Die Talente von 2012 heute 74 Prozent der U21 wurden auch richtige Nationalspieler – aber nicht alle glücklich

Von Marcel Allemann

15.4.2022

Die U21-Nati vor zehn Jahren. Obere Reihe von links: Nassim Ben Khalifa, Haris Seferovic, Pajtim Kasami, Steven Zuber, Fabio Daprela, Goalie Roman Bürki. Vordere Reihe von links: Nzuzi Toko, Basha Vullnet, Raphael Koch, Captain Philippe Koch, Taulant Xhaka.
Die U21-Nati vor zehn Jahren. Obere Reihe von links: Nassim Ben Khalifa, Haris Seferovic, Pajtim Kasami, Steven Zuber, Fabio Daprela, Goalie Roman Bürki. Vordere Reihe von links: Nzuzi Toko, Basha Vullnet, Raphael Koch, Captain Philippe Koch, Taulant Xhaka.
Bild: Keystone

Vor zehn Jahren waren sie die grossen Talente – und heute? blue Sport hat sich in den Recherche-Keller begeben und geschaut, was aus ihnen geworden ist. Und wie gross in den drei Schweizer Topsportarten die Erfolgsaussichten auf eine grosse Karriere sind. Heute Teil 1: Fussball.

Von Marcel Allemann

Es ist die Spielzeit 2011/2012. Die Schweizer U21-Nationalmannschaft bestreitet mit den besten Talenten die Qualifikation für die EM 2013 in Israel. Die Schweiz spielt eine ordentliche Kampagne, scheitert in seiner Gruppe aber am grossen Favoriten Spanien, der sich als Erster durchsetzt.

Beim letztlich entscheidenden 3:0-Heimsieg der Spanier in Cordoba treten die Iberer mit heutigen Weltstars wie De Gea, Thiago oder Koke auf. Das Out ist somit keine Schande, umso mehr, da die Spanier anschliessend auch den EM-Titel mit einem 4:2-Sieg im Final gegen Italien holen.

Damals beendeten die besten Schweizer Spieler des U21-Jahrgangs die EM-Qualifikation gegen Spanien, Kroatien, Georgien und Estland mit 17 Punkten aus acht Spielen und einem Torverhältnis von +11 auf Rang 2 in ihrer Gruppe. Insgesamt setzte der damalige U21-Nationaltrainer und heutige Direktor der A-Nati Pierluigi Tami in der Kampagne 27 Spieler ein.

Alle 27 Spieler fassen Fuss im Profifussball

blue Sport wollte wissen: Wer waren vor zehn Jahren die grössten Fussballtalente unseres Landes und was ist aus ihnen geworden? Das Endergebnis ist hocherfreulich. Alle 27 Spieler konnten anschliessend Fuss im Profifussball fassen, wenn aber auch nicht alle mit der gleichen Durchschlagskraft und den gleichen Erfolgen. Aber vollends abgestürzt ist keiner, was für die gute Arbeit des Schweizerischen Fussballverbandes spricht.

Hier sind die 27 U21-Nationalspieler von 2011/12 gelandet

  • Roman Bürki (Ex-Nationalspieler, aktuell bei Borussia Dortmund, wechselt im Sommer zu St. Louis City/USA)
  • François Moubandje (Ex-Nationalspieler, aktuell bei Göztepe/Türkei)
  • Fabian Schär (Nationalspieler, aktuell bei Newcastle)
  • François Affolter (Ex-Nationalspieler, aktuell beim FC Biel/Promotion League)
  • Silvan Widmer (Nationalspieler, aktuell bei Mainz)
  • Nzuzi Toko (Ex-Nationalspieler Kongo, aktuell bei den Würzburger Kickers/3. Bundesliga)
  • Oliver Buff (keine Länderspiele, aktuell bei Zalgiris Vilnius/Litauen)
  • Pajtim Kasami (erweiterter Kreis Nationalmannschaft, aktuell beim FC Basel)
  • Kerim Frei (Ex-Nationalspieler Türkei, aktuell bei Karagümrük/Türkei)
  • Steven Zuber (Nationalspieler, aktuell bei AEK Athen)
  • Haris Seferovic (Nationalspieler, aktuell bei Benfica Lissabon)
  • Andreas Wittwer (keine Länderspiele, aktuell vereinslos, zuletzt beim FC Winterthur/Challenge League)
  • Amir Abrashi (Nationalspieler Albanien, aktuell bei GC)
  • Josip Drmic (erweiterter Kreis Nationalmannschaft, aktuell bei Rijeka/Kroatien)
  • Fabio Daprelà (keine Länderspiele, aktuell bei Lugano)
  • Alain Wiss (Ex-Nationalspieler, aktuell beim SC Cham/Promotion League)
  • Nassim Ben Khalifa (Ex-Nationalspieler, aktuell vereinslos, zuletzt bei Esperance Tunis/Tunesien)
  • Izet Hajrovic (Ex-Nationalspieler Schweiz und Bosnien, aktuell bei Aris Thessaloniki/Griechenland)
  • Sébastien Wüthrich (keine Länderspiele, aktuell bei Ratchaburi FC/Thailand)
  • Antonio Marchesano (keine Länderspiele, aktuell beim FC Zürich)
  • Philippe Koch (keine Länderspiele, Rücktritt 2019, letzter Verein FC St. Gallen)
  • Rolf Feltscher (Nationalspieler Venezuela, aktuell beim MSV Duisburg/3. Bundesliga)
  • Marco Schönbächler (Ex-Nationalspieler, aktuell vereinslos, zuletzt beim FC Zürich)
  • Aleksandar Prijovic (Ex-Nationalspieler Serbien, aktuell bei Western United/Australien)
  • Raphael Koch (keine Länderspiele, Rücktritt 2019, schliesst 2016 mit dem Profifussball ab, spielte bis 2019 nebenbei noch beim FC Solothurn/1. Liga)
  • Taulant Xhaka (Ex-Nationalspieler Albanien, aktuell beim FC Basel)
  • Vullnet Basha (Ex-Nationalspieler Albanien, aktuell bei Ionikos Nikeas/Griechenland)
  • Trainer: Pierluigi Tami (aktuell Direktor Nationalmannschaft)

