Print lebt In der Innerschweiz erscheinen Anzeigen immer noch auf Papier

SDA/tjb

2.8.2020 - 00:00

Einst als «Schrecken der Verleger» verschrien, erheischen acht Anzeigenhefte in der Zentralschweiz mit ihren Inseraten seit Jahrzehnten Aufmerksamkeit. Sie landen jede Woche gratis in den Briefkästen im jeweiligen Streugebiet und scheinen dem Online-Trend zu trotzen.

«Zu verkaufen Gras ab Feld» steht in schlichten, schwarzen Lettern in der Annonce. Daneben preist in hellblauer Schrift auf einer ganzen A3-Seite ein Bäcker seine Ware an. Ein Strassenbauer gratuliert seinem Lehrling zum Abschluss, eine 4,5-Zimmerwohnung ist für 1060 Franken im Monat ausgeschrieben, ein gebrauchter Subaru für 14'000 Franken. Und weiter hinten im Heft suchen sie per Stelleninserat einen Bestatter.

Dieses farbige Allerlei findet sich in handlichen Heftchen aus gutem, altem Papier. Sie heissen Uristier, Nidwaldner Blitz oder B@rni-Post und sind ein Phänomen in der ländlich geprägten Innerschweiz, wo sie seit über 30 Jahren nach unverändertem Prinzip funktionieren: als reine Inseratepublikationen ohne redaktionelle Inhalte.

Adrian Hess ist Geschäftsführer des «Wochepass» mit Sitz in Sursee LU. Sein Anzeiger erscheint wöchentlich mit einer Normalauflage von 41'000 Exemplaren. Er ist einer von acht solchen Titeln, die heute in einem Verbund arbeiten und zusammen rund 70 Personen Arbeit geben. «Powerkombi» nennt sich das Angebot, das Inserenten 400'000 Leser verspricht – von Andermatt UR bis Zetzwil AG und von Engelberg OW bis Ebersecken LU.

Der Verbund ist eine lose Gemeinschaft, mit der man für grössere Unternehmen als Plattform attraktiv sein will. Hess schätzt dessen jährliches Werbevolumen auf 10 bis 15 Millionen Franken.

Zeitungen in Aufruhr

Sein Vater, sagt Hess, habe 1985 den Gratisanzeiger lanciert, um eine kostengünstige Werbemöglichkeit zu bieten. «Ein Mann lehrt Verleger das Fürchten», titelte damals die Luzerner Tageszeitung «Vaterland» über den Einmann-Betrieb. Heute beschäftigt das Unternehmen gegen 30 Mitarbeitende.

Diese stellen jenes Heft her, das in all den Jahren bloss einmal sein Layout geändert hat. Verändert hat sich dagegen die Seitenzahl, von anfänglich 20 auf heute 160 im Durchschnitt. Gedruckt wird der Anzeiger in Langenthal, ausgeliefert stets am Mittwoch. «Wenn er nicht kommt, haben wir Reklamationen», sagt Hess.

Rund 20 Prozent der Inserate bewerben Anlässe, 40 Prozent sind Kleinanzeigen und der Rest Stellen- und Immobilieninserate. Die Preise für Inserate sind in sämtlichen acht Anzeigern ähnlich – sie reichen von rund 40 Franken bis 700 Franken für eine ganze Seite in Farbe.

In der Coronakrise fielen die Inserate für Jodler-Konzert, Turnerabend, Kilbi oder Grümpelturnier komplett weg. Zwischen März und Juni sei der Umsatz um 60 Prozent eingebrochen, sagt Hess. Sein Unternehmen meldete Kurzarbeit an, hat sich mittlerweile aber bereits wieder etwas erholt.

Gummiboote und Ferienhäuser

Weniger Interesse registrierte zu Beginn der Coronakrise auch ein anderer Player im Anzeigenmarkt: Die Online-Plattform tutti.ch bietet seit 2010 Gratisinserate an. Über 1,8 Millionen Anzeigen und 15 Millionen Besucher pro Monat registriert das Portal, das der Schweizer Mediengruppe TX Group AG gehört.

Marketing-Managerin Alexandra Müller gibt auf Anfrage bekannt, der Coronabedingte Einbruch sei bloss von kurzer Dauer gewesen. Danach habe man gar Rekordtage verzeichnet. Deutlich mehr gesucht wurde nach Ferienhäusern und Ferienwohnungen, nach Camping-Zubehör und nach Gummibooten.

Online-Anzeigeplattformen wie Ricardo, Homegate oder Autoscout bieten bereits seit der Jahrtausendwende im Internet das, was «Wochepass» und Co. in Papierform liefern: Platz für Inserate gegen Geld. Spätestens aber seit Aufkommen von Onlineportalen des Schlages tutti.ch mit Gratisinseraten müssten die Innerschweizer Papierprodukte doch angezählt sein.

Serviertochter entlassen

Aber: «Angst ist keine da», sagt Hubert Lüthold, wenn man ihn auf die Zukunft seines Lebenswerks anspricht. Der 59-Jährige hatte 1988 «Aktuell Obwalden» lanciert und ist damit im Verbund der Gratisanzeiger ebenfalls dabei. Sein Sohn ist bereits ins Geschäft eingestiegen.

Schon seit zehn Jahren heisse es, Print sei tot. Doch diese Tendenz spüre er nicht, sagt Lüthold. Im Lokalen sei Print eben immer noch sehr wichtig. Wer im Kanton etwa ein Haus oder eine Wohnung vermieten oder eine Stelle besetzen wolle, setze eher auf die Anzeiger als auf Onlineinserate.

Das Online-Geschäft spielt bei den Anzeigern kaum eine Rolle, zu gross sind Aufwand und Konkurrenz, zu klein die Masse. Überhaupt, sagt Adrian Hess, sei man mehr als eine blosse Inserateplattform. Die Heftchen seien leicht verdaulich für jene, die nicht gross lesen und trotzdem etwas «Dorfgeschnorre» mitbekommen wollen.

Abgedruckt werde eigentlich alles, sagt Lüthold, Zensur gebe es keine. Unter jeder Anzeige müsse allerdings ein Name oder ein Verein ersichtlich sein. Nur einmal habe er ein Inserat abgelehnt, als eine Serviertochter sich darin über ihren Chef beklagen wollte, der sie entlassen hatte.

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