Darf ein Fluglotse für einen Fehler bei der Arbeit bestraft werden - obwohl niemand zu Schaden kam? Über diese Frage muss das Zürcher Obergericht im Fall eines 36-jährigen Lotsen entscheiden. Sein Fehler führte zu einem Beinahe-Zusammenstoss zweier Swiss-Maschinen.
Über sieben Jahre nach dem Vorfall am Flughafen Zürich beschäftigt ein Lotsen-Fehler noch immer die Justiz. Der Skyguide-Mitarbeiter hatte im März 2011 zwei Swiss-Maschinen mit insgesamt über 260 Menschen an Bord kurz nacheinander die Start-Erlaubnis erteilt - allerdings auf sich kreuzenden Pisten. "Mein Plan war, dass diese Flugzeuge hintereinander starten und dass es reicht", sagte er am Dienstag vor Obergericht.
Einer der Piloten war der Meinung, dass es nicht reicht: Er brach den Start im letzten Moment ab. Wenige Sekunden später erteilte auch der beschuldigte Lotse den Befehl zum Start-Abbruch - allerdings erst, nachdem bei ihm ein Alarm losgegangen war. Die Crew im zweiten, voll besetzten Flugzeug bekam von der Situation nichts mit.
Er habe keine Regeln verletzt, sondern nur sein Bestes gegeben, betonte der Lotse. "Dafür darf man doch nicht verurteilt werden." Was ihm passiert sei, könne jedem anderen auch passieren.
Der Flughafen Zürich gilt bei Piloten und Lotsen als besonders schwierig, weil sich zwei Pisten kreuzen. Damals fanden Messflüge zudem noch tagsüber statt, was die Belastung der Fluglotsen zusätzlich erhöhte.
Zurück in die alte Funktion
Der Schweizer arbeitet seit dem Vorfall im Hintergrund der Flugsicherung und kümmert sich um die Weiterentwicklung der Sicherheit. Aktuell absolviert er aber eine Ausbildung, um wieder in seine alte Funktion zurückkehren zu können. Wird er verurteilt, ist unklar, ob er je wieder in seinem Traumberuf arbeiten kann.
Dieser Fluglotse war bereits 2008 in einen ähnlichen Vorfall involviert. Damals wurde das Strafverfahren jedoch eingestellt, weil die Gefahr nicht genügend akut gewesen war. Auch damals kam niemand zu Schaden. Der Lotse erhielt eine psychologische Nachbearbeitung und wurde wieder in den Betrieb eingegliedert.
Für den vorliegenden Vorfall will ihn die Staatsanwaltschaft jedoch bestraft sehen. Der Ankläger fordert eine Verurteilung wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs und dafür eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 100 Franken.
"Es ist einzig dem Zufall und dem Verhalten des einen Piloten zu verdanken, dass es nicht zur Kollision kam", sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, die Gefährdung vorauszusehen. Der Beschuldigte sei nicht genügend aufmerksam gewesen und habe sich stattdessen dem Flugprogramm für Messflüge gewidmet. Damit habe er falsche Prioritäten gesetzt.
Die Vorinstanz, das Bezirksgericht Bülach, war noch anderer Meinung und sprach den Lotsen frei. Der Lotse könne nicht für etwas verurteilt werden, das gar nicht passiert sei.
"Verbissene Staatsanwaltschaft"
Die Staatsanwaltschaft verbeisse sich seit einigen Jahren geradezu in solche Fälle, sagte der Anwalt des Lotsen in seinem Plädoyer. Momentan seien gleich mehrere Fälle hängig.
Früher mussten Lotsen bei Fehlern nicht mit juristischen Konsequenzen rechnen, es sei denn, sie handelten grobfahrlässig oder mit Absicht. Mittlerweile gibt es bereits ein rechtskräftiges Urteil des Bundesstrafgerichtes Bellinzona, bei dem ein Lotse wegen eines Fehlers zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt wurde.
Ein weiterer Fall ist vor dem Bezirksgericht Bülach hängig - auch da geht es um eine Beinahe-Kollision. Der dort beschuldigte Lotse sass am Dienstag ebenfalls im Obergerichtssaal, aber als Zuschauer. Zusammen mit vielen anderen Lotsinnen und Lotsen stand er seinem beschuldigten Kollegen bei.
Die Skyguide-Mitarbeitenden fürchten um die Fehlerkultur, also dass Fehler wegen drohender Gerichtsprozesse nicht mehr intern gemeldet werden. Schwachstellen zu erkennen und daraus zu lernen, würde so schwieriger. Aus Zeitgründen konnte das Obergericht noch keinen Entscheid fällen. Die Urteilseröffnung findet am 12. Dezember statt.
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