Trotz Schwächen So viel Anerkennung geniesst die Schweizer Nati in Portugal

Von Luca Betschart

6.12.2022

Schaffen Granit Xhaka und Co. gegen Portugal eine Überraschung?
Schaffen Granit Xhaka und Co. gegen Portugal eine Überraschung?
Bild: Keystone

Die Nati gilt vor dem WM-Achtelfinal als Aussenseiter. Doch wie viel Respekt hat sich die Schweizer Mannschaft in Portugal verschafft? Wir haben den Blätterwald durchforscht.

Von Luca Betschart

6.12.2022

Obwohl die Schweiz das letzte Direktduell in der Nations League im Juni mit 1:0 für sich entscheiden konnte, liegt die Favoritenrolle für den anstehenden Achtelfinal zumindest für die WM-Buchmacher bei Portugal. Wer am Dienstagabend auf einen Schweizer Sieg in der regulären Spielzeit wettet, kann seinen Einsatz derzeit mehr als vervierfachen.

Nichtsdestotrotz warnen portugiesische Fussball-Kenner in den einheimischen Medien vor dem Potenzial der Nati. Ehemalige Spieler, Trainer, Experten oder Journalisten äussern sich vor dem Duell zur Ausgangslage – darunter auch João Carlos Pereira und Joao Manuel Pinto, die beide in Vergangenheit mit dem Schweizer Fussball in Berührung kamen.  

Grasshopper Trainer Joao Carlos Pereira reagiert im Fussball Meisterschaftsspiel der Challenge League zwischen dem FC Winterthur und dem Grasshopper Club Zuerich auf der Schuetzenwiese in Winterthur, am Montag, 10. Mai 2021. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
 

Ehemaliger GC- und Servette-Trainer

João Carlos Pereira

«Die Schweizer Spieler haben sich körperlich und bezüglich Intensität stark weiterentwickelt. Die letzten Generationen haben es geschafft, sich in Talent und Kreativität ausserordentlich weiterzuentwickeln. Das waren Schlüsselfaktoren, um den heutigen Status zu erreichen», sagt Pereira der Sportzeitung «A Bola». Und weiter: «Die Schweiz hat es geschafft, eine Identität zu entwickeln, die sich durch den Einfluss geografisch nahe gelegener Länder wie Frankreich, Deutschland oder Italien auszeichnet. Die Schweiz hat von diesen sehr starken Ligen gelernt.»

Le joueur du FC Sion Manuel Joao Pinto Tome Dos Santos pose pour la photographie officielle du club de football de Super league du FC Sion pour la saison 2007/2008 ce jeudi 19 juillet 2007 a Martigny. (KEYSTONE/Laurent Gillieron)
 

Ex-Sion-Spieler und Ex-Trainer von Martigny

João Manuel Pinto

«Der Schweizer Fussball ist stark gewachsen. Es wurde viel investiert. Ich glaube, dass es die Schweiz sehr weit bringen kann. Sie haben in der Ausbildung viel gute Arbeit geleistet. Es ist ein Land, das eine sehr patriotische Kultur hat. Der Fussball wird immer stärker», wird Pinto von der Sportzeitung «A Bola» zitiert. «Viele der Spieler dieser Mannschaft spielen in den grossen europäischen Ligen. Wir müssen am Dienstag sehr vorsichtig sein, es wird hart. Ich glaube, dass die Schweiz auch in den nächsten Jahren sehr schwer zu bespielen sein wird.»

Der 49-Jährige streicht ein Trio heraus: «Xherdan Shaqiri, Breel Embolo und Granit Xhaka sind grossartig, auf die muss man achten. Xhaka ist der grosse Anführer des Teams», weiss Pinto und macht klar: «Die Schweiz ist unberechenbar. Defensiv zeigt sie einige Schwächen, offensiv ist sie stark. Es ist ein solidarisches Team, Portugal muss sehr vorsichtig sein. Von einem Moment auf den anderen kann die Schweiz Schaden anrichten.»

Trainer Santos und Captain Ronaldo gross auf der Titelseite der Sportzeitung «A Bola».
Trainer Santos und Captain Ronaldo gross auf der Titelseite der Sportzeitung «A Bola».

Stärken, aber auch Schwächen

Die dem Schweizer Fussball weniger bekannten Coaches João Tralhão, Jorge Paixão und Leonel Pontes verraten dem Sportblatt zudem ihre Einschätzung und erkennen im Team von Murat Yakin nebst den vielen Stärken auch einige Schwächen.

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  • Tralhão: «Die Aufbaufähigkeit auch unter Druck. Die Ausgeglichenheit im Mittelfeld. Schnelligkeit im offensiven Umschaltspiel. Die Fähigkeit, weit vorne zu pressen. Die Zweikampfstärke.»
  • Paixão: «Die Mannschaft vereint Jugend und Erfahrung. Von den 26 Spielern im Kader spielen 18 in den fünf grössten europäischen Ligen. Es ist eine Mannschaft mit einer starken Defensive, mit guten Verteidigern und einem erfahrenen, guten Goalie. Und sie sind stark im Umschaltspiel, sie nützen das Tempo der Stürmer sehr gut aus.»
  • Pontes: «Die Kernmannschaft spielt seit Langem zusammen. Die Erfahrung und Qualität der Spieler ist hoch. Die zentrale Achse – von Stürmer bis Torwart – hat viel Qualität. Defensiv sehr kompakt und sehr gefährlich bei schnellen Angriffen und Kontern. Eine grosse physische Kraft im Zweikampf.»

  • Tralhão: «Schwierigkeiten, die Mannschaft im defensiven Umschaltspiel neu auszurichten. Weniger Kreativität und Unberechenbarkeit, wenn Shaqiri nicht spielt.»
  • Paixão: «Im Angriff, weil sie sehr von Shaqiris Inspiration abhängig sind.»
  • Pontes: «Sie greifen mit wenigen Spielern an. Wenn der Gegner hinter dem Ball ist, fehlt es ihnen an Argumenten, um zu Chancen zu kommen. Wenn sie lange Zeit ohne Ball sind, neigen sie dazu, den Abstand zwischen ihren Linien zu vergrössern.»

Aufgehende Lücken für die Portugiesen?

Der Achtelfinal-Kracher ist aber nicht nur in Sportzeitungen, sondern auch in den grossen Tageszeitungen des Landes das Thema. «Die Schweiz ist zwar nicht mehr die Defensivmannschaft, die sie vor ein paar Jahren war. Aber für nennenswerten offensiven Schwung steht sie immer noch nicht», ist etwa in der Zeitung «Público» zu lesen. Und weiter: «Portugal spielt den Achtelfinal gegen einen Gegner, der gut genug ist, um sie auszuschalten. Aber nicht gut genug, um Verständnis zu wecken, sollte es wirklich so weit kommen.»

Das Blatt «Jornal de Notícias» schreibt: «Die Schweiz ist ein Team, das sehr gut funktioniert. Das Mittelfeld ist sehr druckvoll und lässt dem gegnerischen Aufbau keinen Raum. Alle Spieler, auch die Flügelspieler und Stürmer, sind sehr solidarisch und dieser Zusammenhalt macht die zu einer sehr starken Mannschaft. Sie schaffen es, durch schnelle Angriffe in der Offensive für viel Gefahr zu sorgen.»

Weiter heisst es allerdings: «Diese Qualitäten können sich jedoch auch in Schwächen verwandeln. Die Intensität für die Mittelfeldspieler ist so hoch, dass oft Lücken und viel Raum zwischen den Linien entstehen. Dort kann Portugal Gefahrensituationen schaffen.» Ob das auch tatsächlich gelingt?

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