Vor 23 Jahren wurde Ralph Krueger zum Schweizer Nationaltrainer ernannt. Es war eine Nomination mit Signalwirkung. Der heute 60-Jährige trug massgeblich dazu bei, dass sich die Schweiz unter den besten acht Nationen etabliert hat.
Im Mai 2019 wurde er zum Headcoach der Buffalo Sabres ernannt, nachdem er dieses Amt in der Saison 2012/13 schon bei den Edmonton Oilers ausgeübt hatte. Von 2014 bis 2019 arbeitete Krueger im Fussball – als Vorstandsvorsitzender des Premiere-League-Vereins Southampton. Nun nahm er sich Zeit für ein Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Ralph Krueger, Sie sind nach dem Unterbruch der NHL-Saison in die Schweiz zurückgekehrt. War es kein Thema, in den USA zu bleiben?
Das stand ausser Frage. Auch weil die Schweiz das Ganze in einer sehr homogenen Art angepackt hat und über ein besseres Gesundheitswesen verfügt. Ausserdem sind wir hier zu Hause, und in einer solchen Situation möchte man am liebsten daheim sein, denn das Ganze könnte ja noch einige Monate dauern.
Die Playoffs liegen für Ihr Team trotz eines guten Starts ausser Reichweite. Zu welchem Schluss sind Sie in Ihrer Analyse der abgebrochenen Saison gekommen?
Es war definitiv ein Auf und Ab. Jedoch verlor die Mannschaft, auch als wir aus dem Playoff-Rennen fielen, nie den Spirit und den Hunger, unseren Weg zu zementieren. Der ganz, ganz junge Kern glaubt an unseren Plan. Ich bin überzeugt, dass wir ein Fundament besitzen, auf dem wir in der nächsten Saison sehr viel aufbauen können. Wir werden auf einem höheren Level starten. Aber klar sind wir enttäuscht, dass wir nicht in den Playoffs sind. Wir hielten mit wenigen Ausnahmen in allen Partien gut mit. In der NHL geht es schnell, mit fünf, sechs Siegen mehr auf dem Konto bist du dabei.
Gibt es Dinge, die Sie selber besser machen wollen?
Wir könnten nun ein ganzes Gespräch darüber führen. Es gibt als Coach immer wieder Kleinigkeiten zu verbessern. Sei es die Art und Weise, wie wir trainieren, um unsere Basis zu behalten, ohne Energie zu verschwenden, sei es wie man die Spieler einsetzt. Das Power- und Boxplay war nicht konstant. Genauso wie die Spieler lerne auch ich jeden Tag. Das Spiel hat sich extrem geändert in den letzten zehn Jahren, es wird nun extrem offensiv gespielt – mit einem wahnsinnigen Tempo. Ich fühlte mich aber sehr, sehr zu Hause in der NHL.
Sie waren in der Saison 2012/13 schon bei den Edmonton Oilers Headcoach. Können Sie noch etwas näher ausführen, welche Entwicklung seither in der NHL stattgefunden hat?
«Der europäische Einfluss ist sicherlich grösser geworden. Der Unterschied zwischen dem Eishockey in der Schweiz und jenem in der NHL ist nicht mehr annähernd so gross wie einst. Die Spiele laufen ähnlich, die Offensive dominiert. Das Umklammern und Greifen, das es früher gab, wurde durch die Regeländerungen eliminiert. Die Offensiv- und Defensivzonen wurden vergrössert, man ist betreffend Strafen viel, viel strenger. Alles hat sich in Richtung Offensive bewegt. Das bedeutet, dass man sich auch als Coach entwickeln muss. Man muss ein anderes System haben, muss mit anderen Prinzipien umgehen. Die Offensive und Defensive wird nun viel mehr von allen fünf Spielern gemeinsam angepackt. Früher involvierten sich die Verteidiger nicht dermassen stark in den Angriff. All diese Faktoren machen das Eishockey deutlich attraktiver. Ich finde, es ist jene Sportart, die sich in den letzten zehn Jahren am meisten entwickelt hat. Die Spieler sind auch viel athletischer. Von dem Ganzen profitierten die Schweizer. Das Spiel als solches macht extrem viel Spass. Ich bin immer Teil Coach und Teil Fan, wenn ich an der Bande stehe und sehe, wie attraktiv gespielt wird.
