Kommentar Ein Abstieg mit Ansage – oder warum das zweite Wunder bei Xamax ausblieb

Von Syl Battistuzzi

29.7.2020

Xavier Kouassi und Coach Stephane Henchoz konnten das Steuer bei Xamax nicht mehr herumreissen.
Xavier Kouassi und Coach Stephane Henchoz konnten das Steuer bei Xamax nicht mehr herumreissen.
Bild: Keystone/Teleclub

Xamax tritt den Gang in die Challenge League an. Keine Überraschung, wenn man sich die Vorzeichen ansieht: Diskrepanz beim Klubboss, Schwächung durch Transfers vom Gegner und vor allem das ungenügende Spielermaterial zeigen die Unabwendbarkeit des Abstiegs auf. 

Eigentlich sollte Erfahrung in einem Abstiegskampf ein Trumpf sein: 29,2 Jahre alt war die Startelf im Durchschnitt, welche Trainer Stéphane Henchoz von Xamax im kapitalen Spiel gegen Servette aufs Feld schickte. Das vernichtende Resultat: eine verdiente 1:4-Niederlage im Derby. Fast noch schlimmer für die Fans anzusehen war aber der blutleere Auftritt der Truppe – kein Aufbäumen und unbedingter Wille zu sehen, sich gegen das drohende Schicksal aufzulehnen.

Wie anders die Welt doch vor einem Jahr aussah, als man im Barrage-Spiel gegen Aarau eine 0:4-Hypothek aus dem Hinspiel auswärts noch drehte und so sensationell die Klasse hielt. Damals an der Seitenlinie stand Henchoz, der nach Saisonende vom Präsidenten Christian Binggeli durch Joel Magnin ersetzt wurde, weil man auf die Jungen setzen wollte.



Doch die Saison nahm die Vereinsleitung dann widersprüchlicherweise sowohl mit der ältesten (durchschnittlich 27,7 Jahre) als auch billigsten Truppe (Gesamt-Marktwert des Kaders: knapp 11 Millionen Franken) der Liga in Angriff. Ein Himmelfahrtskommando, welches halt nicht jedes Mal gelingen kann, obwohl der Klub kurz vor Saisonende nochmals Heilsbringer Henchoz reaktivierte.

Knipser und Leader durch Direktkonkurrent verloren

Den Schlusspunkt bei der wundersamsten Wende im Schweizer Fussball setzte übrigens Antreiber Geoffrey Serey Dié, der den entscheidenden Elfmeter gegen die Aarauer versenkte. Der Ivorer wechselte während der Coronakrise – zusammen mit Karlen mit sieben Treffern der zweitbeste Torschützen im Team – aber zum FC Sion.

Im Gegenzug verpflichtete man aus dem Wallis Xavier Kouassi und Johan Djourou. Der ehemalige Nati-Spieler war – nicht unerwartet – mehrheitlich verletzt, und Kouassi konnte das Team nicht wie gewünscht stabilisieren. So kann man festhalten: Das Ziel von Sion-Präsident Christian Constantin, die Neuenburger im Abstiegskampf entscheidend zu schwächen, ging auf.

Doch CC hätte die Aktion gar nicht nötig gehabt. Das hielt auch Raphael Nuzzolo nach dem Servette-Spiel gegenüber «Teleclub» fest: «Wir sind die schlechteste Mannschaft der Super League – wir verdienen den Abstieg.» In der Tat genügt das Spielermaterial nicht für die oberste Schweizer Spielklasse.

Ein mediokres Kader durch und durch

Das Tor hütet mit Laurent Walthert ein Eigengewächs. Die langjährige Stammkraft mag zwar reaktionsschnell sein, doch mit seinen 1,78 Metern Körpergrösse hat es der 35-Jährige schwer, im Strafraum Präsenz zu markieren. Auch wenn er als Captain und Leader wichtig für das Team ist, war er gesamthaft halt der schlechteste Keeper der Liga. 

Die Defensive ist mit 61 Gegentoren zwar bisher nicht ganz die schlechteste – Thun (62) und der FCZ (67) liegen in dieser Statistik sogar vorne bzw. hinten –, doch im Abwehrzentrum fielen Marcin Oss, Igor Djuric und André Neitzke mehrheitlich durch ihre übertriebene Härte auf, welche wohl ihre fehlende Tempofestigkeit kaschieren sollte. Kein Wunder, hielt sich auch ihre spielerische Qualität – sprich saubere Pässe für die vorderen Reihen – in Grenzen. Nur selten zum Zug kam dabei das 22-jährige Talent Arbenit Xhemajili, der häufig auf der Bank schmorte.

Im Mittelfeld dominiert biedere Arbeiterklasse – Spieler wie Janik Kamber, Freddy Mveng oder Thibault Corbaz spulen zwar brav ihre Kilometer ab, kreative Impulse darf man aber von ihnen nicht erwarten. Und Tore schon gar nicht: Kein Mittelfeld-Spieler hat mehr als ein (!) Treffer beigesteuert.

Genau ein mickriges Törchen in 1'190 Einsatzminuten geschossen hat diese Saison Taulant Seferi, einst als Zukunftshoffnung bei YB tituliert. Es wird schon seine Gründe haben, wieso der 23-Jährige in Bern nicht zum Zug kam. Die (Tor-)Lücke von Karlen mit Seferi stopfen zu wollen, war deshalb sicher illusorisch.

Keine Torimpotenz wies hingegen Nuzzolo auf. Der 37-Jährige erfüllte mit 13 Treffern seinen Soll, doch «es hätte vorne drei und hinten vier Nuzzolos gebraucht», wie ein Kommentator vom lokalen Radio RTN treffend festhielt.

Quo vadis, Xamax?

Das Niveau vieler seiner Teamkollegen genügt(e) objektiv leider nicht für die oberste Schweizer Spielklasse. Das dürfte bald auch Xamax-Präsident Binggeli einsehen, der nach dem Servette-Spiel bittere Tränen vergoss.

«Rouge et Noir» sollte die «vielen Fehler» (O-Ton Nuzzolo) gründlich analysieren und seine Lehren daraus ziehen. Ein House-Cleaning bei den Neuenburgern im Kader ist alternativlos. Mit Jean-François Collet, der im Winter die Aktienmehrheit des Klubs übernahm, scheint Realismus einzukehren. Er will keine übertriebenen Erwartungen wecken: «Wir werden eine möglichst taugliche Mannschaft stellen, aber wir müssen ehrlich sein: Wir können nicht von einem sicheren Wiederaufstieg sprechen.» Wie man mit einem richtigen Konzept und klarer Vereinsphilosophie Erfolg hat, sieht man beim letztjährigen Aufsteiger Servette, der sich sogar einen Europacup-Platz sichern konnte.

Es beweist, dass man in der Schweiz mit den richtigen Massnahmen schnell wieder nach oben kommen kann. Ein Silberstreifen am Horizont für Xamax. Ob der personifizierte Silberrücken Nuzzolo nochmals eine Saison anhängt, ist mehr als fraglich. Auf ihn allein dürfen die Hoffnungen sowieso nicht ruhen.


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