Die Eishockey-WM in Zürich und Lausanne hätte am Freitag begonnen: Zwei ausverkaufte Stadien, Schweiz – Russland am Abend im Hallenstadion. Aber statt abgefeiert und mitgefiebert wird abgebaut.
«Plötzlich am Dienstag schoss es mir durch den Kopf», erzählt Gian Gilli (62), der Cheforganisator der WM. «Jetzt würden hier die ersten Teams trainieren. Und was wäre erst am Freitag los gewesen. Die besten acht Teams im Einsatz. Stell Dir vor, was bei Schweiz – Russland abgegangen wäre. Das Ganze ist himmeltraurig. Es lohnt sich gar nicht, daran zu denken.»
Anstatt die WM in den nächsten zwei Wochen zu managen, muss Gian Gilli sie abbauen. Eine ruhige Kugel kann er nicht schieben. Ende Juni wird das Organisationskomitee nach dem Verfassen des Schlussberichts aufgelöst. Es müssen noch Daten zusammengetragen und Konzepte abgelegt und vier Jahre Vorbereitung ad acta gelegt werden. Mit der Versicherung zusammen wird derzeit organisiert, wie Fans, Sponsoren, Partner und Kunden in den nächsten Wochen ihr Geld zurückerhalten.
2021 zu unsicher und zu teuer
Genau vor einer Woche fiel der Entscheid, sich beim Internationalen Verband IIHF nicht um eine Verlegung um ein Jahr zu bemühen. Es war letztlich ein logischer Entscheid des Schweizer Verbandes, weil die Versicherung nicht mehr mitgemacht hätte, und weil die Organisatoren der schon vergebenen nächsten WM in Minsk und Riga auf zwei Millionen Franken Entschädigung gepocht hatten.
«In erster Linie dominiert grosses Bedauern, dass die WM nicht stattfinden kann, dass die Schweiz um die Stimmung und Euphorie einer Heim-WM gebracht wird», resümiert Gilli. Insgeheim hoffte der Engadiner bis zuletzt, dass die WM nachgeholt werden kann. Gilli: «Wer das Ganze aber nüchtern betrachtet, muss sagen, vielleicht ist es okay so. Mit all den derzeitigen Unsicherheiten, wäre die Organisation auch 2021 sehr herausfordernd geworden.»
Diese Unsicherheiten veranlassten den Verband, die Verschiebung abzubrechen. Wer kann heute schon sagen, dass im nächsten Frühling eine WM stattfinden kann? «Und wie steht es dann mit der Kaufkraft der Wirtschaft?«, fragt Patrick Bloch, der CEO des Verbandes. «Haben die Unternehmungen noch Geld, um in Hospitality-Pakete zu investieren? Und können oder wollen sich die Fans aus dem Ausland eine Reise in die Schweiz leisten?»
Dem Verband fehlt eine Million Franken
Dem Verband fehlt durch die Absage Geld. Swiss Ice Hockey erhoffte sich aus der WM einen Gewinn von mindestens einer Million Franken – wenn es gut gelaufen wäre, hätte der Ertrag auch doppelt so hoch ausfallen können.
«Aufgrund der Versicherungsdeckung gehen wir davon aus, dass wir durch die Absage der Heim-WM keinen direkten Schaden davontragen werden», sagt Bloch. Aber der einkalkulierte Erlös wird fehlen. Entwicklungsprojekte im Nachwuchsbereich waren angedacht. Bloch: «Dieses Geld könnte fehlen, was sehr bedauerlich wäre. Die Herausforderung wird sein, die erforderlichen finanziellen Mittel auf anderen Wegen zu beschaffen.»
Muss auch bei den Nationalmannschaften gespart werden? Schliesslich konnten nicht nur die Klubs, sondern auch der Verband gegenüber seinen Partnern versprochene Leistungen (wie Länderspiele, WM-Teilnahme) nicht erfüllen. Bloch: «Wir befinden uns in einer herausfordernden Situation, mit der niemand gerechnet hat. Da wir die Auswirkungen der Krise noch nicht absehen können, können wir noch nicht sagen, wie sich dies auf unseren Sport und die Programme der Nationalmannschaften auswirkt.»
Heim-WM 2023 oder 2026?
Stets bleibt im Hinterkopf die Hoffnung, möglichst bald trotzdem eine WM in der Schweiz durchführen zu können. Vor genau fünf Monaten hat die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in Lausanne entschieden, dass der russische Sport wegen Staatsdoping für vier Jahre von grossen internationalen Sportanlässen ausgeschlossen wird. Verboten wurden auch sportliche Grossveranstaltungen in Russland. An der WM in der Schweiz hätte Russland trotzdem mitgespielt. Aber darf die IIHF unter dieser Voraussetzung an der für 2023 nach St. Petersburg vergebenen WM festhalten?
Die Russen legten gegen den WADA-Entscheid Rekurs ein; mit einem Entscheid wird in diesem Jahr gerechnet.
Die Schweiz würde noch so gerne 2023 einspringen. Aber die Thematik ist politisch heikel. Patrick Bloch: «Grundsätzlich sind die WM-Turniere bis und mit 2025 vergeben. Es ist trotzdem unser Ziel, die WM in den nächsten Jahren wieder in die Schweiz zu holen. Wir werden in den nächsten Wochen Gespräche mit der IIHF aufnehmen und die Möglichkeiten für Swiss Ice Hockey diskutieren. Bis im Herbst sollten wir hierzu mehr Klarheit haben.»
Für 2023 würden sich auch neue Möglichkeiten eröffnen. In Zürich würde sich das neue Eishockeystadion der ZSC Lions (Eröffnung im August 2022) als Alternative zum Hallenstadion anbieten. Wäre Gian Gilli auch in drei Jahren noch dabei? Der Engadiner würde sich dem Pensionsalter nähern: «Wer weiss heute schon, was in drei Jahren sein wird. Aber die WM 2020 ist für mich eine Unvollendete. Es wäre schön, dabei zu sein, um das fertig zu machen.»
Immerhin ein Versprechen hat die Eishockey-WM 2020 gehalten. «Let's make History», so lautete das Motto der Schweizer WM. Gilli: «Läck du mir! Das ist zwar zynisch – aber ja, Geschichte haben wir geschrieben.»