Prozess Sicherheitskultur im Lido Luzern nach Badeunfall infrage gestellt

SDA

23.6.2020 - 18:49

Beim ersten Steg rechts im Bild des Strandbades Lido in Luzern passierte 2014 ein schwerer Unfall.
Beim ersten Steg rechts im Bild des Strandbades Lido in Luzern passierte 2014 ein schwerer Unfall.
Source: googlemaps

Komplett gelähmt ist ein Mann seit einem Badeunfall im Jahr 2014 im Luzerner Strandbad Lido. Am Dienstag standen deshalb zwei Badi-Mitarbeiter vor dem Kantonsgericht. Die Anklage rügte die Freisprüche der Vorinstanz, die Verteidiger pochten auf Eigenverantwortung.

Es war ein schöner Pfingstmontag, als das spätere Opfer mit seiner Frau und den beiden Söhnen zum ersten Mal nach Luzern ins Lido kam. Der Strandbesuch sollte höchstens 15 Minuten dauern, das Familienleben aber für immer verändern, wie es der ältere Sohn bei der Befragung vor Gericht sagte.

Der Vater befand sich mit dem jüngeren Sohn auf einem Badesteg und ging von dort ins Wasser. Dabei brach er sich zwei Halswirbel und ist seither Tetraplegiker.

Für den Bademeister und den Geschäftsführer hatte der Unfall juristische Konsequenzen. Der Staatsanwalt erhob auf Geheiss des Bundesgerichts Anklage. Der Vorwurf: fahrlässige schwere Körperverletzung durch Unterlassung.

Er begründete dies damit, dass damals im Lido keine Verbotstafeln für Kopfsprünge vom Steg angebracht waren. Zudem hätte der Bademeister die gefährliche Situation erkennen und eingreifen müssen. Das Bezirksgericht sprach beide frei, da nicht erwiesen sei, dass das Opfer einen Kopfsprung gemacht habe.

Frage des Kopfsprungs

Dagegen legten Privatkläger und Staatsanwalt Berufung ein. Im Fokus stand beim Prozess die Frage nach dem Kopfsprung, oder «Spiesschen», wie es die beiden Söhne bei der Befragung nannten.

Laut der Version der Familie sprangen Vater und jüngerer Sohn erst auf der linken Seite des Stegs zweimal Kopf voran ins Wasser, als die Mutter und der ältere Sohn zu ihnen stiessen und sie die Seite wechselten. Dort habe der Vater den fatalen Sprung ausgeführt.

Der beschuldigte Bademeister gab an, er habe die Personen vom Aufsichtsturm aus wahrgenommen aber keine Kopfsprünge registriert. Der Vater habe den Sohn Fuss voran ins Wasser geworfen, es sei ein friedliches Spiel gewesen, daher habe er nicht interveniert.

«Zu seicht»

Zwar habe er nicht gesehen, wie der Unfall passierte. Doch: «In meinen acht Jahren habe ich noch nie einen Kopfsprung in diesem Bereich gesehen», sagte er. Das Wasser sei dort viel zu seicht. Die Wassertiefe betrug bloss 1,19 Meter.

Der Staatsanwalt, der an den geforderten bedingten Geldstrafen für die beiden Beschuldigten festhielt, sprach von einem nicht «vertretbaren Freispruch» der Vorinstanz. Dass das Opfer ins Wasser gefallen sein soll, sei eine reine Schutzbehauptung. Der Bademeister habe die Situation falsch eingeschätzt und die Gefahr nicht erkannt.

Auch sei die Beweiswürdigung nicht überzeugend. So würden sich nicht zwei gegensätzliche Aussagen zum Unfallhergang gegenüberstehen, weil der Bademeister diesen nicht gesehen habe. Sowohl bei der befragten Therapeutin der beiden Söhne als auch im Arztbericht sei durchwegs von einem Sprung ins Wasser die Rede.

Der Opferanwalt stellte die Frage in den Raum, wieso die Familie die Version des Kopfsprungs hätte erfinden sollen. Erst recht, da ein solcher als Wagnis taxiert werde, was zu einer Leistungsverweigerung durch die Unfallversicherung führen könne.

Freisprüche gefordert

Er machte den Geschäftsführer für eine «mangelhafte Sicherheitskultur im Strandbad im Umgang mit Kopfsprüngen» von damals verantwortlich. Bei einem Kopfsprungverbot wäre der Familienvater nicht dreimal in den See gesprungen.

Diese Argumentation nahm der Verteidigung des Bademeisters auf. Wenn der Privatkläger tatsächlich bereits zweimal ins Wasser gesprungen sei, habe er gewusst, wie tief das Wasser war. «Er sprang in Missachtung aller Gefahren ins Verderben», sagte er. Ob eine Verbotstafel etwas genützt hätte, sei nicht klar.

Sein Mandant habe nicht etwas verhindern können, was er nicht kommen sah und sei daher freizusprechen. Das forderte auch der Verteidiger des Geschäftsführers. Falls der Mann gesprungen sein sollte, habe er sich unverantwortlich verhalten.

Nicht abschliessend geklärt sei überdies die Ursache für die schweren Verletzungen, insbesondere was die Frage der Bergung angehe. Es gehe dem Privatkläger bloss um das Vorbereiten einer Zivilklage.

Der Geschäftsführer sagte: «Wir können in Gottes Namen nicht jeden Einzelnen überwachen. Wir sind auf Eigenverantwortung angewiesen, sonst könnten wir eine solche Badi gar nicht betreiben.»

Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich verkündet.

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