Das Zürcher Bezirksgericht hat zwei Pflegefachfrauen des Universitätsspitals am Donnerstag wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Sie sollen den Suizid eines depressiven Patienten ermöglicht haben, weil sie diesen kurz alleine liessen. Eine Strafe erhalten sie jedoch nicht.
Der 66-jährige, depressive Patient, der wegen einer Gefäss-Operation im Universitätsspital lag, war nur kurze Zeit ohne Aufsicht. Die Sitzwache, die ihn während der Nacht im Auge behielt, hatte Schicht-Ende. Und die Ehefrau, die üblicherweise nicht von seiner Seite wich, war noch nicht im Spital angekommen.
Diese Gelegenheit nutzte der Patient und sprang aus dem nächstbesten Fenster. Noch am selben Tag starb er an seinen Verletzungen, die er sich vom Sturz aus dem fünften Stock zugezogen hatte.
Sitzwache nach Hause geschickt
Für den Staatsanwalt ist klar, dass die zuständige Pflegefachfrau und die Pflege-Abteilungsleiterin ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben. Die Selbstmordgefährdung sei offensichtlich gewesen. «Sie mussten damit rechnen, dass er sich etwas antut und hätten das verhindern müssen.» Stattdessen hätten die Pflegenden die Sitzwache nach Hause geschickt und den Patienten seinem Schicksal überlassen.
Dabei habe es doch eine Anweisung der Ärzte gegeben, eine Suizid-Sitzwache einzurichten. Das bedeutet, dass ein Patient pausenlos im Auge behalten wird. Meist setzt sich dafür eine Person einer externen Firma zum Patienten ins Zimmer. Nicht einmal beim Gang auf die Toilette werden die Patienten dann alleine gelassen.
Weil eine solche Sitzwache an diesem Tag im Juni 2012 offenbar fehlte, forderte der Staatsanwalt für beide Beschuldigten wegen fahrlässiger Tötung eine bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 100 Franken, bei einer Probezeit von zwei Jahren.
Das Bezirksgericht folgte den Argumenten des Staatsanwaltes. «Der fatale Sprung hätte wahrscheinlich verhindert werden können», sagte er. Die Sitzwache einfach nach Hause zu schicken und keine neue anzufordern, sei falsch gewesen. Sowohl die zuständige Pflegefachfrau als auch die Abteilungsleiterin hätten gemäss Richter Rücksprache mit dem Arzt nehmen müssen.
Ein Kommunikationsproblem
Die beiden Pflegefachfrauen argumentierten, dass sich der Patient deutlich beruhigt habe und sie eine weitere Sitzwache deshalb für unnötig erachteten. Dass der Patient schon längere Zeit Selbstmordabsichten hegte, war den Pflegenden nicht bekannt. Aus Zeitgründen sei es unmöglich, alle Patientenberichte zu lesen.
Beide betonten zudem, dass es keine ärztliche Anweisung für eine Suizid-Sitzwache gegeben habe. Sonst hätten sie diese natürlich umgesetzt. Die Abteilungsleiterin kritisierte deshalb das ganze Strafverfahren. Es sei offensichtlich ein Kommunikationsproblem gewesen, aber eher auf Stufe Ärzteschaft als bei den Pflegenden. «Und wir als Pflegende sollen jetzt für so etwas geradestehen.»
Aus damaliger Sicht und mit den damaligen Informationen hätten sie alles richtig gemacht. «Aus heutiger Sicht hätten wir sicher eine andere Lösung gesucht. Das hat uns alle tief betroffen gemacht.»
Desinteresse an Strafverfolgung
Obwohl die beiden Pflegefachfrauen verurteilt wurden: Auf eine Bestrafung verzichtete das Gericht. Es berief sich dabei auf Artikel 53, den Artikel für Strafbefreiung. Strafbefreiung ist unter anderem möglich, wenn alles unternommen wurde, um den Schaden auszugleichen.
Im vorliegenden Fall schlossen die Witwe und das Unispital einen Vergleich auf zivilrechtlichem Weg. Die Frau erklärte ihr Desinteresse an einer Strafverfolgung. Das Spital versprach dafür, alles zu unternehmen, dass nie wieder ein ähnlicher Fall passiert.
Die beiden verurteilten Pflegerinnen müssen aber die Gerichtskosten zahlen. Beide arbeiten weiterhin am Unispital.
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