Müde ist Ancillo Canepa auch nach 15 Jahren als Präsident des FC Zürich keinesfalls. Er sprüht vor Enthusiasmus. Zumal jetzt, da sein FCZ als Leader in die Rückrunde der Super League steigt.
15 Jahre wirken Sie auf dem Präsidentenstuhl des FC Zürich. Was bedeutet Ihnen diese Zahl?
Ganz ehrlich, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Es ist eine Aufgabe, die ich damals mit voller Überzeugung übernommen habe und entsprechend ernst nehme. Ich würde es wieder tun. Solange ich zusammen mit meiner Frau Heliane etwas bewegen kann, setzen wir uns keinen Zeithorizont.
Hätten Sie sich vorstellen können, was alles auf Sie einprasseln würde?
Formulieren wir es so: Ich war auch nicht ganz naiv. Als 53-Jähriger hatte ich damals schon viel erlebt in der Wirtschaftswelt. Was ich etwas unterschätzte, war die öffentliche Relevanz als Präsident des FCZ. Alles wird zum Thema, man steht dauerhaft im Schaufenster, Irrelevantes wird plötzlich wichtig.
Da sind wir rasch bei der Emotionalität, mit welcher der Fussball gelebt wird.
So viele emotionale Erlebnisse hat man sonst in keinem anderen Beruf. Als ich früher interessante Aufträge akquiriert habe, zum Beispiel die Sonderprüfung Swissair, konnte ich nicht jubelnd durch die Bürogänge sprinten. Im Fussball hingegen kann man aus sich herausgehen. Er ist ein extrem wichtiges Ventil für die Gesellschaft.
Und Sie haben sich diese Emotionen über all die Jahre bewahrt.
Klar, so bin ich. Ich bin und bleibe so authentisch wie möglich. Deshalb äussere ich meine Meinung auch dann, wenn ich weiss, dass sie nicht überall gut ankommt. Früher erlebte ich Sitzungen in der Privatwirtschaft, an welchen Manager oder Experten emotionslos am Tisch sassen, ohne Mut, sich offen und ehrlich zu äussern.
Sie sprechen von Authentizität und Emotionen. Uns ist aber aufgefallen, dass Sie in letzter Zeit weniger offensiv kommunizieren. Der FCZ ist Leader mit sieben Punkten Vorsprung, aber Sie vermeiden den Ausdruck Meistertitel tunlichst.
Als ich beim FCZ begann, störte mich die relativ ambitionslose Klubkultur. Da deklarierte ich bewusst hohe Ansprüche, unter anderem das Erreichen der Champions League. Ich wollte der Mannschaft und dem Trainerstab ein Mindestmass an Siegermentalität einimpfen. Jetzt kommuniziere ich tatsächlich etwas anders. Mannschaft und Trainer arbeiten sehr seriös, zeigen Grinta (italienischer Ausdruck für Biss und Entschlossenheit – Red.). Es braucht derzeit keinen Klubchef, der mit der Flagge vorausgeht.
Eine professionelle Mentalität einbringen war das eine. Mit welcher Strategie sind Sie sonst noch angetreten als Präsident vor 15 Jahren?
Der FCZ ist vom Volumen her wie ein KMU. Es brauchte klare wirtschaftliche Strukturen. Schritt 1 war, den FCZ zu reorganisieren.
Es war der erste Schritt zum in den letzten Jahren viel diskutierten Label «Spitzenklub».
Absolut. Der Begriff Spitzenklub ist ganz bestimmt nicht falsch. Beim Blick zurück wird klar, was ich damit meine. Wir waren Meister, Cupsieger und spielten in der Champions League. Zudem hat der FCZ diverse Nationalspieler ausgebildet. Die Positionierung des Vereins entspricht einer Organisation, die zur Spitze gehört.
Ist diese Positionierung gefährdet? Der FCZ sieht sich nicht nur als Spitzenklub, sondern auch aus Ausbildungsverein, der Spieler Gewinn bringend verkauft. Das Geschäftsmodell ist durch Corona ins Wanken geraten.
Wir budgetierten die Transfereinnahmen immer sehr konservativ. Aber bei der Kostenoptimierung haben wir einen grösseren Hebel. Der Transfermarkt ist schwieriger geworden. Aber in erster Linie für die Spieler. Sogar Top-Spieler müssen zurückbuchstabieren. Für uns ist es einfacher geworden, Spieler einer gewissen Kategorie zu bekommen.
Der FCZ bleibt also bei seiner Strategie. Andere Klubs haben andere Wege eingeschlagen. Der Stadtrivale Grasshoppers etwa ist quasi zum Farmklub der Wolverhampton Wanderers geworden. In Lausanne und Lugano läuft es ähnlich.
