Trotz drei Niederlagen zum Start und obwohl Kanada die K.-o.-Phase ohne fremde Hilfe verpasst hätte, ist Kanada Eishockey-Weltmeister geworden. Eine richtig coole Story. Oder doch nicht? Es gibt für beide Wahrnehmungen gute Gründe.
Darum ist es gut, dass Kanada Weltmeister geworden ist
- Sämtliche Motivationscoaches haben durch diese spezielle WM-Geschichte der Kanadier ein neues Paradebeispiel für ihren Unterricht erhalten. Nach drei Pleiten zum Start wieder aufstehen, den Mund abwischen und es am Ende noch auf den Gipfel schaffen, dies kann in Zukunft jedem Team, das in der Bredouille steckt, eindrücklich aufzeigen, dass weiterhin Grosses möglich ist. Wenn man den Glauben nicht verliert und stattdessen noch enger zusammenrückt. Die Cinderella-Story dieses kanadischen WM-Teams dürfte in den kommenden Jahren in einigen Kabinen hervorgekramt werden.
- Man sprach vom schlechtesten Kader, das Kanada je an eine WM entsendet hat. Dafür, in Pandemie-Zeiten nach Europa zu fliegen, um an einem Bubble-Turnier teilzunehmen, liessen sich keine Stars begeistern. Und nicht einmal genug NHL-Spieler – der Kader musste sogar noch mit jungen Spielern aus der AHL, der WHL und der NCAA ergänzt werden. Die kanadischen WM-Mannschaften in den Jahren 2017–2019 und 2008–2014 waren beispielsweise nominell um ein Vielfaches besser, aber keine von ihnen wurde Weltmeister. Das zeigt einmal mehr und dieses Mal besonders eindrücklich: Nicht die stärksten Einzelspieler entscheiden, sondern das stärkste Team.
- Die kanadischen Stürmer-Superstars Sidney Crosby, Connor McDavid und John Tavares waren in Riga zwar nicht dabei. Spielt auch keine Rolle. Denn die aktuelle WM-Toplinie der Kanadier mit Andrew Mangiapane, Connor Brown und Adam Henrique spielte, skorte und zauberte so, als wären sie Crosby, McDavid und Tavares. Ihr Spektakel allein hat schon Gold verdient.
- Den Weltmeistertitel von Kanada überhaupt erst möglich gemacht hat die Tatsache, dass Eishockey noch immer eine ehrliche Sportart unter Gentlemen ist. Und das zu sehen, war schön. Kanada war vor dem letzten Spiel der Gruppenphase Deutschland – Lettland auf fremde Hilfe angewiesen. Hätten sich diese beiden Teams auf ein Remis nach 60 Minuten geeinigt, wären sie beide durch den zusätzlichen Punkt in der K.-o.-Phase gewesen und Kanada draussen. Taten sie aber nicht, sie entschieden sich für den sportlichen Weg. Auch wenige Sekunden vor Schluss warfen sich die Deutschen noch immer bedingungslos in die Schüsse der unaufhörlich anrennenden Letten, um ihren 2:1-Sieg über die Runde zu bringen.
Darum ist es schlecht, dass Kanada Weltmeister geworden ist
- Zunächst einmal ist es nicht gut, weil wir Schweizer in diesem Jahr eigentlich Weltmeister werden wollten. Doch nach mehrheitlich überzeugenden Leistungen in der Vorrunde erlebte die Nati in den Viertelfinals durch eine bittere 2:3-Niederlage nach Penaltyschiessen gegen Deutschland ein abruptes Ende ihres grossen Traums. Dabei schien die Gelegenheit in Riga so günstig.
- Wenn man es sich erlauben kann, mit drei Niederlagen zu starten, sich dabei mit einem 0:2 gegen Lettland, einem 1:5 gegen die USA und einem 1:3 gegen Deutschland auch noch richtiggehend blamiert hat, aber am Ende dann trotzdem noch Gold gewinnen kann, dann wertet dies die Bedeutung der Gruppenphase ab.
- Es spricht grundsätzlich nicht für Europas Top-Ligen, wenn Kanada es sich erlauben kann, eine für ihre Verhältnisse derart bescheidene Mannschaft zu entsenden und trotzdem gewinnt. Nicht für die KHL, nicht für die Ligen in Schweden und Finnland und auch nicht für unsere National League.
- Die Kanadier haben durch ihren 27. WM-Titel noch mehr Grund erhalten, die Eishockey-Kultur in Europa zu belächeln und in Zukunft noch eine Spur arroganter aufzutreten. Das hätte wirklich nicht sein müssen.