Von einem Menschen, der im Alltag nicht zurechtkommt und deshalb einen Beistand erhalten soll, kann man auch keine juristisch einwandfreien Rekurse verlangen. In solchen Fällen müssen Behörden Rücksicht nehmen. Dies hat das Zürcher Obergericht entschieden und damit das Verhalten des Bezirksrates Bülach als "nicht angemessen" beurteilt.
Im August 2017 entschied die KESB Bülach-Süd, einem 45-jährigen Mann einen Beistand zur Seite zu stellen. Dieser sollte für ihn administrative und finanzielle Angelegenheiten regeln, denn nur schon das rechtzeitige Einzahlen der Miete war ein Problem.
Wegen eines Unfalls als Kleinkind hat der Betroffene eine Sprachstörung und kann sich nur unzureichend mitteilen. Im Alltag ist er rasch überfordert. Zudem kann er Situationen schlecht einschätzen und erkennt nicht, welche Folgen seine Handlungen haben.
Obwohl er deswegen immer wieder Probleme hatte: Einen Beistand mit Kontrolle über sein Vermögen wollte er dann doch nicht. Deshalb schrieb er der KESB mehrere E-Mails, die dafür aber der falsche Adressat war. Er hätte sich beim Bezirksrat beschweren müssen.
Da die KESB wusste, dass sich der Betroffene nicht wie vom Gesetzgeber vorgesehen wehren konnte, leiteten die Mitarbeiter die Mails an den Bezirksrat weiter - mit dem Vermerk, der Mann sei überfordert damit, eine Beschwerde einzureichen.
Die Antwort des Bezirksrates Bülach war, was das Obergericht nun als "nicht angemessen" beurteilte: Er setzte dem Mann eine Frist von zehn Tagen, in der er seine Beschwerde einreichen solle - und bitte richtig, nicht nur in Form von E-Mails.
Inhaltlich und zeitlich überfordert
Die Frist lief ab - der Mann schaffte es nicht. Er wandte sich deshalb gleich ans Obergericht und schilderte seine Beeinträchtigungen. Die Oberrichter zeigten sich flexibler und behandelten den Fall. Im Urteil, das kürzlich publiziert wurde, kommen sie zum Schluss, dass ein Mensch, der im Alltag auf Hilfe angewiesen ist, wohl kaum eine richtige Beschwerde verfassen könne.
Der Mann sei offensichtlich inhaltlich und zeitlich überfordert gewesen. Solchen Menschen müsse man aber die Gelegenheit geben, ihr Anliegen auf anderem Weg zu deponieren. Auf Schwächezustände müsse Rücksicht genommen werden. Dies habe der Bezirksrat nicht getan.
Das Obergericht schickt den Fall deshalb zurück nach Bülach. Der Bezirksrat muss dem Betroffenen nun die Möglichkeit geben, seine Einwände in geeigneter Form vorzubringen.
Nicht der erste Rüffel für Bülach
Es ist nicht das erst Mal, dass das Zürcher Obergericht den Bezirksrat Bülach rüffelt. Bereits im vergangenen Sommer tadelten die Zürcher Richter die Behörde im Unterland. Der Grund waren grobe Verfahrensfehler, ebenfalls bei einem KESB-Fall.
Beim damaligen Fall passierten so viele Formfehler, dass das Obergericht den Entscheid kurzerhand für ungültig erklärte. So wurde etwa die Einsprachefrist für die Mutter zwei Mal verlängert, für den Vater aber nicht. Ein Protokoll bestand aus handschriftlichen A4-Blättern voller Gekritzel.
Auch mit der Besetzung des Bezirksrates stimmte damals etwas nicht. Es redeten zu viele Leute mit, die gar nicht dazu berechtigt waren. Der Regierungsrat nimmt den Bezirksrat Bülach aber in Schutz. Die Zahl der erhobenen Rechtsmittel gegen Entscheide aus Bülach sei verglichen mit anderen Bezirksräten nicht auffällig, schrieb er im November als Antwort auf einen Kantonsrats-Vorstoss.
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