Auch 2022 kämpft der Fussball der Frauen noch immer mit zahlreichen Vorurteilen. Doch die Argumente der ewigen Kritiker verlieren mehr und mehr an Bedeutung. Zum Glück.
Fussball begeistert, Fussball emotionalisiert und Fussball bewegt. Umso mehr, wenn Frauen ihn spielen. Die Diskussion über den Stellenwert ist so alt wie der Fussball der Frauen selbst. Kritiker streiten ihm jede Daseinsberechtigung ab. Der Fussball der Frauen sei langweilig, langsam und uninteressant. Es gäbe keine Ikonen und keinen Markt dafür, behaupten sie.
Die Nörgler kämpfen mit einer solchen Vehemenz gegen den Fussball der Frauen an, als ginge es um Leben und Tod. Letzten Endes ist es wohl nur ein letzter Verteidigungskraftakt, um die männliche Bastion Fussball zu schützen.
Die finanzielle Kluft
Aktuell erhitzt vor allem das Thema Equal Pay die Gemüter. Hierbei geht es darum, dass Frauen in der Nationalmannschaft gleich viel verdienen wie die Männer. Verbände wie Spanien, England, Norwegen, die Niederlande und auch die Schweiz haben den logischen Schritt bereits vollzogen. Die Diskussionen darüber flachen dennoch nicht ab. Und das, obwohl die Frauen während 90 Minuten die genau gleiche Arbeit verrichten wie die Männer.
Auf Klubebene ist man hingegen noch längst nicht so weit. Die meisten Schweizer Nationalspielerinnen verdienen bei ihrem Verein nicht mehr als ein Student, der am Hauptbahnhof Flyer verteilt. Selbst erfahrene Söldnerinnen wie die Arsenal-Spielerin Lia Wälti (99 Spiele für die Nationalmannschaft) bilden da keine Ausnahme: «Bei einem gut bezahlten KV-Job würde ich mehr erhalten.» Während Wälti also im besten Fall auf ein Jahressalär von 100'000 Franken kommt, verdient Granit Xhaka beim gleichen Arbeitgeber rund 6 Millionen Franken im Jahr.
Mehrere Schritte in die richtige Richtung
Das ist vielleicht nicht fair, aber irgendwo auch einfach den Gesetzen des Markts geschuldet. Natürlich ist der Fussball der Männer populärer, natürlich generiert er Sponsoren- und TV-Gelder in Milliardenhöhe. Aber das sind doch längst keine Gründe, den Fussball der Frauen so stur zu denunzieren. Die deutsche Nationalspielerin Laura Freigang brachte es diesbezüglich vor Kurzem auf den Punkt: «Klar, es geht um Geld, aber ich finde, man sollte sich fragen: Leben wir ausschliesslich kapitalistisch und fördern nur das, was maximalen finanziellen Erfolg bringt, oder geht es uns auch um die Gesellschaft?»
Solange König Fussball thront, muss die Gesellschaft und im Speziellen die Frau wohl noch hinten anstehen. Doch immerhin hat in den letzten Jahren bei vielen schon ein Umdenken stattgefunden. Immer mehr Vereine haben das Potenzial des Frauenfussballs erkannt. Neue Abteilungen werden geschaffen, wodurch Fussballerinnen besseren Zugang zu Trainingsmöglichkeiten, Infrastrukturen und etablierten Standards im Fussball erhalten. Und auch zuschauerseitig beobachtet man einen klaren Aufwärtstrend.
Von wegen nicht interessant
Das ausverkaufte Champions-League-Duell zwischen Barcelona und Real Madrid im Camp Nou ist zwar ein seltener Ausreisser und dennoch zeigt das Beispiel schön auf, dass der Fussball der Frauen auf einem guten Weg ist. Auch für die anstehende Euro sind viele Spiele bereits ausverkauft, was noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre.
In der Schweiz hinkt man vielleicht noch etwas hinterher, doch auch das Testspiel der Nati im Letzigrund gegen England hat mit mehr als 10'000 Besuchern eine neue Rekordmarke aufgestellt. Zwar setzte es am Ende eine bittere und viel zu hohe Niederlage von 0:4 für die Schweiz ab, attraktiv war die Begegnung aber allemal.
Mich persönlich fesselten die Glanzparaden von Seraina Friedli, die Defensiv-Arbeit von Ana-Maria Crnogorcevic und der beherzte Auftritt der gesamten Mannschaft wesentlich mehr als so manches taktisch geprägte Champions-League-Spiel, wo während 45 Minuten nicht eine Torchance resultiert. Ich erinnere mich da spontan an den vermeintlichen Viertelfinal-Kracher zwischen Manchester City und Atlético Madrid.
Umso mehr freue ich mich auch auf die bevorstehende Euro der Frauen, die diese Woche beginnt. Auch wenn die Frauen athletisch und technisch nicht auf demselben Level spielen wie die Männer, wird das Turnier mit Sicherheit ein Spektakel. Vielleicht sollte man auch einfach mal aufhören, den Fussball der beiden Geschlechter immer miteinander zu vergleichen und es einfach als das geniessen, was es ist: toller Fussball.