Die Voraussetzungen sind gut für weitere Grosstaten der Eishockey-Nati. Aber wir sind immer noch die Schweiz. Und ein Selbstläufer ist nicht einmal die Viertelfinal-Qualifikation. Eine Analyse vor dem Start der WM in Riga.
In den letzten sieben WM-Turnieren hat unsere Nati zweimal die Silbermedaille geholt und fünfmal zumindest die Viertelfinals erreicht. Schaut man die Weltmeisterschaften der letzten zehn Jahre an, dann ist die Schweiz die fünftbeste Nation hinter Schweden, Kanada, Finnland und Russland, aber vor Tschechien und den USA.
Patrick Fischer als Nationaltrainer hat die Mannschaft nach dem ersten Silberwunder unter Sean Simpson 2013 in den letzten Jahren auf das nächste Level gehoben. Das Selbstverständnis unter seiner Führung, seinen Ideen und seinem System ist gross, das Zusammenspiel zwischen Defensive und Offensive funktioniert tadellos. Das zeigen auch die jüngsten Resultate. Die Nati hat alle vier WM-Vorbereitungsspiele gewonnen und in den je zwei Partien gegen Russland und Lettland nur zwei Tore zugelassen.
Auch die letzten vier Länderspiele vor der Corona-Pause gegen Deutschland (zweimal), Norwegen und Russland wurden gewonnen – mit einem Torverhältnis von 19:5! Letztmals verloren hat die Nati am 10. November 2019, anlässlich des Deutschland-Cups mit 3:4 nach Penaltyschiessen gegen Russland.
Die letzte richtige Niederlage liegt genau zwei Jahre zurück
Zum letzten Mal nach 60 Minuten verloren hat die Mannschaft von Patrick Fischer auf den Tag genau heute vor zwei Jahren: Es war ein 4:5 in einem wilden letzten Gruppenspiel der WM 2019 in der Slowakei gegen Tschechien. Am Samstag wäre somit ein guter Zeitpunkt, um sich dafür zu revanchieren und mit einem Sieg im ersten Spiel der WM 2021 die nächste erfolgreiche Expedition der Eishockey-Nati zu lancieren.
Es sind jedoch nicht nur die nackten Resultate, die zeigen wie hoch die Nati derzeit im Kurs ist. Es ist auch das Verhalten der Spieler. Trotz einer WM in der Bubble mit knallharten Regeln, die eine wegen Corona ohnehin schon äusserst spezielle und strapaziöse Saison bis in den Juni verlängert, gab es keine einzige Absage ohne triftigen Grund. Bei anderen Nationen wie beispielsweise Schweden oder Finnland sieht das anders aus. Und die Kader von Kanada und den USA sind qualitativ so bescheiden wie seit Jahren nicht mehr. Auf die Spieler dieser Nationen wirkt die WM-Bubble wesentlich abschreckender.
Die Mentalität der Schweizer Nationalspieler kann man daher fast schon als monströs bezeichnen. Ruft Patrick Fischer, wird alles stehen und liegen gelassen, egal wann und wo. NHL-Stars wie Josi, Niederreiter, Hischier oder Meier leben als grosse Vorbilder den Stolz vor, das Schweizer Nationaltrikot zu tragen und alle ziehen mit. Vorbei sind die schon etwas länger zurückliegenden Zeiten, als der Chronist noch erlebte, dass ein Nationalspieler für die WM absagte, weil es angeblich seinem Haustier nicht gut ging.
Einige nehmen das Wort «Gold» in den Mund
Fischer begründet dies einerseits damit, dass man einen guten Vibe habe, zwar hart arbeite, aber auch viel Spass zusammen habe und die Spieler deshalb wirklich gerne kommen würden. Zudem würden die Spieler auch spüren, dass man eine starke Mannschaft sei, die etwas reissen könne, was zu seinen eigenen Zeiten als Nationalspieler noch anders gewesen sei.
Diesen Ehrgeiz, den Willen etwas Grosses zu erreichen. Man spürt ihn dieser Tage bei jedem dieser Nati mit dem man spricht. Einige nehmen es sogar offen in den Mund, dass die Goldmedaille das Ziel sei. Die Mannschaft hat aus den oben genannten Gründen absolut die Legitimation, das Maximum anzustreben.
Doch auch wir, als Fans dieser Nati, Freunde des Eishockeys oder des Sports generell, haben einen Auftrag. Wir sollten uns vornehmen, nicht gleich die Nerven zu verlieren und alles infrage zu stellen, wenn es doch anders herauskommen sollte, sondern die Mannschaft und ihren Trainer auch in diesem Fall stützen. Denn das Projekt Nationalmannschaft überzeugt ja als Ganzes und nicht nur wegen dieses einen Augenblicks.
Ohne Josi und Niederreiter hat es noch nie geklappt
Denn die Luft an der Spitze ist dünn und der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg schmal. Wir haben an den letzten sieben WM-Turnieren zwar zwei Medaillen geholt und insgesamt fünfmal die Viertelfinals erreicht. Aber wir haben diese auch zweimal (2014 und 2016) verpasst. Und vor einem solchen Absturz ist die Schweiz nicht gefeit, auch wenn die Voraussetzungen glänzend sind und die WM-Vorfreude gross. Um die Viertelfinals zu erreichen, muss aus dem Quintett Russland, Schweden, Tschechien und Slowakei zumindest eine dieser Nationen hinter sich gelassen werden, was kein Selbstläufer ist.
Und bei aller Euphorie und dem gedanklichen Flirt mit der nächsten WM-Medaille darf man auch eines nicht vergessen. Wenn Roman Josi und Nino Niederreiter, die grossen Leaderfiguren nicht dabei waren, gab es für die Schweiz noch nie eine Medaille. Und ausgerechnet sie fehlen im aktuellen WM-Kader, da sie noch in den NHL-Playoffs engagiert sind. Umso mehr sind ihre potenziellen Nachfolger Nico Hischier und Timo Meier gefordert. Zumal sie auch gesamthaft betrachtet zu den qualitativ besten Spielern des WM-Turniers 2021 gehören.