Dänemarks emotionale Achterbahnfahrt erreicht im dritten Gruppenspiel ein neues Hoch. Der Achtelfinaleinzug beschert dem Land eine magische Nacht. Nils Nielsen sagt, was die Dänen jetzt stark macht.
Nach dem Drama um Christian Eriksen liefert Dänemark wieder sportliche Schlagzeilen – höchst erfreuliche Schlagzeilen für die knapp sechs Millionen Einwohner im Land. Mit einem berauschenden 4:1 gegen Russland zog die Mannschaft am Montagabend in die Achtelfinals ein, als erstes Team, das mit zwei Niederlagen in eine Endrunde gestartet ist.
Neun Tage nach Eriksens Herzstillstand und der bizarren Fortsetzung der Auftaktspiels gegen Finnland (0:1) ist der Schock einer magischen Nacht gewichen. Tausende feierten in Kopenhagen Dänemarks Achtelfinal-Einzug mit Autokorsos und Freiluft-Partys auf zentralen Plätzen der Stadt. Gewissermassen war es auch ein Volksfest für Eriksen.
«Wir alle haben eine turbulente, emotionale Achterbahnfahrt erlebt», sagte Torhüter Kasper Schmeichel im Moment der Freude. «Aber das zeigt, was der Fussball leisten kann. Was der Fussball mit einer ganzen Nation machen kann.» Wie schon gegen Belgien meldete sich Eriksen sofort nach dem Spiel in der Whatsapp-Gruppe des Teams, diesmal nicht mehr aus dem Spital, sondern von seinem Zuhause in Odense, wo er sich erholt.
Rückendeckung der Nation
«En Del af Noget Større» hat sich der dänische Fussballverband auf die Flagge geschrieben, «ein Teil von etwas Grösserem». Nie fühlte sich das Land mit dem Slogan so verbunden wie jetzt. «Ich hätte mir nie erträumen können, ein Teil von etwas so Grossem zu sein», sagte der 20-jährige Mikkel Damsgaard, der für Eriksen in die Startelf rückte und die Dänen mit seinem Tor zum 1:0 gegen Russland auf Achtelfinal-Kurs brachte.
Die Rückendeckung der Nation und die Erleichterung darüber, dass es Eriksen gemessen an den Umständen gut geht, geben dem Team eine besondere Energie. «Die Dänen haben uns Flügel verliehen. Sie haben uns so viel Liebe gegeben. Ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen», befand Trainer Kasper Hjulmand. Russlands Goalie Matwej Safonow zeigte sich beeindruckt: «Das ist das erste Mal, dass ich so eine Unterstützung erlebt habe. Einer ihrer Spieler hat nur einen Pass gemacht und das ganze Stadion war auf den Beinen.»
Auch seine Spieler imponierten Hjulmand: «Der Mut, der Zusammenhalt, die Freundschaft dieser Spieler: Davor ziehe ich meinen Hut. Diese Fussballer haben sich in die Herzen der Dänen gespielt.»
Nielsens Unverständnis
Nils Nielsen, der dänische Trainer des Schweizer Frauen-Nationalteams, verfolgt die EM der Dänen intensiv. Für ihn kann die Leistung gar nicht hoch genug gewertet werden: «Es ist nicht einfach ein Spieler, der ausfällt. Es ist Christian Eriksen, der Schlüsselspieler schlechthin – der zentrale Mann, der alles gelenkt hat, der Spiele alleine entscheiden kann, der aber auch für Ruhe sorgte. Das ganze Land verehrt ihn. Er war quasi tot.»
Als ehemaliger U18-Nationalcoach der Dänen und Mitarbeiter im familiär geführten Verband kennt Nielsen den Grossteil der aktuellen Mannschaft und des Staffs. Die Geschehnisse nahmen ihn mit: «Es war schlimm, wirklich schlimm. Dass die Partie danach fortgesetzt wurde, verstehe ich überhaupt nicht. Das war unmenschlich, ein No-Go. Die Spieler waren gar nicht in einem Zustand, über eine Spielfortsetzung zu entscheiden.»
Wie die Schweiz ohne Shaqiri
Innert weniger Tage ist es den Dänen aber gelungen, den Fokus wieder auf den Fussball zu richten. Durch Eriksens Ausfall verändere sich aber das Spiel der Dänen grundsätzlich, sagt Nielsen. «Es ist, wie wenn die Schweiz ohne Shaqiri spielen müsste.» Trotzdem scheint für den 49-jährigen Frauencoach des SFV jetzt vieles möglich: «Eigentlich würde sich die grosse Frage stellen, ob die Mannschaft ohne Eriksen genug Tore schiesst. Aber wenn sie so weitermacht ... Wales scheint schlagbar, und wie es ausschaut, meinte es das Los auch darüber hinaus nicht schlecht mit Dänemark.»
Ohne Eriksen seien ganz andere Lösungen gefordert, doch die habe die Mannschaft gefunden, sagt Nielsen. «Sie tritt nun noch stärker als Einheit auf, noch solidarischer. Mit Damsgaard, Maehle und Christensen erzielten Spieler Tore, die ansonsten nicht fürs Toreschiessen zuständig sind. Die Energie ist wieder da und das Selbstvertrauen auch.»