Ich will die Konstellation bei anderen Vereinen nicht kommentieren. Ich kann aber bestätigen, dass der FCZ zu 100 Prozent eigenständig bleiben wird. Ein Farmteam? Wir? Undenkbar! Wir sehen uns als wichtige Institution in der Stadt Zürich. Aber klar, irgendwann werden auch wir eine Nachfolgeregelung finden müssen – die Aktien nehmen wir nicht mit ins Grab.
Sprechen wir von der sportlichen Gegenwart. Vom FC Zürich als Leader. Wie kamen Sie eigentlich auf André Breitenreiter als neuen Trainer?
Ich verfolge den Fussball in Deutschland seit vielen Jahren. Breitenreiter ist mir früh aufgefallen. Seine Mannschaften habe ich in guter Erinnerung. Mich begeisterte, wie Paderborn unter ihm aufspielte. Dann sah ich Leverkusen gegen Breitenreiters Hannover. Nur Hannover spielte. Schnelles Umschalten, zack, zack, Leverkusen hatte keine Chance. Als wir dann selber einen Coach suchten, tauchte sein Name auf unserer internen Kandidatenliste auf. Zwei Tage später sass er an einem Sonntagnachmittag bereits in meinem Büro. Kurz darauf haben wir den Vertrag unterschrieben.
Eine effiziente Verhandlung.
Wenn man jemanden persönlich kennenlernt, macht es oft innerhalb der ersten 15 Sekunden Klick. Genau das ist bei André passiert. Ich denke gegenseitig. Die Chemie stimmte sofort. Er ist überzeugend – als Person, Trainer, Persönlichkeit. Deshalb war sofort klar: André Breitenreiter muss unser nächster Trainer werden.
Brauchte es keine Überzeugungsarbeit, um ihn als langjährigen Bundesliga-Trainer in die vergleichsweise kleine Schweizer Super League zu holen?
André ist in jeder Hinsicht ein Profi, er geht in die Details und bereitet sich auf alles akribisch vor. So hat er sich zuvor natürlich auch mit dem FCZ beschäftigt. Wir registrierten rasch, dass er unglaublich gut Bescheid wusste über unseren Verein. Er wäre nicht zum Gespräch gekommen, wenn er nicht genau gespürt hätte, dass hier ein Projekt ansteht. Er spürte, hier ist ein Team in einem familiären Umfeld am Werk. Er kann mit einem empathischen und kompetenten Sportchef zusammenarbeiten. Und als Plus: Beim FCZ pflegen wir intern eine konstruktive Kommunikationskultur. Wir sind in vielerlei Hinsicht ambitioniert, wollen etwas erreichen. Das Gesamtpaket hat für ihn so gestimmt.
Wo ordnen Sie ihn ein in der Reihe Ihrer elf Coaches?
Alle Vorgänger hatten ihre Stärken und Schwächen. Aber es entwickelte sich über die ganze Dauer der vielen Engagements ein Wunschprofil. André erfüllt das ziemlich genau. Er trägt einen prall gefüllten Rucksack. Taktisch liegt er in neun von zehn Fällen richtig, die Trainingsgestaltung ist hochgradig professionell und sehr offensiv orientiert. Er findet bei jedem Spieler den richtigen Ton und wirkt dabei immer authentisch. André macht nie Showtime. Die Matchvorbereitung verläuft ohne Brimborium und gleichwohl dynamisch und sehr gezielt. Auch seine Aussendarstellung ist für mich hohe Schule. Differenziert, keine Rundumschläge, einfach topseriös.
Breitenreiters erfolgreiche Arbeit in Zürich dürfte auch in Deutschland registriert werden. Haben Sie nicht Angst, dass es ihn wieder in die Bundesliga zieht?
Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass André bleiben würde, auch wenn Offerten kämen. Das ist eben auch eine Frage der Integrität und der Seriosität. Es gefällt ihm bei uns. Ich bin sicher, dass er mit dem FCZ noch viel vorhat. Irgendwann wird es ihn wieder in die Heimat ziehen, das ist legitim. Aber mit einem frühzeitigen Abschied rechne ich nicht.
Gibt es neben dem Trainer weitere Gründe für den Höhenflug?
Das Kader wurde im letzten Sommer ausgezeichnet zusammengestellt. Da hat auch unser Sportchef ausgezeichnete Vorarbeit geleistet. Da legten wir die Basis zum Erfolg. Wir haben nun einige Leader im Team, die jetzt auch auf dem Platz Leistung zeigen. Sie sind Stützen, sind charakterlich überzeugend und halten dem Druck stand. Sie ziehen die Jungen mit. Ausserdem geht das offensive Konzept mit den starken Aussenläufern auf, und Assan Ceesay ist wieder aufgeblüht – auch dies ein Verdienst von André Breitenreiter.
Sa 29.01. 17:25 - 21:15 ∙ blue Sport Live ∙ Live Fussball: FC Zürich - Servette FC
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