Apropos Schweizer. Roman Josi wurde kürzlich von seinen Mitspielern und Konkurrenten zum drittbesten Verteidiger der Liga gewählt. Was sagen Sie zu ihm?
«Roman, wow! Er ist ein Superstar. Er hat das komplette Spiel, ist einer, der sich offensiv wahnsinnig intelligent positioniert und gleichzeitig defensiv eine grosse Verantwortung trägt. Er ist ein Beispiel für alle Verteidiger weltweit, wie man das moderne Spiel spielt. Charakterlich ist er eins a, er ist ein toller Typ. Ich freue mich riesig, dass er nun diesen Respekt in der NHL bekommt.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung im Schweizer Eishockey?
Diejenigen Spieler, die noch Junioren waren, als wir (an den Olympischen Spielen 2006) in Turin gegen Kanada gewannen, spielen nun in der NHL. Das Selbstvertrauen, der Glauben an die eigenen Fähigkeiten ist bei den Schweizer Topspielern nun deutlich grösser. Mark Streit hat mit seinem Durchhaltewillen die Barrieren durchbrochen und den Weg freigemacht. Es ist wunderschön, immer wieder Schweizer Spielern in der NHL zu begegnen. Auch die National League ist eine ausgezeichnete Liga, in der sich die jungen Spieler gut entwickeln können. Es gibt nicht nur den Weg über die nordamerikanischen Juniorenligen in die NHL, man kann gut in der Schweiz bleiben. Die Nachwuchsarbeit hierzulande ist stark, die Programme der Nationalmannschaften sind stark. Alle machen ihre Arbeit dermassen gut, dass ich überzeugt bin, dass es über die nächsten Jahrzehnte regelmässig NHL-Spieler aus der Schweiz geben wird.
Was muss man mitbringen, um den Sprung in die NHL schaffen zu können?
Es beginnt mit dem Läuferischen, man muss unheimlich wendig und mobil sein, um in der NHL spielen zu können. Du musst gut am Stock sein. Wenn du beides mitbringst, ist es wichtig, einer klaren Identität zu folgen. Bist du ein offensiver Verteidiger, bist du ein defensiver Verteidiger, bist du ein Powerplay- oder Unterzahlspezialist? Du musst ein Spezialist sein. Wenn du ein bisschen von allem hast, bestehst du nicht über längere Zeit in der NHL. Ich würde früh versuchen, diese Identität zu suchen und dieser zu folgen. Das lernte ich im Fussball. Ich war überrascht, wie wenig Spieler in Southampton auf einer anderen Position spielen konnten. Das hatte ich nie gedacht. Im Eishockey denkt man weniger an Spezialisten, es muss jedoch jeder eine klare Rolle haben.
Was haben Sie sonst noch vom Fussball mitgenommen?
Ich hatte sechs Jahre Zeit, etwas mehr von aussen zu betrachten, wie man mit den Athleten auf diesem Niveau umgeht, da ich nicht immer direkt mit den Spielern kommunizieren musste. Ich konnte die ganzen Prozesse beobachten. Das machte mich für meine jetzige Aufgabe stärker. Ich lernte, wie die Sportwissenschaften für das Training neben dem Spielfeld eingesetzt werden können. Und auch taktisch gibt es interessante Kleinigkeiten. Ich rede nun viel mehr vom Dreieck-Konzept. (Trainer) Ralph Hasenhüttl bildete in der Defensive überall auf dem Feld Dreiecke, spannte quasi ein Netz. Auch seine offensive Taktik war interessant. Ich hätte nie gedacht, wie oft ich meine in Southampton gemachten Erfahrungen im Eishockey einsetze. Schliesslich geht es immer um Prozentpunkte. Die NHL ist eine unglaubliche Liga, in der jeder jeden Abend jeden schlagen kann. Um es in die Playoffs zu schaffen, müssen wir keine Wunder vollbringen. Wenn wir vier, fünf Prozent besser werden in der nächsten Saison, dann schaffen wir es. Das ist das Schöne, aber auch das Schwierige.
