Mikaela Shiffrin kämpft derzeit an ungewohnten Fronten. Die hochdekorierte Amerikanerin sucht den Ausweg aus einer schwierigen, von Enttäuschungen geprägten Situation.
Grossveranstaltungen wie Olympische Spiele sind die wahren Prüfsteine für das mentale Kostüm der Athletinnen und Athleten, heisst es. Grossveranstaltungen sollen ihre eigenen Gesetze haben und ein Nährboden für Überraschendes und Unerwartetes sein, heisst es auch.
Wie es um die Psyche von Mikaela Shiffrin gegenwärtig bestellt ist, darüber kann nur spekuliert werden. Für Unerwartetes hat die Amerikanerin in den vergangenen Tagen sehr wohl gesorgt mit ihrem Ausscheiden im Riesenslalom und im Slalom. Vor allem die Art und Weise des Scheiterns hat zu denken gegeben. Zweimal ein Fehler nach wenigen Fahrsekunden, zweimal ein Kurzauftritt, der nicht nur sie selber geschockt hat.
«Ich kenne den Druck. So sehr ich ihn auch spüre, ins Ziel zu kommen war in meiner gesamten Karriere selten bis nie ein Problem. Im Riesenslalom und im Slalom habe ich von Anfang an aufs Tempo gedrückt und es dabei vielleicht ein bisschen übertrieben. Möglicherweise habe ich das gerade wegen des Drucks getan. Aber da fragt man besser einen Psychologen.»
Zweimal zwei Ausfälle in Folge
Ausfälle in zwei Rennen hintereinander, das sind für Mikaela Shiffrin fürwahr ganz seltene Vorkommnisse. Im Weltcup hat es das bisher ganze zwei Mal gegeben, zum letzten Mal vor vier Jahren in Italien, als sie im Super-G in Cortina d'Ampezzo und im ersten Lauf des Riesenslaloms in Kronplatz nicht ins Ziel gekommen war. Das andere Mal liegt schon über zehn Jahre zurück. Damals, zu Beginn ihrer Karriere, war sie in den Slaloms in Courchevel und Flachau ebenfalls im ersten Durchgang gescheitert.
Das doppelte Scheitern beim Saisonhöhepunkt in China wirft selbstredend Fragen auf. Mikaela Shiffrin führt die schwierige Zeit ins Feld, die hinter ihr liegt, die sie offenbar physisch und psychisch mehr gefordert hat, als sie hat wahrhaben wollen. Sie erwähnt die Vielfliegerei im frühesten Stadium des Winters, die Rückreise nach dem Riesenslalom in Sölden fürs Training in der Heimat, gefolgt von den Flügen nach Finnland für die Slaloms in Levi und wieder zurück in die USA für Riesenslalom und Slalom in Killington, Vermont.
Das alles habe sie aus dem Rhythmus gebracht, sagt die einstige Seriensiegerin. Dazu kam kurz nach Weihnachten die Infizierung mit dem Coronavirus und, kurz vor Beginn der Winterspiele, der zweite Todestag ihres Vaters Jeff. «Das waren für mich und meine Familie schwierige Momente.»
Viel Arbeit für nichts
Die schwierigen Momente auf der Piste in Yanqing machten aus der Fahrerin mit dem Potenzial zum Superstar dieser Spiele ein Häufchen Elend. Der Stachel der Enttäuschung sass tief, Tränen flossen. Die Ausfälle kamen wie Hammerschläge, völlig unerwartet – in den Disziplinen, auf die sie im Besonderen ihren Fokus gelegt hatte. «Es fühlt sich an wie viel Arbeit für nichts.»
Das schnelle und bittere Ende war für Mikaela Shiffrin schwer nachvollziehbar, doch sie rappelte sich wieder auf. Sie wollte sich nicht vollends zurückziehen, die vorzeitige Abreise war ohnehin keine Option. «Trotz der grossen Enttäuschung gibt es einiges, was mich optimistisch stimmt.» Sie erachtete das Rennfahren als beste Therapie und startete auch im Super-G, in dem sie Neunte wurde.
Ob sie auch die Abfahrt am Dienstag bestreiten wird, hat Mikaela Shiffrin noch nicht entschieden. «Ich werde sehen, wie sich das Ganze in den nächsten Tagen entwickeln wird.» Auf jeden Fall wird sie zwei Tage später in der Kombination dabei sein. Im Wettkampf mit Abfahrt und einem Slalom-Lauf wird sie erneut eine der Favoritinnen sein. Der letzte Prüfstein könnte zur Erlösung werden.
sda