Kommentar Der Tiefpunkt

Kommentar: René Weder

17.3.2019

Unmöglich, in den Dialog zu treten: GC-Spieler nähern sich den Chaoten erfolglos an.
Unmöglich, in den Dialog zu treten: GC-Spieler nähern sich den Chaoten erfolglos an.
Bild: Teleclub

Nach dem schändlichen Fussball-Abend in Sion wird es eine hohe Busse und Geisterspiele für den Grasshopper Club absetzen. Die paar Chaoten, die für den Eklat sorgten, haben rechtlich keine harten Konsequenzen zu befürchten. Man wird zum Tagesgeschäft übergehen – und beim nächsten Skandal die Hände verwerfen. Eine gesellschaftspolitische Bankrotterklärung. 

Stephan Anliker hat in den Jahren, seit er 2014 das Präsidium im Grasshopper Club übernommen hat, nicht immer die richtigen Entscheidungen getroffen: Sein Trainerverschleiss ist immens (Tomislav Stipic ist seit 2012 der siebte Trainer an der Seitenlinie), die Besetzung zentraler Posten im Verein – etwa jene des Sportchefs – sind fragwürdig, die Transferpolitik generell ein Desaster.

Machtkämpfe und Intrigen haben dem Klub zugesetzt und der «auswärtige» Anliker selbst kam trotz positiver Absichten nie bei den Zürchern an. Dass der Verein mit dem Wegzug nach Niederhasli noch so viel zu tun hat wie der EHC Kloten mit der Stadt Zürich, macht die Sache auch nicht besser. Die letzten Titel liegen weit zurück: Meister wurde GC unter Marcel Koller letztmals 2003, Cupsieger unter Uli Forte 2013.



Dem schleichenden sportlichen Untergang gehen der Zerfall der Reputation und den Wegfall der Identifikation einher. Rekordmeister (27), Rekordcupsieger (19), Traditionsverein (1886): Man verbindet dieser Tage vieles mit GC, aber diese Begriffe gehören nicht mehr dazu. Immer weniger Fans wollen dem Niedergang ihres Vereins zusehen, wenden sich ab, bleiben den Spielen fern. Das Leiden ist der Scham gewichen. Das ist mit ein Grund, weshalb in der Fankurve eine Umwälzung stattfand und Tür und Tor für allerlei Klientel öffnete.

Auf dem Spiel steht viel mehr als der Abstieg eines Vereins

Den vorläufigen Tiefpunkt dessen haben wir am Samstagabend im Tourbillon gesehen. Präsident Anliker bezeichnet die randalierende Meute als «wilde Tiere», «aufgegeilt». Höchstwahrscheinlich mit verbotenen Substanzen zugedröhnt und nicht fähig, in den Dialog zu treten. Führt man sich die Bilder vor Augen, war es schon fast fahrlässig, die Mannschaft vor das Gehege treten zu lassen, in der Hoffnung, die Situation beruhigen zu können. Pure Aggression schlug den jungen Spielern und dem Staff entgegen. Ein höchst verstörendes Bild, das vom Schweizer Fussball in die Welt getragen wird.

Bei aller Frustration über die sportliche Leistung: Was wir am Samstag in Sion gesehen haben, ist der absolute Tiefpunkt im Schweizer Klubfussball. Die Vereine können der Gewalt nicht alleine entgegentreten. Nur die Liga dafür verantwortlich zu machen, greift ebenfalls zu kurz. Auch ist die Politik gefordert. Es braucht strengere Gesetze, mehr Kontrolle, härtere Sanktionen, was  letztlich zu noch mehr Überwachung und personalisierten Tickets führen wird. Das Produkt «Schweizer Fussball» ist heute um ein dunkles Kapitel reicher. Es ist völlig egal, ob GC absteigt oder nicht, auf dem Spiel steht ein viel höheres Gut: Die Sicherheit jener, die auf dem Platz stehen und jener, die eigentlich nur eines wollen: Ein Fussballspiel schauen. Es wäre eine gesellschaftspolitische Bankrotterklärung, wenn das in der Schweiz nicht möglich sein sollte.


Die Videos zur GC-Schande von Sion







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