Olympische Spiele 2030 Chance oder Absage – die Meinungen gehen auseinander

sda

30.11.2023 - 11:05

Die olympischen Ringe und die Schweiz – das ist und bleibt ein schwieriges Verhältnis.
Die olympischen Ringe und die Schweiz – das ist und bleibt ein schwieriges Verhältnis.
Keystone

Die Schweizer Medien sind sich uneinig in der Bewertung des IOC-Entscheids, nicht in einen Dialog mit der Schweiz für Winterspiele 2030 zu treten. Chance oder Absage – die Meinungen gehen auseinander.

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Der Schweiz werden die Schwächen aufgezeigt

Tages-Anzeiger: «Das IOK bescheidet dem Projekt für Winterspiele 2030 Potenzial, kritisiert aber fehlende Unterstützung von Bevölkerung und Politik. (...) Es zeigt aber auch die Schwäche, mit der die Schweiz angetreten ist: Im Gegensatz zu Frankreich, wo sich Präsident Macron schnell mit seiner finanziellen Garantie hinter das Vorhaben stellte, sind in der Schweiz Referenden möglich. Für das IOK sind sie ein grosses Risiko. Für die Bevölkerung in unserem Land sind sie aber ein absolutes Must.»

Das IOC steht unter Beobachtung

Blick: «Was erst einmal klingt wie eine Abfuhr oder ein Schieben auf die lange Bank, ist in Wahrheit eine Chance: Jetzt können wir ganz genau hinschauen, ob es das IOC tatsächlich ernst meint mit der Abkehr von Gigantismus und Grössenwahn. (...) IOC-Präsident Thomas Bach und seine Kollegen, in den letzten Jahren nie Kandidaten für einen Sympathie- oder Glaubwürdigkeitspreis, versprechen nachhaltige Spiele. Sollte sich herausstellen, dass die neue Idee von Olympischen Spielen einfach nur alter Wein in neuen Schläuchen ist, sagen wir laut und deutlich: Nein, danke! Und steigen aus dem Bewerbungsprozess aus. Kurz: Das IOC steht unter Beobachtung.»

Olympia scheint fern wie eh und je

Neue Zürcher Zeitung: «Realistischerweise und allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz haben die Schweizer Ambitionen, Olympische Spiele durchzuführen, am Mittwoch einen nachhaltigen Dämpfer erhalten. (...) Nun versetzte den Schweizer Plänen bereits das IOK den Todesstoss. Zu denken geben muss den Schweizern vor allem die Tatsache, dass gerade das, was die Initianten als grosse Stärke erachteten, die dezentralisierten Spiele mit dreizehn Austragungsorten, die Kritik des IOK provozierte. Ganz so gross wie vermutet scheint der Reformwille doch nicht zu sein. Dem Status des ‹privilegierten Dialoges› zum Trotz, in den die Schweiz nun treten darf, scheint Olympia der Schweiz fern wie eh und je in den vergangenen Jahrzehnten.»

Jubeln dürfen die Sommersportverbände

CH Media: «Als Trumpf der Kandidaturen aus Frankreich und den USA wurde an der Pressekonferenz mehrmals der Support von höchster Stelle, von den Präsidenten Macron und Biden persönlich, betont. Verbunden mit grosszügigen Finanzgarantieren des Staates. Offensichtlich hat das IOC bei der Schweizer Kandidatur noch Vorbehalte gegenüber der grösstenteils privaten Finanzierung. Man wünscht sich auch hier staatliche Garantien. (...) Jubeln dürfen auch die Sommersportverbände. Swiss Olympic hat klar signalisiert, dass man sich für das Jahr 2030 auch eine Kandidatur für die European Games vorstellen kann.»

Absage ist für die Schweiz eine Chance

Südostschweiz: «Bloss ein ‹Zückerli› für den Verlierer? Wie bei einem Kind, das zwar beim Einkauf nicht das neuste Lego-Set erhält, dafür aber ein Weggli für den Heimweg. Nein! So kurios es auch klingen mag: Diese Absage ist für die Schweiz eine Chance. Denn ganz ehrlich: Olympia 2030 wäre eine Hauruckübung gewesen. (...) Dass die Schweiz, vom IOC einst selbst kontaktiert, für 2030 doch nicht zum Handkuss kommt, zeigt die Unberechenbarkeit und die Macht des internationalen Verbandes. Darum ist es gut, die Entwicklungen rund um das IOC in den nächsten Monaten sorgfältig beobachten zu können. Und dann allenfalls vom ‹Sonderstatus› zu profitieren.»

Am Ende gewinnen immer die anderen

Le Nouvelliste: «Am Ende gewinnen immer die anderen. Die Schweiz wurde einmal mehr zurückgewiesen. Im Gegensatz zur Ohrfeige von 1999 diesmal mit Stil. Drei Jahre hat man nun Zeit, das Dossier aufzubessern – ohne Konkurrenz. Im Idealfall wird man nach 90 langen Jahren wieder Olympische Spiele austragen. Das ist sehr lang, aber was sollen die Schweden sagen. Eine Wintersportnation erster Güte, haben sie noch gar nie Winterspiele erhalten. Seit 1984 sind sie nun zum achten Mal gescheitert – und in ihrem Fall ohne nette Worte der Jury.»

Tribune de Genève: «Privilegierte Partnerschaft hin oder her, das ist eine Zurückweisung zugunsten eines Projekts aus dem benachbarten Frankreich, das nicht wirklich besser ist.»

Corriere del Ticino: «Dieses Mal tut die Absage wirklich weh, denn es scheint, dass sie keiner kommen sah.»

Ruhe, um die Zukunft der Winterspiele zu regeln

Süddeutsche Zeitung: «Überrumpelt von der schnellen Entscheidung dürfte man in der Schweiz und in Schweden sein, wo zuletzt Bewerbungen für die Spiele 2030 entscheidende Hürden genommen hatten. Die Schweiz plante ein dezentrales Konzept mit mehreren Regionen im ganzen Land, um ausschliesslich bestehende Wettkampfstätten zu nutzen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Schweden mit Stockholm, Falun, Are und Östersund. Doch die Zeit für die Spiele 2030 drängte – und mit der langfristigen Planung verschafft sich das IOC Ruhe, um die Zukunft der Winterspiele zu regeln.»

L'Equipe: «Wir sind gerettet! Die französische Sportbewegung fragte sich, über welche Mittel sie nach Paris 2024 verfügen würde. Dank dieser Doppeldosis Olympia bleibt nun die grosse Depression erspart. Innerhalb von 15 Jahren wird Frankreich eine Fussball-EM, eine Rugby-WM sowie Olympische Sommer- und Winterspiele organisiert haben. Zumindest in einer Domäne floriert Frankreich und ist auf Augenhöhe mit Amerika. Die Organisatoren sollten sich aber hüten, die ökologischsten, sichersten oder am wenigsten teuren Spiele zu versprechen, um dann in sieben Jahren zurückrudern zu müssen.»