74,1 Prozent der damaligen Equipe wurden anschliessend auch richtige Nationalspieler, was ein grandioser Wert ist. Der kleine Schönheitsfehler: Nur 48,1 Prozent taten dies auch für die Schweiz, die restlichen 26 Prozent wechselten nach der U21-Stufe die Nation. Nzuzi Toko spielte beispielsweise für den Kongo, Rolf Feltscher für Venezuela.

Stark ist auch, dass von der U21-Nati 2011/12 44,4 Prozent später an einem grossen Turnier (EM, WM oder Copa América) dabei waren, 25,9 Prozent für die Schweiz, 18,5 Prozent für Verbände anderer Länder. Ersteres trifft auf Roman Bürki, Fabian Schär, Silvan Widmer, Steven Zuber, Josip Drmic, Haris Seferovic und François Moubandje zu, Letzteres auf Amir Abrashi, Taulant Xhaka, Vullnet Basha (alle Albanien), Izet Hajrovic (Bosnien), Aleksandar Prijovic (Serbien) und Rolf Feltscher (Venezuela). 

Rolf Feltscher (l.) im Dress von Venezuela im Duell mit Kolumbien-Star James Rodriguez.
Rolf Feltscher (l.) im Dress von Venezuela im Duell mit Kolumbien-Star James Rodriguez.
Bild: Keystone

Auch haben von den 27 Spielern von damals nicht weniger als 16 im Lauf ihrer Karriere in einer der Top-5-Ligen Europas (England, Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich) gespielt, was ein beeindruckender Wert ist. Drei tun dies mit Schär (Newcastle), Widmer (Mainz) und Bürki (Dortmund) noch immer, wobei Bürki beim BVB schon länger nicht mehr zum Einsatz kommt und primär seinen Vertrag aussitzt, ehe er im Sommer zu St. Louis City in die Major League Soccer (MLS) wechseln wird.

Buff in Litauen, Ben Khalifa in Tunesien, Wüthrich in Thailand

Einige sind aber auch in weniger klangvollen ausländischen Ligen unterwegs. Etwa Oliver Buff bei Zalgiris Vilnius in Litauen oder Sébastien Wüthrich beim Ratchaburi FC in Thailand. Ausschliesslich in der Schweiz tätig waren einzig Andreas Wittwer, Antonio Marchesano, Marco Schönbächler, Raphael Koch und Taulant Xhaka. 

Wobei es nicht allen so ideal erging wie Marchesano und Xhaka, die noch heute zu den grossen Figuren der Super League gehören. Wittwer und Schönbächler sind seit dem vergangenen Sommer vereinslos. Noch aktiv, aber in der drittklassigen Promotion League gelandet sind der zweifache Nationalspieler Alain Wiss (SC Cham) und der fünffache Nationalspieler und ehemalige Bundesliga-Verteidiger François Affolter (FC Biel).

Einst im Nationaldress und in der Bundesliga, nun ist François Affolter (l.) für den FC Biel in der Promotion League unterwegs – hier im Cup-Duell gegen Luzerns Asumah Abubakar.
Einst im Nationaldress und in der Bundesliga, nun ist François Affolter (l.) für den FC Biel in der Promotion League unterwegs – hier im Cup-Duell gegen Luzerns Asumah Abubakar.
Bild: Keystone

Die Solothurner Raphael und Philippe Koch waren damals als Brüder-Paar eine Besonderheit in der U21-Nati, doch inzwischen sind sie die einzigen der 27 Spieler, die ihre Fussballschuhe bereits an den Nagel gehängt haben. Die Kochs sind ins Naturstein- und Keramikgeschäft ihres Vaters eingestiegen. 

