Coronavirus – Schweiz Berufsschule der Valida St. Gallen testet digitales Klassenzimmer

SDA

27.4.2020 - 09:39

Fernunterricht bei der Berufsschule Valida. Drei Jugendliche mit Unterstützungsbedarf und ihre Lehrerin testen das digitale Klassenzimmer.
Fernunterricht bei der Berufsschule Valida. Drei Jugendliche mit Unterstützungsbedarf und ihre Lehrerin testen das digitale Klassenzimmer.
Source: Keystone-SDA/Nathalie Grand

Das Coronavirus stellt auch den Schulalltag von Jugendlichen mit einem Unterstützungsbedarf auf den Kopf. Die Berufsschule des sozialen Unternehmens Valida in St. Gallen wagt seit einer Woche ein Experiment und unterrichtet ihre rund 40 Lernenden im digitalen Klassenzimmer.

Die Valida begleitet seit über 90 Jahren Menschen mit Unterstützungsbedarf in der Ausbildung, bei der Arbeit, beim Wohnen und in der Freizeit. Das soziale Unternehmen bietet an sechs Standorten rund 500 Arbeitsplätze und ein Wohnangebot für 90 Menschen an und ist damit eines der grössten sozialen Unternehmen der Ostschweiz.

Vor vier Jahren erweiterte die Valida das Schulangebot für Lernende im ersten und zweiten Arbeitsmarkt. Seither führt sie im Werk 2 an der Lehnstrasse in St. Gallen eine eigene Berufsschule für INSOS Praktiker-Ausbildung (PrA) Lernende. Im August 2016 stand der erste Stundenplan. Ein Tag in der Woche ist Schule, vier Tage arbeiten die Jugendlichen in ihrem Betrieb.

«Wir halten uns an die INSOS-Richtlinien für Praktiker-Ausbildungen», sagt Rahel Holenweger, Bereichsleiterin Bildung bei der Valida, gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. INSOS Schweiz ist der nationale Branchenverband der Dienstleistungsanbieter für Menschen mit Beeinträchtigung. Die Fächertafel zeigt zwei Lektionen Allgemeinbildung, 1 Lektion Mathematik, 1 Lektion Sport, 2 Lektionen Fachkunde und 1 Stunde individuelle Lernzeit.

Weniger Stress als in der Schule

40 Lernende besuchen derzeit die Berufsschule der Valida. Seit dem Lockdown haben die fünf Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler nicht mehr gesehen. Vor einer Woche startete die Valida eine Online-Schule. Die Berufsschullehrerin Kathrin Lämmler sitzt in ihrem Büro vor dem Computer. Auf dem Bildschirm sind drei ihrer Schüler zugeschaltet. Bei einem vierten hat es technisch nicht geklappt.

Die Schüler und ihre Lehrerin tauschen sich zuerst einmal über ihre Erfahrungen mit dem Coronavirus aus. Es sei voll komisch, dass sie ihre Kolleginnen nicht mehr treffen könne, sagt Mauri. Die 18-Jährige absolviert eine PrA als Schreinerin. Sie findet den Fernunterricht gut: «So habe ich weniger Stress als in der Schule.»

Die Berufsschule der Valida biete den Jugendlichen Raum und Zeit für ihre individuelle Entwicklung, erklärt Rahel Holenweger. Vasileios, ein Kollege von Mauri und ebenfalls in der Schreiner-Ausbildung, vermisst seine Verwandten in Griechenland. Sein Grossvater sei ganz alleine. «Zum Glück dürfen wir arbeiten», sagt der 19-Jährige.

Die Berufsschüler haben von den Lehrkräften den Unterrichtsstoff per Mail oder Post zugeschickt bekommen. Vasileios und Stefan, der eine Ausbildung auf einem Landwirtschaftsbetrieb absolviert, müssen eine Prüfung schreiben. «Bitte legt die Hefte in dieser Zeit auf die Seite», sagt die Lehrerin den beiden Schülern bevor sie den Ton ausschalten. Für Mauri geht es derweil mit einem Frageblatt zum Thema Recycling weiter.

Im eigenen Tempo ans Berufsziel

«Im Gegensatz zu früher, werden von der Valida nicht mehr schwerpunktmässig Jugendliche mit kognitiven Einschränkungen unterrichtet», erklärt die Bereichsleiterin. Es gebe ganz unterschiedliche Gründe, weshalb jemand einen besonderen Unterstützungsbedarf bei der Ausbildung brauche. So besuchen etwa Schüler mit Lernschwierigkeiten oder mit gesundheitlichen Handicaps die Berufsschule.

Die Valida unterstützt die Lernenden individuell auf ihrem Weg in eine möglichst selbstständige Zukunft. «Wir klären den Lernstand der Jugendlichen sorgfältig ab und bauen auf den Stärken der Teilnehmenden auf», sagt Holenweger. Der Unterricht ist auf die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Lernenden ausgerichtet. Gemeinsam mit den Ausbildungsbetrieben und den Berufsberatern der Invalidenversicherung (IV) werden die Jugendlichen darin unterstützt, ihr Berufsziel zu erreichen.

Mauri hatte von der Lehrerin trotz Ferien Aufgaben erhalten. Sie möchte an ihre PrA eine zweijährigen Grundausbildung mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) anhängen. Die Aufgaben seien sehr schwierig, sagt die junge Frau. Die Lehrerin ermuntert die Berufsschülerin, noch ein Jahr zu warten und dann mit mehr Selbstvertrauen in die EBA-Ausbildung zu starten.

Lernen für Beruf und Alltag

Durch die Abschaffung der Anlehre (BBT) seien ab 2008 viele Menschen durch die Maschen gefallen, so Holenweger: «Mit der PrA INSOS Ausbildung haben sie die Chance, den Sprung ins nächst höhere Bildungsniveau zu schaffen.» Einige Schüler der Valida haben nach dem EBA auch noch den Abschluss einer Lehre mit EFZ geschafft.

Die Online-Schule sei ein Experiment. Die Schüler sind zuhause oder im Betrieb und haben unterschiedliche technischen Möglichkeiten. Für ihn sei die Online-Schule kein Problem, er passe sich an, sagt Andrin: «Ich denke aber, dass wir nicht ganz gleich viel lernen wie beim Präsenzunterricht, da man zuhause doch etwas abgelenkt ist.»

Die Jugendlichen lernen bei der Valida nicht nur für den Beruf, sondern auch für ihren Alltag. «Wir wünschen uns eine hohe gesellschaftliche Teilhabe der Menschen mit einer Beeinträchtigung», sagt Holenweger. Mauri hat mit ihren Freundinnen während der Coronakrise ein Fitnessprojekt gestartet. Sie treffen sich jeden Abend in einem Videochat und machen gemeinsam Übungen.

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