blue News nimmt dich mit auf eine Zeitreise, zeigt heute absurd anmutende Sprüche und staunt, weshalb in England in den 1920er-Jahren Frauen das Fussballspielen wirklich verboten war.
Als Geburtsstunde des modernen Fussballs gilt das Jahr 1863, damals wurde die englische Football Association (FA) gegründet. Die Frauen sind in den Anfangsjahren willkommen, 1895 spielt England-Nord gegen England-Süd vor 10'000 Zuschauern nach den FA-Regeln. Der Frauen-Fussball in den 1920er-Jahren ist so attraktiv und finanziell erfolgreich, dass sich die FA Sorgen macht um den Männer-Fussball. Die Dick Kerr's Ladies füllen grosse Stadien, zum Spitzenspiel gegen die St. Helens Ladies in Everton kommen 1920 53'000 Zuschauer.
Vor hundert Jahren folgt dann aber quasi der Todesstoss. Die FA verbietet offiziell, dass ihre Mitgliedsvereine die Plätze Frauen überlassen dürfen. Man befürchtete, so die offizielle Begründung, dass die weibliche Gebärfähigkeit gefährdet sei. Auch die grundsätzliche körperliche Eignung wurde infrage gestellt und es gab moralisch-sittliche Bedenken.
Auch wenn es sich nicht um ein gesetzliches Verbot handelte und als direkte Antwort auf die Regelung die englische Damen Football Association (ELFA) gegründet wurde, gehörten fortan Spiele in grossen Stadien der Vergangenheit an. Die Regelung der FA wurde erst 1971 rückgängig gemacht.
«Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, die Gebärfähigkeit ist gefährdet.»
In den meisten europäischen Ländern erfahren die Frauen in den kommenden 50 Jahren ähnliche Rückschläge. In Deutschland etwa war es Frauen von 1955 bis 1970 untersagt, Fussball zu spielen. Die offizielle Begründung des Deutschen Fussball-Bundes (DFB): «Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, die Gebärfähigkeit ist gefährdet. Das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.» Und weiter: «Dieser Kampfsport ist der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd.»
Die Entwicklung in der Schweiz
In etwa Gleiches gibt es aus der Schweiz zu berichten. In den 1950er-Jahren konnte in Basel ein geplantes «Damen-Fussball-Länderspiel» nicht stattfinden. Der Schweizerische Fussball- und Athletikverband befand, dass der Anlass «eher in die Kategorie einer Schaustellung oder Zirkusdarbietung» einzureihen sei und deshalb nicht in Basel stattfinden dürfe.
In den 1960er-Jahren war den Mädchen und Frauen das Spielen im Fussballklub verboten. Dennoch entstanden schweizweit erste Teams, die sich an lokalen «Grümpis» massen. Viele Hürden wurden den Frauen in den Weg gelegt, doch sie liessen sich nicht kleinkriegen. 1969/70 fand in der Westschweiz die erste inoffizielle Meisterschaft statt. 1970 bestritten die Schweizerinnen ihr erstes internationales Spiel, es resultierte ein 9:0 gegen Österreich.
Es dauerte aber noch bis ins Jahr 1993, ehe die Damen-Fussball-Liga aufgelöst und der Frauenfussball in den SFV integriert wurde. 1997/98 wurde erstmals eine Fussballerin des Jahres gewählt, die Wahl fiel auf Sonja Spinner vom SV Seebach. Seit 2000/01 gibt es einen Cup-Wettbewerb und in der Folgesaison nahm das Frauenteam des FC Bern an der ersten europäischen Klubmeisterschaft, dem UEFA-Frauenpokal, teil. In langsamen Schritten ging – und geht es noch immer – vorwärts.