Ben Khalifa und Frei blieben stecken

Fussballerisch nicht optimal lief es auch bei den zwei mitunter am grössten gehandelten Talenten der damaligen Equipe. Nassim Ben Khalifa und Kerim Frei schien vor zehn Jahren die ganz grosse Fussballbühne offenzustehen, doch es ist anders gekommen.

Nassim Ben Khalifa im Dress der U21-Nationalmannschaft.
Nassim Ben Khalifa im Dress der U21-Nationalmannschaft.
Bild: Keystone

Als 18-Jähriger wechselte Sturmjuwel Ben Khalifa für eine Ablöse von 1,6 Millionen Euro von GC in die Bundesliga zu Wolfsburg. Doch für die Wölfe lief er nie auf und auch eine Leihe zu Nürnberg bescherte ihm lediglich einen Einsatz von acht Minuten in der Bundesliga. Danach startete für ihn eine wahre Odysee: YB, GC, Eskisehirspor in der Türkei, Mechelen in Belgien, Lausanne, St. Gallen und wieder GC waren seine nächsten Stationen.

Bis der Romand nach dem verpassten Aufstieg aus der Challenge League 2020 auch bei den Zürchern ausgemustert wurde. Zunächst war der inzwischen 30-Jährige vereinslos, schloss sich dann aber in Tunesien, dem Heimatland seiner Eltern, Esperance Tunis an. Mit überschaubarem Erfolg. Zur Stammkraft wurde er nie, in 22 Einsätzen schoss er drei Tore und seit Ende Oktober 2021 wurde er nie mehr eingesetzt. Im März einigten sich Esperance und Ben Khalifa auf eine Vertragsauflösung – aktuell ist das einstige Supertalent wieder vereinslos.

Bei Kerim Frei war zunächst die Enttäuschung riesig, als dieser sich als 19-Jähriger gegen die Schweiz und für die Türkei entscheidet. «Türken klauen unser Supertalent», hatte der «Blick» im Sommer 2012 getitelt und auf der Geschäftsstelle des SFV fühlten sich die Zuständigen vor den Kopf gestossen.

Das letzte Aufgebot für die Türkei vor sechs Jahren

Doch den Karrierenturbo konnte Frei, der in Österreich geboren, in der Ostschweiz aufgewachsen ist, dessen Vater Türke und die Mutter Marokkanerin ist, anschliessend nie wirklich zünden. Die türkische Nationalmannschaft sah nach lediglich fünf Teileinsätzen wieder vom Flügelspieler ab. Das letzte Aufgebot erhielt der heute 28-Jährige vor knapp sechs Jahren. Und auch auf Vereinsebene blieb der erhoffte, grosse Durchbruch aus.

Kerim Frei (vorne) spielte als 18-Jähriger bereits in der Premier League.
Kerim Frei (vorne) spielte als 18-Jähriger bereits in der Premier League.
Bild: Keystone

Bereits mit 16 wechselte Frei zwar von GC nach England, in den Nachwuchs des FC Fulham und debütierte mit 18 in der Premier League. 2013 liess sich Besiktas Istanbul die Verpflichtung des Talentes über 3 Millionen Euro kosten, doch über gelegentliche Teileinsätze kam er beim türkischen Spitzenclub nicht hinaus. Und so ging die Reise weiter: Birmingham, Basaksehir in der Türkei, Maccabi Haifa in Israel und Emmen in den Niederlanden hiessen die nächsten Stationen.

Im Sommer 2021 kehrte Kerim Frei dann in die Türkei zurück und heuerte bei Aufsteiger Fatih Karagümrük an. Beim Mittelklasseverein der Süper Lig gehörte er zu Saisonbeginn noch zu den Stammkräften, fehlt diesem jedoch seit Anfang November verletzungsbedingt.

Da haben Ben Khalifas und Freis Teamkollegen der damaligen U21-Equipe wie Seferovic, Schär, Zuber, Bürki oder Widmer definitiv die grösseren Spuren auf der Karte des Weltfussballs hinterlassen. Deshalb bleibt das Fazit: Die Erfolgsquote der Nachwuchsarbeit des SFV ist zwar stark, aber zwei der herausragendsten Talente aus jener Zeit blieb der grosse Durchbruch verwehrt.

Bereits auf Stufe U21 und auch schon lange in der A-Nati erfolgreiche Teamkollegen: Haris Seferovic (l.) und Steven Zuber.
Bereits auf Stufe U21 und auch schon lange in der A-Nati erfolgreiche Teamkollegen: Haris Seferovic (l.) und Steven Zuber.
Bild: Keystone

Morgen: Was ist aus der Schweizer U20-WM-Mannschaft von 2012 im Eishockey geworden?