es zudem Jahre, bis man das richtige Ziel hat. Das haben wir auch im Fall von Brasilien gesehen. Kurz gesagt: Ja, wir sind interessiert, uns geographisch auszuweiten. Wir haben aber gar keinen Druck. Ich glaube, wir gehen nochmal in einen Markt in den nächsten fünf Jahren. Aber: welchen, da will ich mich nicht festlegen!
Zurück zur Startseite