Das DuellDeshalb kommt Deutschland weiter – oder eben nicht
Jan Arnet / René Weder
19.6.2018
Deutschland steht nach der Auftaktniederlage gegen Mexiko bereits mit dem Rücken zur Wand. Einen weiteren Ausrutscher kann sich die Jogi-Elf nicht mehr leisten. Zwei Meinungen und je fünf Gründe aus der Redaktion.
Deshalb kommt Deutschland weiter
Team bleibt cool Am Tag nach der Auftaktpleite gegen Mexiko verzichteten die Deutschen auf eine Pressekonferenz. Zudem wurde die Presse vom Training ausgeladen. In der Heimat kam das überhaupt nicht gut an. Die Medien wollten eine Erklärung für die unerwartet schwache Leistung. Doch statt lange nach Ausreden und Gründen für die Niederlage zu suchen, bereiten sich Löw und sein Team ausserhalb der Öffentlichkeit auf die nächste Aufgabe vor. Das Team weiss: Reden bringt nichts, wenn die Leistung nicht stimmt. Der Sieg gegen Schweden ist wichtiger als alles andere.
Austausch ≠ Krisensitzung Als Manuel Neuer am Dienstag wegen einer «internen Sitzung» 50 Minuten zu spät vor die Medien tritt, schreibt die «Bild» auf ihrem Onlineportal dick und fett: «Krisensitzung!» Neuer sagt, es habe einen Austausch unter den Spielern gegeben. «So stark wie nach dem Mexiko-Spiel war die Kommunikation in unserer Mannschaft noch nie. Ein gutes Zeichen. Man merkt, dass sich viele Spieler einbringen wollen», so der Captain. Es muss nicht schlecht sein, wenn der eine dem anderen mal die Meinung sagt. Im Gegenteil: Das kann gut fürs Vertrauensverhältnis innerhalb der Mannschaft sein. Von einer Krise sind die Deutschen noch weit entfernt.
Alles noch möglich Viele haben Deutschland jetzt schon abgeschrieben. Doch der Weltmeister hat erst ein Spiel verloren, nicht mehr und nicht weniger. Noch hat Deutschland alle Chancen, sich für die K.o.-Phase zu qualifizieren. Mexiko wurde unterschätzt, das wird den Deutschen gegen Schweden und Südkorea nicht mehr passieren. Die Mannschaft ist wachgerüttelt und wird die Konzentration in den nächsten beiden Spielen wiederfinden. Zwei Siege und man ist wieder voll im Rennen. Auch wenn Deutschland nur als Gruppenzweiter weiterkommen sollte, ist noch lange nichts verloren.
Löw kann und wird umstellen Vor dem Schweden-Spiel hat Deutschland wieder 80 Millionen Bundestrainer und jeder weiss besser, welche elf Spieler auf den Platz gehören. Doch Jogi Löw ist nicht naiv, er wird sich den einen oder anderen Fehler selber zugestehen und die richtigen Schlüsse ziehen. Etwa, dass Marco Reus im nächsten Spiel in die Startelf gehört. Oder dass dem Gegner bei Ballverlusten nicht mehr so viel Platz gelassen werden darf. Im zweiten Spiel werden wir einen anderen Auftritt der Löw-Elf sehen.
Qualität spricht für sich Gewiss, so schwach wie im Spiel gegen die Mexikaner haben wir Deutschland schon lange nicht mehr gesehen. Selbst Toni Kroos, der beste Deutsche, zog einen rabenschwarzen Tag ein. Doch unser nördlicher Nachbar hat den vielleicht besten Kader aller Teams in Russland. In der Breite sind höchstens die Spanier und die Brasilianer noch besser aufgestellt als Deutschland. Bringen die Deutschen ihre Tugenden wie Fleiss, Geradlinigkeit und Ordnung zurück in ihr Spiel, bleiben sie ein Turnierfavorit.