Die Schweizer Nati auf dem Vormarsch
2006 fand die U19-EM in der Schweiz statt, im selben Jahr schaffte die U20 die erstmalige Qualifikation für eine WM, im Folgejahr ein zweites Mal. 2009 schafft es die U19 an der EM bis in den Halbfinal und in den Folgejahren sind Erfolgsmeldungen der Nachwuchsnationalteams keine Seltenheit mehr.
Es erstaunt deshalb nicht, dass mit ein paar Jahren Verzögerung auch die A-Nati erste Ausrufezeichen setzen konnte. 2014 qualifiziert sie sich erstmals für eine WM und dort schafft sie es im Folgejahr bis in den Achtelfinal. 2017 ist sie erstmals an einer EM dabei, auch für die EM 2021, die aufgrund der Corona-Situation in diesem Jahr stattfindet, ist sie bekanntlich vertreten. Ob sie es auch an die WM im kommenden Jahr schafft, steht nach acht von zehn Gruppenspielen in den Sternen, es wird eine enge Kiste.
Sexistische Sprüche ohne Ende
Hört man sich heute die Berichterstattung früherer Spiele an, da wähnt man sich in einer Comedy-Show. «Fussball ist doch ein harter Sport, wie verkraftet ihr Mädchen das?» Hat der Reporter jetzt wirklich diese Frage gestellt?
Oder wenn «Sportstudio»-Moderator Wim Thoelke 1970 (Video am Anfang des Artikels) bei einem Spiel Kommentare wie diese raushaut: «Junge, Junge, die brauchen sich gar nicht aufregen, die Zuschauer, die Frauen waschen doch ihre Trikots selber. Wenn die Männer in den Schlamm fallen würden, dann wäre das schlimmer, dann müssen die Frauen zu Hause waschen.» Oder: «Frei von allen kleinlichen Sorgen um Haushalt, Mann und Kinder spielt der Libero da hinten und die Torfrau ganz hervorragend.»
Es hat sich etwas getan, aber …
Heute wird, zumindest während Grossanlässen wie Europa- und Weltmeisterschaften hochprofessionell berichtet am TV. Auch die Qualität der Spielerinnen hat massiv zugenommen über all die letzten Jahre, was natürlich Hand in Hand geht mit den vielerorts verbesserten Strukturen.
Aber hierzulande stecken wir noch immer in den Kinderschuhen. Berichtet wird nur spärlich über die Spiele der nationalen Meisterschaft und hast du schon mal eine Champions-League-Zusammenfassung gesehen? Wenn ja, dann hast du wohl ganz bewusst danach gesucht. Dabei füllten die Spielerinnen des FC Barcelona in diesem Jahr gleich zweimal das Camp Nou, sprich es kamen über 90'000 Fans ins Stadion. Zu behaupten, Frauenfussball habe kein Potenzial, das stimmt so definitiv nicht.
In der Schweiz fehlen aber die Rahmenbedingungen, die den Fussball überhaupt erst attraktiv machen würden. Die Spielerinnen von Meister und Cup-Sieger FCZ, seit Jahren eine Top-Adresse im Schweizer Frauenfussball, müssen nebenbei noch immer einer Arbeit nachgehen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Spielen tun sie auf kleinen Plätzen, die den Besuch für Zuschauer wenig attraktiv machen.
Unter diesen Umständen überlegt es sich selbst das grösste Talent, ob es sich lohnt, auf die Karte Fussball zu setzen. Denn es bedeutet auch auf vieles zu verzichten, ohne Garantie, es wirklich einmal zu packen. Natürlich gilt das auch bei den männlichen Kollegen, von denen es nur ein Bruchteil vom Junior zum Profi schafft – aber wer es packt, der wird zumindest gut davon leben können und in schönen Stadien spielen. Was die Frauen antreibt, ist die pure Leidenschaft für den Fussball.
Zum Abschluss ein, aus damaliger Sicht, wohlgesonnener Beitrag aus dem Jahr 1971. Der Frauenfussball sei «keineswegs unästhetisch» heisst es da etwa. Wie nett …