Der «Tages-Anzeiger» hat eine Frau nicht konkret mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Der Presserat hat die Beschwerde der in einem Artikel über einen Sorgerechtsstreit angegriffenen Frau teilweise gutgeheissen.
Journalisten sind gemäss dem am Freitag veröffentlichten Urteil des Presserates verpflichtet, Betroffene zu schweren Vorwürfen anzuhören. Dies sei nicht geschehen. Im konkreten Fall ging es um Vorwürfe, die Frau sei Mitglied einer in der Schweiz noch wenig bekannten Sekte mit rassistischem Gedankengut und habe ihrem Sohn kurzzeitig medizinische Versorgung verweigert.
Der Autor schrieb der Frau erst einen Tag vor Drucklegung des monatelang recherchierten Artikels im Dezember 2018 ein «rudimentäres E-Mail», ohne die schweren Vorwürfe gegen sie präzis zu benennen. Die Frau antwortete nicht darauf beziehungsweise sie gab an, das Mail nicht erhalten zu haben.
Autor und Kindsvater in engem Kontakt
Laut Presserat hätte der «Tages-Anzeiger» zwingend auf anderen Wegen nachhaken müssen. Umso mehr, als unbestritten sei, dass der Autor mit dem Vater des Kindes in engem Kontakt stand. Es habe damit eine gewisse Gefahr bestanden, dass die Angelegenheit nur aus Sicht der beiden Männer dargestellt wird.
Wahrheitswidrige Informationen hat der Text gemäss Urteil des Presserates jedoch nicht aufgewiesen. Die Recherche sei der Wahrheitssuche verpflichtet gewesen, das Wahrheitsgebot sei damit nicht verletzt worden. Deshalb lehnte der Rat diesen Punkt der Beschwerde ab.
Auch die Zuspitzung der Geschichte auf der Frontseite des «Tages-Anzeiger» mittels einer Karikatur, die gemäss der Frau darauf anspielt, sie sei Anhängerin einer gefährlichen rechtsradikalen Sekte, sei erlaubt, so der Presserat. Die Karikatur zeigte die weibliche Ikone der Sekte als Blondine mit Hakenkreuz-Fahne. Die Leserschaft setze diese Figur kaum mit der Frau gleich, welche die Beschwerde geführt hat, so der Presserat.
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