Jan Arnet, Redaktor
Deshalb bleibt Deutschland in der Gruppephase hängen
Jogi Löw Seit 2006 Trainiert Löw «Die Mannschaft». Die Luft ist raus. Löw wirkt seit längerem abgelöscht, während Interviews bisweilen ignorant und überheblich. Das kann man ihm nicht verübeln nach 12 Jahren Tätigkeit in derselben Funktion. Aber es ist ein Fakt. Während der Vorbereitung wurde er nie müde, die Geschlossenheit zu betonen. Er negierte die Diskussion um Gündogan und Özil, betonte immer wieder, auch nach den lustlosen Auftritten gegen Österreich und Saudi Arabien, dass man schon bereit sein werde. Kommen die fragwürdigen Nicht-Nominierungen von Sané und Wagner hinzu, die in der Heimat für Kopfschütteln sorgten. Hielten damals noch viele zu Löw mit dem Argument: ‘Lasst den Mann arbeiten, er weiss schon, was er tut’, hat der Wind nun gedreht. Özil ist ein Schatten seiner selbst, Gündogan ein gebrochener Mann. Khedira müde, Müller mit sich selbst beschäftigt, Kroos kein Leader und ebenfalls satt vom Erfolg mit Real Madrid. Die Daheimgebliebenen wird das nicht freuen, aber die Kritik wird lauter.
Die Mannschaft, die keine ist Flach ist die Hierarchie im Deutschen Team, es fehlen die Leader, die auch auf dem Platz anheizen können. Wenn Mats Hummels nach dem Spiel vor den Mikrophonen Dampf ablässt, er selbst aber Einsatz, Überzeugung und Motivation auf dem Platz vermissen lässt, wirkt das auf die Mitspieler nicht aufbauend. Im Gegenteil: Es nervt! Die Stimmung im Team ist nicht zu vergleichen mit den letzten Jahren. Das war auch im Spiel gegen Mexiko gut zu sehen. Es wurde mit den eigenen Leuten gehadert, keiner konnte den anderen mitreissen. Immer wieder kamen die Mexikaner zu gefährlichen Kontern. Es hätten noch viel mehr Tore fallen können – ja müssen.
Die Geschichte Der amtierende Weltmeister hatte es in jüngster Vergangenheit immer schwer. Frankreich 2002, Italien 2010 oder Spanien 2014 scheiterten jeweils in der Gruppenphase. Die Gründe dafür sind zahlreich: Man hat alles erreicht, es gab zu wenig Umbrüche in der Mannschaft, da man am Stamm des «Winning Teams» festhält – und wohl auch festhalten muss. Diesbezüglich kann man Jogi Löw nicht viele Vorwürfe machen. Die Qualität im Team wäre zweifelsfrei vorhanden, aber es fehlt der absolut notwendige, unbändige Wille, etwas reissen zu wollen.
Schweden Der nächste Gegner geht mit breiter Brust in das Duell gegen Deutschland. Zwar war das 1:0 von Schweden gegen Südkorea nicht überragend, dennoch steht man mit drei Punkten da und ist mit einem möglichen Remis gegen den amtierenden Weltmeister zufrieden. Mauern ist einfacher als spielen, das werden sich die Schweden zum Vorsatz nehmen. Und gegen unter Druck stehende, verunsicherte Deutsche, wird es auch den einen oder anderen Konter geben.
Die (falsche) Taktik Angriff und Defensive harmonierten im Mexiko-Spiel überhaupt nicht. Immer wieder gab es Löcher im Mittelfeld, unnötige Ballverluste und Abstimmungsprobleme. Auch erste Spieler sollen hinter vorgehaltener Hand Kritik am Spielsystem von Jogi Löw geäussert haben. Das bringt uns wieder zu Punkt 2: Die Mannschaft. Es gibt in diesem Jahr einfach zu viele Differenzen zwischen Spieler und Trainer und Misstöne neben dem Platz – und wenn es nicht will, dann will es nicht. Das ist 2018 der Fall – und wenn ich falsch liege, gebe ich Kollege Arnet einen aus.