Heutzutage ist oft von der Smartphone-Generation die Rede. Gibt es grosse Unterschiede zu früher? Sind die Spieler kritischer geworden?
Damit habe ich überhaupt kein Problem, man muss sich an die neue Welt adaptieren. Die Spieler wollen eine direkte, schnelle und offene Kommunikation. Du musst mit der Geschwindigkeit mitgehen und dich der Generation anpassen. Als Coach bin ich dafür da, um das Beste aus den Spielern herauszuholen.
In der NHL hört man oft, dass die Headcoaches nicht viel kommunizieren. Bei Ihnen ist das Gegenteil der Fall. Ist die alte Generation am Aussterben?
Ja, das glaube ich. Die Spieler wollen nun diese Offenheit, sie wollen umarmt werden. Es gibt noch einige Trainer, die so sind, für die es so funktioniert. Ich jedoch strebe definitiv die direkte und offene Kommunikation an. Wir sind immer ehrlich, und die Spieler mögen es so.
Sie sind ein Kommunikationsspezialist. Was ist das Wichtigste einer guten Kommunikation?
Ich spreche immer über ein Wort: Erwartungen. Diese müssen bei allen in einer Gruppe klar sein und müssen immer wieder geklärt werden. Die Kommunikation muss aktiv sein, darf nie aufhören. Es darf keinen Raum für negative Energien zwischen den Teammitgliedern geben. Dann muss man sich selbst sein, darf kein Spiel spielen. Ehrlichkeit wird immer respektiert, auch wenn die Entscheide einem Spieler nicht passen.
Wie realistisch stufen Sie es ein, dass die NHL-Saison zu Ende gespielt wird? Es gibt ja zum Teil wahnwitzige Szenarien.
Ehrlich gesagt, mache ich mir keine grossen Gedanken darüber. Wenn es noch Partien gibt, wird sehr wahrscheinlich mit den Playoffs fortgefahren und in diesen wären wir nicht dabei. Es gibt so viele Szenarien. Bis die NHL einen Entscheid fällt, halten wir das Bild sehr klein. Die Spieler bleiben fit, falls nötig werden wir rasch bereit sein.
Beängstigt Sie die aktuelle Krise? Sehen sie auch positive Aspekte?
«Ich bin sicher, dass die Schweiz ein Land ist, das gestärkt aus dieser Situation herauskommen wird. Wir haben mit dem Bundesrat eine sehr starke Führung. Ich glaube, dass es für die Menschen eine Chance ist. Jeder kann nun mal den Pausenknopf drücken und sich ein bisschen Gedanken machen. Ich bin optimistisch, obwohl wir immer noch ausser Balance sind. Niemand kann das Ganze locker angehen, da das Ungewisse nach wie vor in der Luft hängt. Wichtig ist, dass wir uns so lange wie nötig diszipliniert an die Massnahmen halten und uns dann gemeinsam heraus kämpfen. Es gibt sicher eine Zeit, in der jeder etwas mehr für den anderen tun muss. Das gibt uns die Gelegenheit, als Land näher zusammenzurücken.
Zum Schluss. Als wie realistisch stufen Sie es ein, dass die Schweiz eines Tages Weltmeister wird, wie das Nationaltrainer Patrick Fischer angekündigt hat?
Das ist zu 100 Prozent realistisch, das zeigen die beiden WM-Silbermedaillen (2013 und 2018). Wir haben nun mit Josi oder Nico Hischier jene Topspieler, die es braucht, um Weltmeister zu werden. Ich freue mich auf den ersten WM-Titel in den nächsten Jahren.