Das Schweizer Nationalteam startet am Donnerstag am Karjala Cup in Tampere mit dem Spiel gegen Gastgeber Finnland in die Saison mit der WM im Mai in Prag und Ostrava als Höhepunkt.
Am Samstag und Sonntag sind Schweden respektive Tschechien die Gegner. Vor dem Turnier sprach Nationaltrainer Patrick Fischer mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA über das erneute Scheitern im WM-Viertelfinal, was es nun für den nächsten Schritt braucht, die Absage des Prospect Camps und warum nicht mehr Schweizer im NHL-Draft berücksichtigt werden.
Patrick Fischer, seit dem bitteren Ausscheiden im WM-Viertelfinal gegen Deutschland ist beinahe ein halbes Jahr vergangen. Wurmt Sie diese Niederlage noch?
«Wirklich wurmen, tut sie mich eigentlich nicht mehr. Sie ist verdaut und analysiert. Ich glaube nach wie vor daran, dass nichts ohne Grund geschieht. Scheinbar brauchen wir das als Mannschaft, um zu lernen.»
Was ist seither passiert?
«Wir schauten an, wie weit wir in unserem Prozess sind, was wir in den letzten Jahren gemacht hatten. Wir steigerten uns im Bereich der Athletik, verbesserten unser Zweikampfverhalten, fanden taktisch eine gute Balance, blieben aktiv bei Führungen. Früher hatten wir in den Gruppenspielen gegen sogenannt einfache Gegner Mühe, das ist nun nicht mehr der Fall, weil wir gelernt haben, offensiv mehr zu kreieren. Nun befinden wir uns aus meiner Sicht in der letzten Phase. Wir gehören nun zum Mitfavoritenkreis. Unter höchstem Druck als Favorit zu reüssieren, ist der schwierigste Schritt. Als ich noch Spieler war, liebte ich solch herausfordernde Situationen. Das ist jedoch kein typisch schweizerisches Merkmal. Nichtsdestotrotz müssen wir es hinbekommen, dass jeder Einzelne mit der Einstellung, 'wir können nun zeigen, wie gut wir wirklich sind', in ein Alles-oder-Nichts-Spiel geht, er dann seine beste Leistung abruft, wenn es zählt, wenn er im Rampenlicht steht.»
Wie kann das erreicht werden?
«Die Herausforderung ist, stets fokussiert zu bleiben. Der Unterschied zwischen einem Champion und einem Topspieler, der es nicht schafft, im richtigen Moment den Unterschied zu machen, ist, sich nicht ablenken zu lassen, wenn es nicht wie gewünscht läuft. Einige schaffen das nicht. In einem K.o.-Spiel ist es deutlich schwieriger, den Fokus wieder zu finden, als in einer Partie mit einem Hintertürchen. Die Kunst besteht darin, auch dann alles auszublenden, wenn jeder auf dich schaut. Das ist die hohe Schule. In einem Mannschaftssport sollten das alle können, das erschwert das Ganze. Nehmen wir die Kanadier, diese lieben K.o.-Spiele, wir dagegen haben das Gefühl, jetzt müssen wir – und dann verkrampfen wir uns. Das ist ja nicht nur bei uns der Fall, sondern auch in anderen Teamsportarten hierzulande. Wir studieren zu viel und sind deshalb zu weit weg vom Moment.»
Kann das gelernt werden oder müssen Sie gezielt jene Spieler suchen, welche diese Fähigkeit mitbringen?
«Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben natürlich Spieler, die das können und schon mehrmals zeigten. Die restlichen wollen wir dahin bringen, in dem wir sie immer wieder herausfordern. Es darf keine Rolle spielen, ob wir im Rahmen der Euro Hockey Tour gegen Finnland antreten oder einen WM-Viertelfinal bestreiten. Es sind einfach andere Umstände. Wir erwarten, dass die Spieler in jedem Moment, sei es im Training oder in einer Partie, zu 100 Prozent im Hier und Jetzt sind und alles geben. Ob einer dazu fähig ist, das sehen wir schon. Wir werden Spieler selektionieren, von denen wir das Gefühl haben, dass sie 'performen' können, wenn es zählt. Zudem werden wir ganz klar Energie in diese Richtung einsetzen. Wir werden neu Fokus-Coaches ins Training integrieren. Ich freue mich auf diesen Prozess.»
Im Nachhinein ist man logischerweise immer schlauer. Dennoch: Gibt es etwas, das Sie nun anders machen würden als an der WM?
