Marokko verfügt über gute Chancen, sich zum zweiten Mal nach 1986 für die K.o-Runde zu qualifizieren. Etwas, das vor einigen Monaten die wenigsten für möglich gehalten hätten.
Der Souq Waqif im Zentrum Dohas ist ein riesiger Markt, auf dem es von Gewürzen über traditionelle Kleidung bis hin zu Pferden, Vögeln und Kamelen alles zu erstehen gibt, was das Herz begehren könnte. Es ist ein faszinierender Ort, an dem wohl auch nach Stunden noch nicht jede Gasse erkundet worden ist. Der Souq Waqif hat sich mit seinen zahlreichen Restaurants aber auch zu einem beliebten Treffpunkt für Fans der WM-Teilnehmer entwickelt. Bereits Stunden vor einer Partie ist in manchen Strassen ein Durchkommen schwierig, es wird gesungen und getanzt – ganz so, wie sich das die FIFA in ihrer Vorstellung eines friedlichen Fussballfestes im nicht fussball-affinen Katar gewünscht haben dürfte.
Erster Sieg seit 24 Jahren
Auch marokkanische Fans sind schon zahlreich durch die Strassen des Souq Waqif geschlendert, am Sonntag in besonderer Hochstimmung. Der 2:0-Sieg gegen Belgien, der eigentlichen Weltnummer 2, das sich aber an dieser WM weit weg von seinen Ansprüchen bewegt und mit internen Unruhen zu kämpfen haben soll, kann durchaus als historisch bezeichnet werden. Es ist bei der sechsten WM-Teilnahme erst der dritte Sieg der Nordafrikaner, der erste seit 24 Jahren. Damals 1998 bei der WM in Frankreich gewannen die Marokkaner ihr letztes Gruppenspiel gegen Schottland 3:0, schieden in der Gruppe mit Brasilien und Norwegen aber trotzdem aus.
Die Feierlichkeiten fielen wohl auch deshalb so euphorisch aus, weil der Coup gegen den früheren Geheimfavoriten Belgien die Marokkaner in eine gute Position bringt, zum zweiten Mal nach 1986 in Mexiko in die K.o-Phase einer Weltmeisterschaft vorzustossen. Ein Sieg gegen das bereits ausgeschiedene Kanada reicht auf jeden Fall, sollte Vize-Weltmeister Kroatien Belgien schlagen, kann sich das Team von Trainer Walid Regragui auch eine Niederlage leisten.
Diese Ausgangslage hätte sich im Lager der Marokkaner vor dem Turnier wohl jeder erträumt, zumal es noch vor ein paar Monaten danach aussah, als ob interne Querelen das WM-Abenteuer verderben könnten. Im August wurde Trainer Vahid Halilhodzic entlassen. Der Bosnier hatte sich mit den beiden Leistungsträgern Noussair Mazraoui (Bayern München) und Hakim Ziyech (Chelsea) überworfen, worauf sich im Team Widerstand formte, unter dem 70-Jährigen weiterzumachen.
Liebe und Vertrauen für Ziyech
Der Verband installierte mit Walid Regragui einen, der einst selbst das Trikot Marokkos getragen und als rechter Verteidiger 44 Länderspiele bestritten hatte. Nach Abdellah Blinda 1994 ist er erst der zweite Marokkaner, der die sogenannten «Atlas Löwen» an einer WM betreut. Als Trainer machte der 47-Jährige auf sich aufmerksam, als er Wydad Casablanca in diesem Jahr zum Gewinn der afrikanischen Champions League führte. Er wird auch «marokkanischer Guardiola» genannt, und die Referenz zum spanischen Welttrainer kommt nicht nur daher, dass beide eine Glatze tragen.
Regragui gilt als gewiefter Taktiker, der Details nicht ausser Acht lässt. Ein unmittelbarer Effekt, den Regraguis Anstellung hatte, ist die Rückkehr von Ziyech und Mazraoui ins Nationalteam. «Hakim ist unglaublich. Viele sagen, er sei schwierig zu coachen, aber wenn du ihm Liebe und Vertrauen gibst, würde er für dich sterben», sagt der Trainer über Ziyech. Mit Achraf Hakimi von Paris Saint-Germain ist ein dritter Star Teil des marokkanischen Ensembles, das sich aber vor allem durch hohe Solidarität und Leidenschaft definiert.
«Wir wissen, dass es für die Gegner nicht einfach ist, uns aus der Position zu bringen», sagt Regragui, unter dessen Ägide die Marokkaner noch kein einziges Spiel verloren haben. «Wir sind schwer zu schlagen und jeden Moment davon überzeugt, hier etwas Grosses erreichen zu können.» Die Chancen stehen gut, dass die marokkanischen Feierlichkeiten auf dem Souq Waqif noch eine Weile andauern.