Kommentar Vizemeister, Cupfinalist und … Abstiegskandidat – turbulente Tage in St.Gallen

Von Tobias Benz

9.5.2021

Überraschten mit ihren Titel-Ambitionen letzten Frühling die ganze Schweiz: St.Gallen-Präsident Matthias Hüppi (l.) und Sportchef Alain Sutter.
Überraschten mit ihren Titel-Ambitionen letzten Frühling die ganze Schweiz: St.Gallen-Präsident Matthias Hüppi (l.) und Sportchef Alain Sutter.
Bild: Keystone

Auf eine überragende Kampagne 2019/20 folgt beim FC St.Gallen während der Pandemie-Saison 2020/21 ein knallharter Realitätscheck. Nach einem durchmischten Jahr droht den Ostschweizern sogar der Abstieg.

Von Tobias Benz

Am Sonntag lädt der FC St.Gallen zum Abstiegsduell im Kybunpark. Die Espen empfangen den Tabellenletzten aus Sion (16 Uhr live auf «blue Sport»). Bei einer Niederlage ist die rote Laterne nur noch drei Punkte entfernt. Vor einem Jahr erschien dieses Szenario absolut unmöglich. Aber eingefleischte Fans des Vizemeisters wissen, dass die Form bei Grün-Weiss sehr schnell kippen kann.

Der Sturm gewinnt die Schlacht, die Abwehr den Krieg. So heisst der fussballerische Leitspruch, der beim FC St.Gallen überhaupt nicht zutrifft. Kurioserweise kickt im Kybunpark nämlich die drittbeste Verteidigung der Liga – dennoch droht der Krieg verloren zu gehen. Das liegt in erster Linie an der fehlenden Offensivpower der Espen.

Fehlende Sturmgewalt

Die Abgänge von Ermedin Demirovic (SC Freiburg) und Cedric Itten (Glasgow Rangers) konnten nicht wettgemacht werden. Zwar führt mit Kwadwo Duah (9) ein Neuzugang die vereinsinterne Super-League-Torschützenliste an, insgesamt kommt im letzten Drittel aber deutlich zu wenig von den St.Gallern. Wie letztes Jahr dominieren die Ostschweizer auch in dieser Saison den Grossteil ihrer Partien, halten im Durchschnitt 54,9 Prozent Ballbesitz – im Vergleich zum letzten Jahr brennt es aber deutlich weniger im gegnerischen Sechzehner.

Auch das Mittelfeld liefert nicht gleich ab. Jordi Quintillà war vor neun Monaten mit 13 Treffern sechstbester Torschütze der Liga. Heuer war er lediglich zweimal erfolgreich. Alleine Itten, Demirovic und Quintillà schossen letzte Saison 46 Tore. Ein Jahr später kommt die gesamte Mannschaft auf 36. 

Fehlen dem FCSG auch aufgrund ihrer Körpergrösse: Ohne Ermedin Demirovic (1,85m) und Cedric Itten (1,89m) landet der Ball bei Eckbällen oder Torabstössen oft beim Gegner.
Fehlen dem FCSG auch aufgrund ihrer Körpergrösse: Ohne Ermedin Demirovic (1,85m) und Cedric Itten (1,89m) landet der Ball bei Eckbällen oder Torabstössen oft beim Gegner.
Bild: Keystone

Eine Teilschuld am Tormangel muss auch Sportchef Alain Sutter auf sich nehmen. Der 53-Jährige befand sich aufgrund der Corona-Pandemie und der ohnehin mageren finanziellen Möglichkeiten der Ostschweizer in keiner beneidenswerten Position. Die fehlenden Fans und der hochgetaktete Spielplan betrafen aber alle Teams gleichermassen und dürfen nicht als Ausrede geltend gemacht werden.

Ein heilsbringender Cupfinal?

Es wäre aber auch vorschnell, die neuen St.Galler Hoffnungsträger im Sturm nach nur einer Saison abzuschreiben – erst recht, wenn einer davon neunmal getroffen hat. Trotzdem stimmen die letztjährigen Transfers nicht positiv für das anstehende Wechselfenster. Mit Leonidas Stergiou, Lukas Görtler, Betim Fazliji, Miro Muheim oder Lawrence Ati Zigi gibt es etliche Leistungsträger, die auf einem Abgang drängen könnten. Captain Jordi Quintillà wird seinen Vertrag bekanntlich nicht verlängern.

Umso entscheidender deshalb die Partie gegen Sion. Denn sollte St.Gallen den Ligaerhalt tatsächlich nicht vollbringen, dürfte wohl keiner der eben genannten in der kommenden Spielzeit noch ein grün-weisses Trikot tragen. In dieser Hinsicht könnte auch ein Erfolg im Cupfinal essentiell sein. Mit einer Trophäe liesse sich nicht nur die allgemeine Attraktivität des Klubs steigern, es gäbe auch dem aktuellen Kader einen Grund mehr, in der Ostschweiz zu bleiben.

So oder so wird es für den ersten Verfolger von YB – wie St.Gallen vor neun Monaten noch genannt wurde – unglaublich schwer, wieder an die Spitze der Super League zurückzukehren. Aber für das Trio um Matthias Hüppi, Alain Sutter und Peter Zeidler wäre es nicht das erste Mal, dass sie alle überraschen.

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