«Ja, ich hätte im Nachhinein ein paar Sachen geändert. Gegen Lettland (in der für die Schweiz bedeutungslosen letzten Partie der Vorrunde) hätte ich keine Spieler geschont. Zudem hätte ich mit dem heutigen Wissen die Mannschaft anders auf das Duell gegen Deutschland vorbereitet. Wir gingen es wie jedes andere Spiel an, wollten es nicht noch spezieller machen, als es schon ist. Das wird sicher nicht mehr der Fall sein. Denn physisch war das Team bereit, wir waren diesbezüglich gemäss den Daten auf dem Höhepunkt, was ja auch das Ziel war. Im Coaching würde ich mich ebenfalls anders verhalten. Nach dem 1:1 merkte ich, dass die Mannschaft zu viel wollte, was auch der speziellen Beziehung mit den Deutschen geschuldet ist. Wir kassierten zwei blöde Strafen, die uns schlussendlich den Match kosteten, da wir den Rhythmus verloren. Wir hätten souveräner bleiben müssen. Es darf keine Rolle spielen, wer der Gegner ist. Das ärgert mich im Nachhinein, wir hätten besser coachen sollen.»
Vor einem Jahr sagten Sie, dass irgendwann der Durchbruch gelingen müsse, sonst müsse es ein anderer Trainer versuchen. Stand es für Sie ausser Frage weiterzumachen?
«Ich dachte vergangene Saison, wir wären bereit dafür, den Durchbruch zu schaffen. Nach dem Scheitern war für mich wichtig, dass die Mannschaft weiter an den Coaching-Staff glaubt. Ich bin keiner, der die Flinte ins Korn wirft, wenn ich sehe, dass der Prozess stimmt und das Team von diesem überzeugt ist. Ich musste allerdings lernen, geduldig zu sein.»
In dem Fall war das Feedback der Spieler positiv.
«Die Spieler haben sich stark gemacht für uns, sagten, dass die Vorbereitung gestimmt habe. Das war wichtig für mich, denn ich bin ein Teamplayer, das gegenseitige Vertrauen muss vorhanden sein, logischerweise auch von oben. Wenn wir stets in den Viertelfinals ausscheiden würden und es keine Entwicklung gäbe, dann wäre ich der Erste, der sagen würde: 'So geht es nicht weiter.'»
Können Sie noch etwas mehr ins Detail gehen.
«Wir spielen nun viel besser als in Kopenhagen (als die Silbermedaille herausschaute). An der letzten WM waren wir noch dominanter als im Jahr zuvor, als wir in der Vorrunde ungeschlagen blieben. Die Gegner hatten kaum Torchancen gegen uns, wir spielten defensiv sehr, sehr kompakt. Vorne waren wir produktiv, obwohl wir nicht so NHL-lastig waren. Kevin (Fiala) kam verletzt, JJ (Janis Moser) hatte eine schwierige Saison, Jonas (Siegenthaler) und Nico (Hischier) reisten nach zwei Playoff-Runden an. Das zeigt, dass wir auch dann dominant auftreten können, wenn 80 Prozent der Spieler aus der heimischen Liga kommen. Von daher stimmt der Weg, aber klar, nun muss der nächste Schritt folgen. Ich hoffe, es gelingt uns, die richtigen Knöpfe zu drücken, so dass ein Viertelfinalspiel für uns nichts mehr Spezielles ist.»
Im Sommer habt Ihr auf das Prospect Camp verzichtet, was für Unmut sorgte. Warum?
«Die Situation hat sich verändert. Früher gingen wir im November mit einem Prospect Team an den Deutschland Cup und setzten auch im Februar auf Perspektivspieler. Das ist nun aufgrund der Teilnahme an der Euro Hockey Tour anders. Zudem gibt es aktuell bloss sieben, acht Spieler in diesen Jahrgängen, die nah an einer WM-Teilnahme sind. Diese fördern wir in den drei Zusammenzügen und in den ersten beiden Wochen der WM-Vorbereitung. Es bringt nichts, einfach Leute aufzubieten, die weit weg sind von der A-Nationalmannschaft. Ein weiterer Punkt war, dass es uns nicht gelang, Gegner zu finden, um die Qualität des Camps zu verbessern. All dies führte zum Entscheid, in diesem Sommer darauf zu verzichten.»
Apropos Niveau. Seit Nico Hischier 2017 im NHL-Draft als Nummer 1 gezogen wurde, wurde mit Lian Bichsel 2022 als Nummer 18 bloss noch ein Schweizer in der ersten Runde berücksichtigt. Was sind für Sie die Gründe dafür?
«Das ist ein grosses Thema. Die Qualität der Coaches auf den untersten Stufen fehlt bei uns weitgehend. Ein normaler Weg als Profitrainer sollte sein, irgendwann in den Nachwuchs zu gehen. In Schweden beispielsweise ist das oft der Fall. Dort trainieren erfahrene Coaches die Jungen, die schon alles gesehen haben, bei denen einzig die Entwicklung der Spieler im Vordergrund steht. Und zum Teil sind vier, fünf Trainer auf dem Eis. Wir haben vielleicht einen professionellen Nachwuchschef und dann ein paar Väter, die auf diesen wichtigen Stufen tätig sind. Das liegt daran, dass wir hierzulande zu wenig Schweizer Trainer haben, da es für sie kaum Perspektiven gibt. Zusätzlich ist die Schere zwischen den Löhnen in der obersten Liga und dem Geld im Nachwuchs bei uns deutlich grösser als in Schweden. Diese zu verkleinern, wäre eine Idee und würde automatisch zu besseren Spielern führen.»