Ein Entscheid, zur Unzeit kommuniziert, könnte für Neuchâtel Xamax den direkten Wiederabstieg in die Challenge League zur Folge haben.
Wie werden die Spieler auf die Nachricht, dass Stéphane Henchoz nach der Saison nicht ihr Trainer bleibt, reagieren?
Am Sonntag gastiert zum zweiten Mal in dieser Saison der FC Thun auf der Maladière. Die Xamaxiens zeigten beim ersten Mal, am 11. August, eine miserable Leistung und verloren 1:5, ohne dass die Thuner brillant aufspielen mussten. Derart schlecht dürfte es aus Neuenburger Sicht am Sonntag nicht laufen. Aber vielleicht wird es auch längst nicht mehr so gut laufen wie in den ersten sechs Spielen unter Michel Decastels Nachfolger Stéphane Henchoz. Die Neuenburger siegten unter Henchoz dreimal. Sie machten in kurzer Zeit einen Rückstand von vier Punkten auf die Grasshoppers wett und überholten die Zürcher um weitere vier Punkte.
In der sogenannten Nati-Pause eröffnete Vereinspräsident Christian Binggeli Henchoz, dass die Zusammenarbeit nach der Saison beendet werde, wie erfolgreich sie auch sein möge. Später nannte Binggeli schon Henchoz' Nachfolger, den zurzeit noch beim Nachwuchs der Young Boys beschäftigten Joël Magnin – der die Anforderungen an den künftigen Trainer besser erfülle als Henchoz.
Wäre es nicht früh genug gewesen, die Änderung irgendwann in den letzten Wochen der Meisterschaft bekanntzugeben, wenn die Abstiegsfrage vielleicht schon geklärt wäre? In einem Interview mit der Neuenburger Tageszeitung «arcinfo» verteidigte Binggeli sein befremdliches Vorgehen. «Aus ethischen Gründen und weil es meinem Charakter entspricht, musste ich Stéphane Henchoz über unseren Entscheid informieren. Man muss sich nur vorstellen, was passiert wäre, wenn wir uns über die Barrage gerettet und uns gleich danach vom Trainer getrennt hätten. Niemand hätte das verstehen können», sagte Binggeli. Ihn störe einzig, dass er den Entscheid nicht zuerst der Mannschaft habe mitteilen können.
Binggeli ist überzeugt, dass Henchoz seine Arbeit in gleich hoher Qualität weiterführen wird. Es sei ja Henchoz' erster Cheftrainer-Posten. Wenn er mit Xamax oben bleibe, werde dies ein erster toller Leistungsausweis für die Fortsetzung der Trainerkarriere sein. Aber Binggeli weiss so wenig wie irgendjemand, wie Henchoz, der sich über die angekündigte Ausbootung bitter enttäuscht gezeigt hat, und die Spieler tatsächlich reagieren werden. Erst die Leistungen und die Resultate der kommenden Wochen werden es zeigen.
Magnin statt Henchoz
Binggeli hat sich für Joël Magnin entschieden, weil er diesem viel eher als Henchoz zutraut, mit Neuenburger Nachwuchs zu arbeiten. Das Konzept, das ab der nächsten Saison greifen soll, liegt schon vor. Man wolle sich am «Modell Thun» orientieren, sagte Binggeli im Interview. Jedoch: Der FC Thun setzt für die Zusammenstellung des Kaders viel weniger auf den eigenen Nachwuchs als auf ein geschicktes Scouting. Die Berner Oberländer sind Meister darin, wenig bekannte Spieler aus unteren Ligen zu holen und diese zu Leistungsträgern heranzuziehen.
Beispiele aus den letzten Jahren sind Luca Zuffi, Renato Steffen, Simone Rapp, Christian Fassnacht, Marvin Spielmann und – er könnte ab der kommenden Saison ebenfalls zuschlagen – Miguel Castroman. Die besonderen Fähigkeiten der Thuner will Christian Binggeli im neuen Konzept natürlich ebenfalls berücksichtigt haben: «Wir werden von überall in der Schweiz Nachwuchshoffnungen holen, sie begleiten und sie in die erste Mannschaft integrieren.»
Irgendjemand bei Xamax wird hierfür das geschulte Auge haben müssen. Wäre Stéphane Henchoz nicht der geborene Scout? Die Frage erübrigt sich, denn der Freiburger schliesst jede weitere Arbeit in Neuenburg kategorisch aus.
Die Super-League-Spiele vom Sonntag im Überblick:
Grasshoppers – Lugano (Bisherige Duelle der Saison: 2:2, 2:1). – Anspielzeit: 16.00 Uhr. – SR Klossner. – Absenzen: Sigurjonsson, Arigoni und Kastrati (alle verletzt); Covilo, Crnigoj (beide gesperrt) und Macek (verletzt). – Fraglich: – ; Yao. – Statistik: Sechs ihrer bescheidenen 18 Punkte holten die Hoppers gegen Xamax. Lugano ist mit vier Punkten der bislang zweitbeste Zulieferer der Zürcher – ex-aequo mit Sion. Anders gesagt: In den Spielen gegen die drei genannten Mannschaften haben die Zürcher 78 Prozent ihrer Punkte gesammelt. Dass die Tessiner auch am Sonntag liefern, ist zu bezweifeln. Denn sie haben jüngst ihre Liebe zu Auswärtsspielen entdeckt. Nacheinander siegten sie ohne jedes Gegentor in Luzern, beim FCZ und in St. Gallen.
Neuchâtel Xamax – Thun (1:5, 2:2). – Anspielzeit: 16.00 Uhr. – SR Erlachner. – Absenzen: Serey Die (gesperrt); Hediger und Tosetti (beide verletzt). – Statistik: Das Spiel in Thun am 3. November war für die Neuenburger die Ausnahme: In der Nachspielzeit retteten sie mit dem Tor zum 2:2 einen Punkt, während sie in vielen anderen Partien in der Schlussphase Punkte liegenliessen, so auch zuletzt beim 1:2 in Zürich gegen den FCZ. Zwei seiner bislang drei Heimspiele unter Trainer Stéphane Henchoz hat Xamax gewonnen. Die Thuner haben nach einem sehr guten Start in die Rückrunde Sand im Getriebe. Aus den drei Heimspielen in den letzten vier Runden schauten nur drei Unentschieden heraus.
Young Boys – St. Gallen (2:0, 3:2). – Anspielzeit: 16.00 Uhr. – SR Tschudi. – Absenzen: Nsame (gesperrt) und Sulejmani (verletzt); Lüchinger, Kutesa (beide gesperrt), Itten und Wiss (beide verletzt). – Statistik: St. Gallens letzter Sieg in Bern datiert vom 20. März 2005. Das Stade de Suisse war noch nicht eröffnet, man spielte im Neufeld. Es war das Spiel, in dem der St. Galler Mijat Maric und YB-Spieler Patrick De Napoli zusammenprallten und mit Hirnerschütterungen ausgewechselt werden mussten. Und in dem ein gewisser Stéphane Chapuisat kurz vor Schluss für YB auf 2:3 verkürzte. Am Sonntag müssten sich die Ostschweizer nach dem desolaten Auftritt gegen Lugano (0:2) auf wundersame Weise steigern, wenn sie den Bernern den 12. Sieg im 13. Heimspiel der Saison verwehren möchten.